Wie gewohnt wurde auch 2022 die Arzneipflanze des Jahres gekürt. Diesmal bin ich ziemlich enttäuscht von der Wahl. Gewonnen hat der Mönchspfeffer – ein Kraut mit unklarer Wirkung.
Ich frage mich noch immer, wie die Wahl ausgerechnet auf den Mönchspfeffer fallen konnte. An einer gesicherten Wirksamkeit kann es jedenfalls nicht liegen.
Der Sieger wurde wie üblich durch ein interdisziplinäres Expertengremium am Institut für Geschichte der Medizin der Universität Würzburg, nämlich dem „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“, ausgewählt. Es ist immer eine Pflanze, die sowohl historisch bedeutsam, als auch bereichernd für die moderne Phytotherapie sein soll.
Die meisten Leser der pharmazeutischen Presse bekommen die Wahl zur Arzneipflanze des Jahres eher als Nebengeräusch mit. Ich oute mich mal als echter Fan dieser Idee, da ich der Meinung bin, dass es unglaublich spannende Arzneipflanzen gibt, die häufig viel zu wenig ins Bewusstsein der Menschen und der Berater in der Apotheke geraten. Bisher waren seit dem Jahr 1987 auf dieser Liste vertreten:
Gut, der ein oder andere „Laumann“ war dabei, aber auch echte Kracher kann man auf der Liste finden. Ich war jedenfalls gespannt, was nun kommen wird. Und es wurde der Mönchspfeffer. Gut – historisch gesehen hat er schon eine mäßig spannende, wenn auch allgemein bekannte Geschichte. Der Lippenblütler mit seinen blauen, duftenden Blüten wurde bereits in der Antike und im Mittelalter zum Zügeln des Geschlechtstriebes genutzt – daher auch der Name „Keuschlamm“.
Die scharf schmeckenden Samen des Mönchspfeffers dienten in Mönchsklostern sowohl als Gewürz als auch als Anaphrodisiakum. Im Bettstroh verteilt sollte das Kraut ebenfalls die Lust dämpfen – daher der Trivialname „Liebfrauenbettstroh“.
Doch was ist der Benefit für die heutige Zeit? Mönchspfeffer-Extrakte werden vor allem bei prämenstruellem Syndrom, Mastodynie, Zyklusstörungen und anderen Menstruationsbeschwerden, wie zyklusbedingt spannenden oder schmerzenden Brüsten, eingesetzt.
Wer sich hier auf die Suche begibt, findet eines nicht: große Studien. Dafür viele Studienabbrüche durch die Probanden selbst und kaum zukunftsweisende Erkenntnisse. Interessant ist hierzu eine Pharmakritik aus der Schweiz. Es wird direkt klargestellt, dass Daten zur Resorption, zur Bioverfügbarkeit oder zum Metabolismus der Inhaltsstoffe von Mönchspfeffer-Extrakten komplett fehlen. Das eher ernüchternde Fazit der Kritik:
Auch die Stiftung Warentest bezeichnete im Dezember 2021 die therapeutische Wirksamkeit von Mönchspfefferextrakt bei Zyklusstörungen in klinischen Studien als „nicht ausreichend nachgewiesen“ und bewertet die Präparate hierfür als „wenig geeignet“. Bei der Auswahl der Studienteilnehmerinnen seien große Unterschiede aufgefallen und die wissenschaftliche Qualität der Studien wird als „eingeschränkt“ bezeichnet.
Daher lasse sich nicht sicher angeben, wie groß der Effekt der Gabe von Mönchspfefferextrakten ist. Eine systematische Überprüfung und Meta-Analyse aus dem Jahr 2017 bezeichnet die Behandlungswirkung von Vitex agnus-castus bei Symptomen des prämenstruellen Syndroms als „bestenfalls überschätzt“. Die EMA sieht die Anwendung eines Großteils der Präparate, die zur Linderung geringfügiger Symptome in den Tagen vor einer Periode dienen, vor allem auf ihrer „traditionellen Anwendung“ basierend. Das bedeutet, dass die Wirksamkeit plausibel ist und dass sie seit mindestens 30 Jahren sicher auf diese Weise verwendet wird, obwohl keine ausreichenden Beweise aus klinischen Studien vorliegen.
Man muss sich also wirklich fragen, was den Studienkreis dazu bewogen hat, den Mönchspfeffer als Arzneipflanze des Jahres auszuwählen. Die überzeugende Studienlage ist es offenbar nicht. Ich warte für die kommenden Jahre also weiter auf eine wirklich spannende Pflanze mit einer gesicherten Wirkung wie beispielsweise Baldrian – oder, wenn sie ganz mutig sind, auch gerne Cannabis.
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