Erneut zogen Demonstranten gegen die Corona-Maßnahmen durch Dresden. Ihre Route lief auch am Uniklinikum vorbei, wo Medizinstudenten einen spontanen Gegenprotest organisierten. Was passierte, berichtet uns eine Studentin.
Als „Spaziergang“ bezeichnen Gruppen von Corona-Leugnern und Impfgegnern seit einigen Monaten ihre Protestmärsche. Dabei laufen sie durch die Städte und demonstrieren gegen staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Zu einem solchen Protest wurde auch vergangene Woche in einschlägigen Kanälen sozialer Medien aufgerufen.
Dieses Mal sollte der vermeintliche Spaziergang in Dresden nicht nur durch die Innenstadt führen, sondern in der Nähe des Universitätsklinikums starten. Das wollte eine Gruppe von Medizinstudenten der Technischen Universität Dresden nicht unkommentiert lassen und verabredete spontan einen Gegenprotest.
Wie es dazu kam und wie es nach der ersten Idee weiterging, berichtet Marie-Luise Rohm. Sie ist Medizinstudentin im sechsten Fachsemester und schreibt gerade ihre Doktorarbeit in molekularer Endokrinologie. Rohm ist außerdem Sprecherin im Fachschaftsrat Medizin/Zahnmedizin/Hebammenkunde der TU Dresden.
Lea Wask: Erzähl mal, wie kam es zu eurem Gegenprotest letzte Woche? Was war der Auslöser und was wolltet ihr erreichen?
Marie-Luise Rohm: „Das Ganze war wirklich sehr spontan. Am Mittwoch hat ein Kommilitone über Twitter von dem Spaziergang erfahren, der unter anderem von den Freien Sachsen mit organisiert wurde. [Anm. d. Redaktion: Die Freien Sachsen ist eine rechtsextreme Partei, die sich aktuell vor allem gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen aussprechen.] Wir haben uns dann mit der Fachschaft beraten und die Situation zunächst beobachtet. Da die Zeit aber knapp wurde, beschlossen wir, einen friedlichen Gegenprotest zu starten. Momentan sind in Sachsen ortsfeste Versammlungen nur bei einer Teilnehmerzahl von bis zu 10 Personen erlaubt und müssen 48 Stunden vorher angemeldet werden – das traf ja auf uns letztendlich nur bedingt und auf die ‚Spaziergänger‘ gar nicht zu. Wir wollten unser Glück aber probieren.“
Nicht nur die Aussagen, auch die Initiatoren und das wofür sie stehen, stießen den Studenten auf. „Der Konsens der Fachschaft war: Wir wollen uns ganz klar gegen Wissenschaftsleugner positionieren und ebenfalls gegen Menschen, die mit rechts-assoziierten Kleinstparteien gemeinsam auf die Straße gehen. Wenn sie der Meinung sind, das vorm Uniklinikum machen zu müssen, dann setzen wir ein Zeichen dagegen und nehmen das nicht einfach hin.“
Die Medizinstudentin und ihre Kommilitonen beschlossen, am Donnerstag vor der Klinik Stellung zu beziehen und damit ein Statement zu setzen – für die Wissenschaft, für die überlasteten Ärzte und Pfleger in den Kliniken, für die betroffenen Patienten. Und für die Maßnahmen, die auch den Studenten möglichst bald wieder ein normales Studium ermöglichen sollen.
Sie trugen ihre weißen Kittel, um sich optisch von den dunkel gekleideten „Spaziergängern“ abzuheben. Spontan bastelten sie am Donnerstagnachmittag Plakate. „Doktorhut statt Aluhut“, „impfen statt schimpfen“ oder „Hass im Herz ist heilbar – Wissenschaft unteilbar“ stand auf ihren Schildern. Die Farbe war noch nicht ganz getrocknet, als die Studenten vor einer Mauer der Klinik Stellung bezogen. Die Aktion hatte sich da schon rumgesprochen. Einige Kommilitonen hatten ebenfalls Schilder gemalt und kamen aus dem Heimstudium dazu. Viele von ihnen waren in den vergangenen zwei Jahren nicht auf dem Campus oder an der Klinik gewesen. Auch Erstsemester waren dabei. Sie kennen nur das Studieren unter Coronabedingungen. Zirka 100 bis 150 Studenten beteiligten sich an dem stillen Protest, schätzt Rohm. In kleinen Gruppen von 3–5 Leuten standen sie beisammen.
„Wir haben einfach versucht, auf friedliche Art sichtbar zu sein. Vorher hatten wir alle darum gebeten, Abstände einzuhalten und den Anweisungen der Polizeibeamten immer Folge zu leisten“, erzählt die Medizinstudentin. An Polizisten mangelte es laut ihren Erzählungen nicht. Die Beamten bezogen schon am Nachmittag ihre Posten. „Das fand ich ehrlich gesagt auch ganz gut, weil wir ja auch nicht genau wussten, womit wir bei diesen Spaziergängern rechnen sollten. Man wusste ja aus der Presse, dass diese Gruppen auch gewaltbereit sein können und schon Kinder als Schutz gegen Pfefferspray benutzt haben. Ich hatte ganz schön Respekt vor der Situation.“
Wie lief der Abend weiter ab? Wie war der Kontakt mit der Polizei, wie der mit den Demonstranten?
„Das Ganze lief eigentlich ganz friedlich ab. Die Polizisten sagten uns manchmal, dass wir irgendwo aus dem Weg gehen, oder wo wir uns hinstellen sollten, was wir dann auch taten. Wir versuchten noch, eine Spontanversammlung vor Ort zu melden, was seitens der Beamten auch erst mal hingenommen wurde. Ihr Ziel war es augenscheinlich, die Versammlung am Spazieren zu hindern bzw. die Gruppe der Spaziergänger aufzulösen, was ihnen zum Teil auch gelang. Von den Spaziergängern kamen einige zu uns hin, lasen unsere Schilder und fingen an, mit uns zu diskutieren.“
Besonders eines der Schilder schien die Spaziergänger zu stören: „Maske auf, Nazis raus“ war darauf zu lesen. Einige der Männer fühlten sich laut der Studentin von diesem Schild angesprochen und beschimpften die angehenden Mediziner. Als Nazis – ein Bezug auf die rechtsextreme Partei Freie Sachsen – wollten sie sich nicht bezeichnen lassen. „Wer mit solchen Leuten zusammen durch die Straßen zieht, hat meiner Meinung nach kein Recht darauf, nicht mit diesen Vorwürfen konfrontiert zu werden“, so die Studentin.
Glaubst du, euer Protest hat etwas gebracht?
„Ich glaube schon. Wir wurden zwar eher mit wirren Inhalten zu Mauerfall, links- und rechtsorientierter Politik und der tödlichen Wirkung der Corona-Impfung seitens der Spaziergänger konfrontiert, aber sie waren doch deutlich irritiert, dass wir da waren und einen Standpunkt hatten. Auf einen Austausch auf Augenhöhe hatte aber keiner der dort anwesenden Spaziergänger Lust. Sie schienen doch auch etwas überfordert mit unserer Anwesenheit.“
Hatte die Aktion rechtliche Konsequenzen?
„Es gab eine Situation an einer Straßenecke, wo Leute aus unserer Gruppe von den Einsatzkräften aufgefordert wurden, diese Stelle zu räumen und in eine andere Richtung zu gehen. Als sie dann am beschriebenen Ort ankamen, hatten sich bereits ca. 15 weitere Studierende dort versammelt, denen dasselbe gesagt wurde. Daraufhin verstießen die dort Anwesenden natürlich gegen die Corona-Norfallverordnung und sollten den dortigen Beamten ihre Personalien geben. Wir hoffen aber, dass wir diese Situation im Nachhinein sachlich mit den Behörden klären können. Unser Anliegen war ja von vornherein, das wir allen Anweisungen der Polizei Folge leisten und niemanden dort behindern möchten.“
Gibt es weitere Pläne für Protestaktionen von eurer Seite aus?
„Ich hoffe ja, dass das nicht nötig sein wird. Sachsens Innenminister hat explizit die Zivilbevölkerung aufgefordert, für sich einzustehen und etwas gegen rechte Hetze und Verschwörungsmythen zu sagen. Ich finde, das haben wir in dem Fall getan. Ich glaube nicht, dass Coronaleugner-Demos oder diese Form von ‚Spaziergängen‘ aufhören werden. Wir haben aber auch nicht mit dem großen Medienrummel um unsere Aktion gerechnet und müssen das Ganze jetzt erst mal verdauen. Wir sind froh, dass auch mal diese Seite etwas mehr Gehör in der Öffentlichkeit bekommen hat.“
Was würdet ihr euch von der Öffentlichkeit wünschen?
„Wir haben schon unglaublich viel Zuspruch erhalten und Hilfe angeboten bekommen. Darunter auch rechtlicher Beistand für diejenigen, denen eine Ordnungwiedrichkeitsanzeige droht und auch finanzielle Unterstützung. Vor allem freuen wir uns aber über die ganze Solidarität, die uns entgegen gebracht wurde.
Wir wollen auch nochmal jeden dazu aufrufen, der sich im Alltag mit Wissenschaftsleugnern oder Coronaleugnern konfrontiert sieht, nicht wegzuschauen, sondern sich ganz klar dagegen auszusprechen und ein Zeichen zu setzen – in der Öffentlichkeit und privat.“
„Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es außerdem, mal die Aufmerksamkeit auf uns Studierende zu lenken, die ebenfalls in hohem Maße von dieser Pandemie betroffen sind. Seit zwei Jahren studieren wir unter sehr eingeschränkten Bedingungen, in denen viel Lehre deutlich zu kurz kommt. Fakt ist: Das Medizinstudium kann in den letzten Jahren nicht in vollem Umfang und in seiner vollen Qualität stattfinden. Alle Vorlesungen sind online, einige sind ausgefallen, viele Studenten haben seit zwei Jahren keinen vernünftigen Unterricht am Patientenbett – obwohl weit über 90 % von uns geimpft sind – und darunter leidet die Qualität der Ausbildung deutlich.
Alle sozialen Aspekte fallen sowieso weg. Am Ende geht man ja nicht nur in die Uni, um 2.000 Seiten auswendig zu lernen, sondern auch um seine Seminargruppe zu sehen und mit seinen Kommilitonen zu sprechen und auch Freundschaften zu knüpfen. Deshalb fordern wir explizit alle dazu auf, sich impfen zu lassen, damit diese Pandemie schnellstmöglich ein Ende findet.“
Bildquelle: Cole Keister, unsplash