Bewohner kalter Regionen erkranken deutlich häufiger an bestimmten Krebsarten. Als Grund für die höhere Malignität sieht ein Molekularmediziner genetische Besonderheiten. Diese sind in kaltem Klima zwar von Vorteil, stehen aber mit einer Prädisposition für Krebs in Verbindung.
Die Inzidenz verschiedener Krebserkrankungen unterscheidet sich je nach Region gewaltig. Einige Zahlen lieferten Forscher mit ihrem WHO Cancer Report 2014. Demographische Unterschiede der jeweiligen Population haben sie über eine sogenannte Altersstandardisierung (ASR, Age Standardised Rate) korrigiert. Hier handelt es sich um Rechenverfahren zur Herstellung vergleichbarer epidemiologischer Maßzahlen, sollten sich Populationen beispielsweise in der Altersstruktur unterscheiden. Grafik 1: Regionale altersstandardisierte Krebsinzidenz pro 100.000 Einwohner © WHO Je dunkler die jeweilige Region in Grafik 1 blau gefärbt ist, desto höher ist die regionale altersstandardisierte Krebsinzidenz. Diese deutlichen regionalen Unterschiede lassen sich nicht einfach erklären. Forscher sprechen von einer „komplizierten Gen-Umwelt-Interaktion“. Einerseits unterscheiden sich Bevölkerungsgruppen im Erbgut. Verschiedene Umweltfaktoren kommen andererseits zum Tragen. Dazu gehören nicht nur Lebensgewohnheiten oder Schadstoffe, sondern auch regionale Temperaturen. Zu diesem Ergebnis kommt Konstantinos Voskarides, Forscher an der Medical School der Univesity of Cyrpus.
Basis seiner Arbeit waren die GLOBOCAN-2012-Survey und 254 genomweite Assoziationsstudien (GWAS). Dabei untersuchen Forscher, ob Besonderheiten im Erbgut mit bestimmten Phänotypen, etwa Krankheiten, in Verbindung stehen. Die Daten gaben Hinweise auf Zusammenhänge zwischen der mittleren Temperatur und dem Krebsrisiko. Voskarides arbeitet in Grafik 2 mit gleichen Farben, um seine Assoziationen grafisch zu belegen:
Dazu zwei Beispiele aus den Daten:
Grafik 2: © Konstantinos Voskarides, University of Cyprus Medical School Gleichzeitig fand der Wissenschaftler im Erbgut von Personen aus relativ kalten Ländern oder aus hohen Bergregionen einige Besonderheiten. „Meine Daten zeigen, dass diese Populationen eine extrem hohe Krebsinzidenz aufweisen, insbesondere bei Lungen-, Brust- und Dickdarmkrebs“, sagt Voskarides.
Mit seiner Publikation bestätigt Voskarides auch die sogenannte antagonistische Pleiotropie. Ein Konzept, das auf George C. Williams (1926 bis 2010), ein US-amerikanischer Evolutionsbiologe, zurückgeht. Er stellte 1957 mehrere Postulate auf:
Als Reaktion auf das unwirtliche Klima kam es im Laufe der Jahrtausende zu einer Selektion von Individuen mit Varianten bei Tumorsuppressorgenen wie p53. Lebten Menschen über lange Zeit in Höhenlagen, profitierten sie eher von Varianten der Gene EGLN1 oder EPAS1. Diese stehen aber auch mit Lungenkrebs (EGLN1) beziehungsweise mit neuroendokrinen Tumoren (EPAS1) in Verbindung.
Genetische Besonderheiten, die sich in extremen Umgebungen als vorteilhaft erweisen, stehen mit einer Prädisposition für Krebs in Verbindung. „Zellresistenzen bei niedrigen Temperaturen und in großer Höhe erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Malignität“, fasst Voskarides zusammen. „Dieser Effekt konnte kaum durch natürliche Selektion eliminiert werden, da die meisten Krebsarten später im Alter auftreten, nachdem die meisten Menschen bereits Kinder haben.“ Gleichzeitig fordert er von Kollegen, alte Denkmuster zu verlassen: „Die meisten Mediziner glauben, dass sich in der Krebsgenetik alles um somatische Mutationen dreht. Das ist nicht wahr.“ Bei somatischen Mutationen kommt es zu DNA-Schäden in Körperzellen, etwa durch Umwelteinflüsse. Geschlechtszellen, also Sperma- und Eizellen, sind davon ausgenommen. Diese Änderungen können Krebs auslösen, werden aber folglich nicht an Nachkommen weitergegeben.