Welche Auswirkungen der Musikgeschmack auf die Gesundheit haben kann, untersucht eine amüsante Studie. Sie hat sich das Genre des Heavy Metal vorgenommen – und kommt, wie könnte es anders sein, aus Finnland.
Zugegeben: Auf Nicht-Fans können Heavy Metal und die dazugehörige Subkultur ziemlich befremdlich wirken. Gewaltverherrlichende Songtexte, verstörende Album-Cover und betrunkene Massen, die sich im Mosh Pit die Köpfe einschlagen – so ist für manche der erste Blick von außen. Ikonen der Metal-Gemeinde wie Lemmy Kilmister sind auch nicht wirklich Vorbilder für einen gesunden Lifestyle. Kein Wunder, dass Nicht-Initiierte Mutmaßungen anstellen, dass das ja keinen guten Einfluss auf den Menschen haben könne, weder auf den Einzelnen noch die Gemeinschaft im Ganzen.
Fans werden an dieser Stelle natürlich sofort widersprechen: Die extreme Musik stelle ein wertvolles Ventil für negative Emotionen dar; mit dem lyrischen Fokus auf Überleben, Stärke, Gemeinschaft und Rebellion kann sie auch eine Ressource sein, um mit persönlichen Problemen umzugehen. Nicht zuletzt verbindet die Liebe zu einer Musik abseits des Mainstreams und schafft ein Gefühl von Solidarität und Gemeinschaft – was sich natürlich nur positiv auf die Gesundheit auswirken kann. Durch Interaktion der Fans mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft können die positiven Effekte auch übertragen werden, so die Hypothese.
Vereinzelte Studien haben sich bereits mit der Frage beschäftigt, inwiefern Musikkonsum die Gesundheit beeinflusst. Vielleicht ist die Frage also gar nicht ganz so abwegig, ob und wie sich Schwermetall im Blut – im übertragenen Sinne – auf das Allgemeinwohl auswirken kann. Immerhin hat eine entsprechende Studie es nun ins BMJ geschafft: Ein finnisches Forscherteam untersuchte in einer pseudonomysierten Registerstudie, ob die Dichte von Metal-Bands mit Krankenhauseinweisungen und Mortalität zusammenhängt. Wenn das mal nicht einen genaueren Blick wert ist!
Finnland stellt natürlich eine ideale Umgebung für eine solche Studie dar, handelt es sich doch um das Land mit den weltweit meisten Metal-Bands pro Einwohner. Innerhalb des Landes variiert die Metal-Durchdringung aber deutlich, was einen guten Vergleich zwischen verschiedenen Regionen erlaubt. Auf Grundlage des umfassenden Internet-Archivs Encyclopaedia Metallum konnten 3.462 Metal-Bands und ihre genaue Herkunft identifiziert werden. Von den insgesamt 311 finnischen Kommunen gab es in 122 Kommunen keine einzige Band, die anderen Kommunen wurden entsprechend ihrer Dichte an Bands pro 10.000 Einwohner in drei Kategorien unterteilt. Gesondert gezählt wurden die größeren Städte, in denen sich die Bands tendenziell tummelten (8,2–11,2 Bands pro 10.000 Einwohner). Die Berechnung bezog sich dabei auf die Anzahl Einwohner zwischen 15 und 70 Jahren in den Kommunen im Jahr 2018.
Für Mortalität und Krankhauseinweisungen (inklusive Ursachen) wurden offizielle Daten von Statistics Finland verwendet. Beobachtet wurde im Zeitraum von 2002 bis 2017, neben der Anzahl Tode, wie oft Personen mindestens einmal pro Jahr im Krankenhaus vorstellig wurden und aus welchen Gründen. Auch Daten zu einer Reihe an individuellen Charakteristika wie beispielsweise Geschlecht, Alter und ökonomische Lage sowie Gemeindemerkmale wie Arbeitslosigkeit, Religionszugehörigkeit und Investitionen in Bildung und Kultur flossen in die Auswertung mit ein.
Grundsätzlich stellten die Forscher fest, dass es im Mittel nur leichte Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen mit unterschiedlicher Band-Dichte gab. Die metallfreien Gemeinden zeichneten sich dadurch aus, dass sie etwas religiöser waren, eine etwas geringere Arbeitslosenquote und mehr Investitionen in Kultur und Bildung aufwiesen. Außerdem waren diese Gegenden im Schnitt deutlich ländlicher als ihre Vergleichsgruppen.
Bei der Auswertung der Mortalitätsraten unter statistischer Berücksichtigung aller erhobenen individuellen und gemeinschaftlichen Charakteristika fiel auf, dass die Städte mit einer hohen Banddichte tatsächlich einen kleinen Gesundheitsvorteil genossen: Mit einem Hazard Ratio von 0,92 (95 % CI 0,88–0,96) hatten die Heavy-Metal-Stadtbezirke eine immerhin um 8 % niedrigere Mortalität als die Vergleichsgemeinden ohne Schwermetallbelastung, bezogen auf alle Todesursachen. Bei genauerer Aufschlüsselung zeigte sich insbesondere bei auf Alkoholkonsum zurückzuführende Tode die größte Differenz: Mit einem HR von 0.83 (95 % CI 0,75–0,93) konnten die Forscher ein um 17 % reduziertes Risiko ausmachen.
Auch bei den Krankenhauseinweisungen waren Effekte zu beobachten: Bei Betrachtung aller möglichen Ursachen ergaben sich zwar insgesamt keine nennenswerten Unterschiede, jedoch zeigte sich auch hier ein geringeres Risiko für alkohol-bedingte Zwischenfälle in den Heavy Metal Cities. 0,84 betrug der HR (95 % CI 0,74–0,97). Interessanterweise taten sich auch die Gegenden außerhalb von Städten mit der höchsten Dichte an Bands in einem Aspekt hervor: Sie hatten die geringste Rate an Einweisungen wegen Selbstverletzung (HR 0,79; 95 % CI 0,65–0,96). Die Subgruppenanalyse zeigte übrigens, dass diese Assoziationen auch relativ unabhängig vom Geschlecht der Einwohner bestanden.
Die Forscher fassen also zusammen: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die Dichte von Heavy-Metal-Bands positiv auf die Gesundheit von Erwachsenen auswirken könnte, insbesondere in Städten.“ Woran das liegen mag? Da lässt sich spekulieren. Unter anderem könnte die Musik bei der Bewältigung von Depressionen helfen – eine andere Studie zeigte beispielsweise, dass das Hören extremer Musik auf individueller Ebene bei der Verarbeitung von Wut und persönlichen Schwierigkeiten helfen kann. Dazu passt auch, dass der Gesundheitsvorteil auf alkoholbedingte Ursachen zurückzuführen zu sein scheint: Die Musik und dazugehörige Community könnten helfen, schädliche Bewältigungsmechanismen wie Alkoholmissbrauch zu vermeiden.
Auch eine Besonderheit der finnischen Metal-Szene ziehen die Studienautoren zur Erklärung heran: „Viele finnische Heavy-Metal-Songs sind von Folklore und Mythen inspiriert, in denen Wälder und die Natur beschworen werden“. Möglicherweise regt der starke Naturbezug (als Beispiel sei hier einmal das finnische Schwergewicht Nightwish genannt, die der Schönheit der Natur und der Evolution ein ganzes Album gewidmet haben) gerade Stadtbewohner zu vermehrten Aufenthalten in Wäldern und Grünflachen an und lädt den ein oder anderen zu regelmäßigen gesundheitsfördernden Spaziergängen ein. Oder ist es doch die ganze Bewegung beim Headbangen?
Natürlich ist es schwierig, die Gesundheitseffekte einer spezifischen Spielart von der generellen kulturellen Umgebung zu trennen. Es ist anzunehmen, dass Metal-Bands – so wie andere Bands auch – vor allem in einem Umfeld entstehen, dass grundsätzlich künstlerische Entfaltung fördert. Von daher ist es sehr gut möglich, dass die etwas verbesserte Gesundheit in den Heavy Metal Cities nicht direkt mit der Banddichte zusammenhängt, sondern viel mehr von anderen nicht erfassten Faktoren beeinflusst wird, die ihrerseits mit der Band-Dichte korrelieren. So fordern die Studienautoren weitere Forschung auf dem Gebiet: „Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, die möglichen biologischen, verhaltensbezogenen und sozialen Vermittler gründlich zu untersuchen, um die Mechanismen zu ermitteln, durch die Heavy Metal oder andere Musikgenres mit der Gesundheit in Verbindung gebracht werden könnten.“
Grundsätzlich sollte man die Ergebnisse der Studie natürlich nicht zu genau nehmen. Es ist immer möglich, dass sich in der langen Beobachtungszeit potentiell relevante Charakteristika verändert haben oder schlicht nicht mit einkalkuliert wurden. Auch ist die regionale Variabilität durch die Kommunen möglicherweise nicht korrekt abgebildet und eine kleinteiligere Beobachtung wäre nötig. Nicht zuletzt ist auch die Exposition zur Variable Heavy Metal keine Konstante: Wie viel oder wenig Metal-Musik in den Kommunen gemacht bzw. gehört wurde, dürfte sich über den Beobachtungszeitraum von 17 Jahren verändert haben. Die Autoren verweisen darauf, dass in Finnland die Anzahl an Suchanfragen zu „Heavy Metal“ auf Google in dem Zeitraum abgenommen haben.
Ob das ein sinnvolles Maß für das Interesse an Metal im Allgemeinen ist, sei allerdings auch einmal dahingestellt. Wenn die Metal-Community eines liebt, dann ist es die Erfindung immer neuer spezifischerer Subgenres, die das Suchinteresse vom Sammelbegriff Heavy Metal ablenken bzw. aufspalten dürften. An dieser Stelle stellt sich dann natürlich auch die neue Frage, ob die verschiedenen Subgenres einen unterschiedlichen Einfluss auf die Gesundheit haben können. So unterscheiden sich extremere Vertreter wie Death Metal oder Grindcore lyrisch und stilistisch ja deutlich von melodischeren Spielrichtungen wie dem Folk oder Symphonic Metal. Fragen über Fragen!
Aber unabhängig vom wissenschaftlichen Wert und davon, wie signifikant die positiven Effekte nun sind, demonstriert diese Studie ein weiteres Mal, was Fans schon seit langem wissen: Egal was mancher munkeln mag, Heavy Metal ist der Gesundheit jedenfalls nicht abträglich. In diesem Sinne also – Rock on!
Bildquelle: Luuk Wouters, unsplash.