Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) fordert einschneidende Änderungen am Betäubungsmittelgesetz – etwa Schadensminimierung statt Abstinenz. Politiker halten einen Paradigmenwechsel auch für überfällig. Sie denken laut über den medizinischen Einsatz von Cannabis nach.
Zeitreise in das Jahr 1971: Als das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verabschiedet wurde, hatten Politiker ein erklärtes Ziel. Sie wollten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen die überbordende Drogenwelle angehen. Erfolge blieben aus. „Im folgenden Jahrzehnt verhinderte eben dieses BtMG eine rasche und pragmatische Antwort auf die rasante Ausbreitung des AIDS-Virus unter den Heroinabhängigen, weil Substitution verboten war und das Prinzip der Schadensminderung in Deutschland offiziell nicht anerkannt war“, schreibt die DGS.
Die Kritik blieb nicht aus. Und so entschlossen sich Politiker, 1982 einen Passus über „Therapie statt Strafe“ einzubringen. Im Jahr 2014 folgte mit der Bundestagsdrucksache 18/2937 ein Überblick zu Novellierungen. Defizite sieht die DGS unter anderem bei der Einrichtung von Drogenkonsumräumen, bei der unsicheren Rechtslage für Substitutionsärzte, bei der Abgabe von Heroin zur Substitutionsbehandlung und bei der Abgabe von Einmalspritzen in Haftanstalten. Damit nicht genug: Seit 1994 hätten es Bund und Länder nicht geschafft, das Prinzip „Hilfe statt Strafe“ im Auftrag des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen, heißt es weiter. Einheitliche Obergrenzen für den Besitz von Cannabis fehlen bislang.
Jetzt fordern DGS-Mitglieder, BtMG-Inhalte auf den Prüfstand zu stellen. „Das Abstinenzdogma war die suchtmedizinisch-wissenschaftliche Grundlage für die kompromisslose Ausrichtung des Gesetzes – deshalb ist der Gesetzgeber gut beraten, das BtMG zu überprüfen.“ Experten sehen hier die Schadensminimierung im Mittelpunkt, analog zum kontrollierten Trinken bei Alkoholabusus. Bei neuen psychoaktiven Substanzen gäbe es bislang nur Verbote. Sinnvoll wäre, Drogen straffrei auf ihre Zusammensetzung zu überprüfen, wie heute schon in der Schweiz, in Österreich oder in den Niederlanden. Und nicht zuletzt ist Cannabis ein Thema. „Das BtMG hat die Erforschung medizinischer Eigenschaften des Hanfs mehrere Jahrzehnte lang behindert“, heißt es in der Resolution. Stattdessen seien Patienten „zu Kriminellen erklärt worden“. Das könnte sich bald ändern: Marlene Mortler, Drogenbeauftragte der Bundesregierung, hat erklärt, den Cannabis-Gebrauch für medizinische Indikationen zu erleichtern.