Der Januar ist da, das E-Rezept nicht. Für Ärzte und Apotheker ist das erst mal eine große Erleichterung. Aber ausruhen dürfen wir uns auf dem erneuten Scheitern der Gematik nicht.
Für so manchen Apotheker war es das beste Weihnachtsgeschenk – und der ein oder andere Arzt sieht das sicher ebenso. Was ich meine: Das E-Rezept wurde nun doch nicht verpflichtend zum 1. Januar 2022 eingeführt. Der bundesweite Start wurde vom neuen Bundesgesundheitsminister Lauterbach gestrichen und ein neuer Termin steht nicht einmal fest; von Verschieben zu sprechen, wäre daher schon beinahe euphemistisch. Ein grandioses Versagen auf ganzer Linie für die Gematik, aber wir sind immerhin noch mit einem blauen Auge davongekommen.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn man sich nicht eingestanden hätte, dass das E-Rezept noch nicht reif für die Einführung ist. Kaum vorstellbar, wenn das Projekt als „too big to fail“ betrachtet worden wäre und der große bundesweite Rollout stattgefunden hätte. Etwa zwei Millionen Rezepte am Tag hätten schlicht nicht beliefert werden können. Eine Katastrophe für die Patienten, die auf eine zeitnahe und zuverlässige Belieferung mit Arznei- und Hilfsmitteln angewiesen sind.
Am Montag kam das Schreiben des Bundesgesundheitsministeriums bei der Gematik an. Darin heißt es wörtlich, dass „die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehen“. Der „kontrollierte Test- und Pilotbetrieb [soll] in den kommenden Wochen schrittweise fortgesetzt und ausgeweitet werden“. Das ist auch notwendig, denn bisher sind tatsächlich nur 42 E-Rezepte auf den Weg gebracht worden, bei denen die Übertragung vom Arzt über Gematik zur Apotheke korrekt funktionierte.
Bekannt wurde jedoch ebenfalls – und zwar bereits nach dem 8. „Konnektathon“ der Gematik Mitte November, – dass es auch an der Abrechnung mit den Krankenkassen scheitert. Dass die Probleme größer sind als gedacht, war allerdings schon seit dem siebten Zusammentreffen auf der Veranstaltung der Gematik klar. Diese richtete sich an alle Primärsystemersteller, die die Schnittstellen zum E-Rezept-Fachdienst und die FHIR-Profile der KBV für elektronische Verordnungen bereits implementiert haben, und an die Apothekenrechenzentren, die mit der Abrechnung der E-Rezepte befasst sind. Zu viele scheiterten an der Teilnahmevoraussetzung. Die sah vor, dass das Primärsystem die Testfälle im Gematik-Testtool Titus durchführen und die fachlichen Inhalte gemäß FHIR-Profil der KBV erstellen oder verarbeiten kann und das zuständige Abrechnungszentrum dazu in der Lage ist, E-Rezept Abrechnungsdatensätze zu verarbeiten.
Es waren überhaupt nur 24 der rund 120 Praxisverwaltungssysteme anwesend. Ein Teilnehmer berichtete ernüchtert: „Ein kompletter Durchlauf von Verordnung bis Abrechnung konnte offensichtlich noch nicht abgebildet werden. Es waren nur einzelne Teilnehmer dazu in der Lage, aber die große Mehrheit konnte das noch nicht.“ Und selbst die, bei denen es letztendlich tatsächlich funktioniert hatte, ein Rezept zu empfangen, zu bearbeiten und abzurechnen konnten das nur über einen FTP-Server statt über die vorgesehene Webschnittstelle tun.
Ein weiterer Stolperstein hat sich in den vergangenen Tagen offenbart, als plötzlich bekannt wurde, dass es bei der Abrechnung Probleme mit der Signatur der Gematik selbst gibt. Die Deutsche Apotheker Zeitung berichtete, dass der technische Standard, den die Gematik für ihre Signatur nutzt, veraltet und nicht kompatibel mit der aktuellen Version sei, deren Nutzung eigentlich EU-weit vorgeschrieben ist. Dies erkannten erst die Krankenkassen, denn die Rechenzentren besitzen keine Konnektoren, mit deren Hilfe sie die Signaturen prüfen könnten.
Problematisch ist ebenfalls, dass sie keinen qualifizierten Zeitstempel nutzen. So könnten Betrüger mit einem gestohlenen HBA E-Rezepte ausstellen und sie zurückdatieren. Sie würden dann nicht als falsch erkannt werden. Für die Prüfung der Signaturen können außerdem verschiedene Produkte zum Einsatz kommen, deren Funktionsweisen voneinander abweichen. So sei es möglich, dass ein E-Rezept-Datensatz alle Kontrollinstanzen passiert, von der Kasse aber letztlich als falsch eingestuft und abgelehnt wird.
Wie man sieht, bestehen die Probleme nicht nur auf Seiten der Abrechnungs- und Softwarehäuser, auch die Gematik hat noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen, bevor man daran denken kann, ein neues Einführungsdatum auszurufen. Eine weitere Schlappe dieser Art würde die Gematik nicht verkraften, die mit der abgeblasenen E-Rezept-Einführung ohnehin ihr Gesicht verloren hat. „Deutschland und Digitalisierung, das passt einfach nicht zusammen“, hört man allerorten. Und all diejenigen, die die ganze Zeit über behauptet hatten, bereit fürs E-Rezept zu sein, müssen sich nun eingestehen, dass sie sich und anderen offensichtlich nur etwas vorgemacht haben.
Die meisten Apotheker und Ärzte wird es sicherlich eher freuen, dass sie erst einmal mit dem vertrauten Muster-16-Rezept weitermachen können – für die ausländischen Versender ist das abgesagte E-Rezept dagegen ein SuperGAU. Die Aktien der Shop Apotheke Europe und der DocMorris-Mutter Zur Rose brachen nach der Bekanntgabe der Nachricht ein. Zu sehr hatte man in den letzten Wochen und Monaten die Werbetrommel für die Einführung des E-Rezeptes gerührt.
Sich nun auf der Tatsache auszuruhen, dass es nicht geklappt hat, geht aber auch nicht. Das E-Rezept wird kommen. Irgendwann. Wir müssen uns weiterhin mit den Folgen auseinandersetzen.
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