Das humanspezifische Gen ARHGAP11B sorgt für die vermehrte Bildung von basalen Hirn-Stammzellen. Dies wiederum löst eine Auffaltung der Großhirnrinde aus, was zu einem größeren Großhirn führt. Das Gen spielt somit eine Rolle in der evolutionären Großhirnrinden-Expansion.
Forschern am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden ist es gelungen, ein Gen zu identifizieren, das nur im Menschen vorkommt und zur Vermehrung der sogenannten basalen Hirn-Stammzellen beiträgt. Dadurch kann es eine Auffaltung der Großhirnrinde auslösen. Das Gen ARHGAP11B ist nur im Menschen und unseren nächsten ausgestorbenen Verwandten, dem Neandertaler und Denisova-Menschen, nicht aber im Schimpansen zu finden. Es bringt Hirn-Stammzellen dazu, einen größeren Pool an Stammzellen zu bilden. Dadurch können während der Gehirnentwicklung mehr Nervenzellen entstehen und das Großhirn expandiert. Dieser Bereich unseres Gehirns ist für höhere kognitive Leistungen wie Sprechen oder Denken verantwortlich.
Bei ihren Arbeiten entwickelten die Forscher um Prof. Dr. Wieland B. Huttner eine Methode, mit der man spezielle Subpopulationen von Hirn-Stammzellen aus dem sich entwickelnden menschlichen Großhirn gewinnen kann. Die Wissenschaftler isolierten zunächst verschiedene Stamm- und Vorläuferzelltypen aus foetalem Großhirngewebe von Menschen und Mäusen. Dann verglichen die Forscher die Gene, die in diesen diversen Zelltypen aktiv sind, und konnten 56 Gene identifizieren, die nur im Menschen vorkommen und eine Rolle bei der Gehirnentwicklung spielen könnten. „Uns fiel auf, dass das Gen ARHGAP11B insbesondere in den sogenannten basalen Hirn-Stammzellen aktiv ist. Diese Zellen sind für die Expansion der Großhirnrinde im Laufe der Evolution besonders wichtig“, so Marta Florio, Doktorandin, die den Hauptteil der Untersuchungen durchführte. Bei den weiteren Arbeiten richteten die Forscher ihr Augenmerk auf die Funktion dieses speziellen Gens. Wenn es im Menschen tatsächlich dafür sorgen sollte, dass mehr Hirn-Stammzellen und damit ein vergrößertes Großhirn gebildet werden, dann sollte dieses menschenspezifische Gen im kleineren Maushirn Ähnliches bewirken. Sie brachten das Gen in Mausembryonen ein, und tatsächlich: Diese bildeten unter dem Einfluss des menschlichen Gens deutlich mehr Hirn-Stammzellen. In der Hälfte der Fälle faltete sich die Großhirnrinde sogar, wie es beim Menschen besonders ausgeprägt ist. All diese Befunde legen nahe, dass dem Gen ARHGAP11B eine Schlüsselrolle in der evolutionären Expansion der menschlichen Großhirnrinde zukommt. Großhirnrinde eines Mausembryos. Die Zellkerne sind blau gefärbt und tiefer liegende Nervenzellen sind in rot zu erkennen. © MPI f. molekulare Zellbiologie und Genetik
Dafür sprechen auch die Daten der an der Studie beteiligten Forscher um Svante Pääbo vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Sie bestätigten nämlich, dass ARHGAP11B nicht nur in unserem Genom vorkommt, sondern auch schon in Neandertalern und Denisova-Menschen existierte. Neandertaler hatten ein ähnlich großes Gehirn wie der Mensch. „ARHGAP11B ist das erste menschenspezifische Gen, von dem gezeigt werden konnte, dass es zur Vermehrung der relevanten, sogenannten basalen Hirn-Stammzellen beiträgt und eine Großhirnrindenfaltung auslösen kann. Damit sind wir der Evolution wieder etwas mehr auf die Spur gekommen“, fasst Huttner die Studie zusammen. Originalpublikation: Human-specific gene ARHGAP11B promotes basal progenitor amplification and neocortex expansion Marta Florio et al.; Science, doi: 10.1126/science.aaa1975; 2015