Eine bestimmte Gruppe von Lymphozyten kann bei MS Entzündungsreaktionen fördern und verstärken. Das fand ein internationales Forscherteam heraus. Die Ergebisse liefern einen neuen Therapieansatz für entzündliche Erkrankungen des ZNS.
Bei den Innate Lymphoid Cells 3 (ILC3-Zellen) handelt es sich um eine Gruppe von Lymphozyten. Sie schützen den Körper, indem sie dem Immunsystem dabei helfen, nützliche Mikroben (wie beispielsweise Darmbakterien) zu tolerieren und Entzündungen im Verdauungstrakt und in anderen Organen zu unterdrücken. Normalerweise kommen die ILC3-Zellen nicht im Gehirn vor. Bei autoimmun-entzündlichen Erkrankungen können sie jedoch aus der Blutbahn in das zentrale Nervensystem (ZNS) gelangen.
„Unsere Arbeit erweitert das Wissen über die immer noch unzureichend erforschten ILC3-Zellen. Wir konnten zeigen, dass sich verschiedene Typen dieser Immunzellen an unterschiedlichen Stellen im Körper finden, die unter bestimmten Voraussetzungen eine schützende oder eine schädigende Wirkung haben können“, erläutert Prof. Ari Waisman, Leiter des Instituts für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz.
Unter der Leitung von Waisman und Dr. Gregory Sonnenberg, Professor für Mikrobiologie und Immunologie an der Cornell Universität (Weill Cornell Medicine) in New York, untersuchte ein internationales Forscherteam, inwieweit die ILC3-Immunzellen am Krankheitsgeschehen von entzündlichen ZNS-Erkrankungen beteiligt sind. Im Tiermodell konnten die Wissenschaftler zeigen, dass die ILC3-Zellen im ZNS anstatt einer entzündungshemmenden eine entzündungsfördernde Wirkung haben.
„Eine entscheidende Erkenntnis für uns war, dass der entzündungsfördernde ILC3-Zelltyp erst im ZNS reifte. Diese ILC3-Zellen fungierten im Gehirn als sogenannte Antigen-präsentierende Zellen: Sie zeigten den T-Zellen, einer anderen Gruppe von Immunzellen, Teile des Myelinproteins. Dieses ist Hauptbestandteil der Isolierschicht um die Nervenfasern. Auf diese Weise regten sie die T-Zellen dazu an, gegen Myelinbestandteile gerichtete Entzündungsprozesse auszulösen. Die dadurch verursachten Nervenschäden führten im Tiermodell zu MS-ähnlichen Krankheitssymptomen“, erklärt Dr. Tommy Regen, Wissenschaftler am Institut für Molekulare Medizin der Universitätsmedizin Mainz und einer der Studienautoren.
Die Untersuchungen fanden maßgeblich im Tiermodell der Multiplen Sklerose (MS), der sogenannten Experimentellen Autoimmunen Enzephalomyelitis (EAE), statt. Um zu prüfen, ob die Erkenntnisse auch auf die Situation im menschlichen Körper übertragen werden können, untersuchten die Wissenschaftler zudem Blut und Gewebe von MS-Erkrankten. Auch in diesen Proben konnten sie entzündliche ILC3-Zellen nachweisen.
Ausgehend von den neuen Erkenntnissen entdeckten die Forschenden darüber hinaus zwei unterschiedliche Ansätze, mit denen T-Zell-vermittelte Entzündungsreaktionen gehemmt werden können. Im Tiermodell konnten sie eine EAE-Erkrankung zum einen verhindern, indem sie den ILC3-Zellen ein Schlüsselmolekül entzogen, das für die Antigenpräsentation notwendig ist. Neben dieser direkten Hemmung der Aktivität inflammatorischer ILC3-Zellen gelang es den Wissenschaftlern im Tiermodell, ILC3-Zellen so zu verändern, dass sie der Aktivität der autoreaktiven T-Zellen entgegenwirkten.
„Wir haben gezeigt, dass die schützenden Eigenschaften von ILC3-Zellen im Darm therapeutisch nutzbar gemacht werden können. Mit Hilfe genetischer Veränderungen haben wir diese Zellen dazu gebracht, dauerhaft ein Myelin-Antigen zu präsentieren. Das führte letztlich zu einer immunologischen Toleranz des Körpers gegenüber diesem Antigen und verhinderte so eine EAE-Erkrankung“, erläutert Regen.
Von der chronisch-entzündlichen ZNS-Erkrankung MS sind weltweit mehr als zwei Millionen Menschen betroffen, davon mehr als 200.000 in Deutschland. Auch bei anderen weit verbreiteten neurologischen Erkrankungen, darunter Alzheimer und Parkinson, spielen chronisch-entzündliche Prozesse im ZNS eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass sie den altersbedingten kognitiven Abbau beim Menschen entscheidend beeinflussen. In jüngster Zeit wurden entzündliche T-Zell-Reaktionen im Gehirn zudem mit neurologischen Symptomen im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Infektion in Verbindung gebracht.
„Unsere Erkenntnisse könnten die Basis für weiterführende Forschungsaktivitäten zu neuen Behandlungsoptionen für MS und andere Erkrankungen bieten, die mit einem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen einhergehen“, betont Waisman.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: David Kovalenko, unsplash.