Bei Menschen mit Lynch-Syndrom besteht ein Zusammenhang zwischen der Komposition der Immunzellen in der Darmschleimhaut und der Entwicklung von Darmtumoren. Das zeigen jetzt erstmals Heidelberger Forscher.
Darmkrebs ist eine der häufigsten Tumorarten weltweit. Ein wesentlicher Teil der Darmtumoren ist erblich bedingt. Das gilt insbesondere für solche, die bei jungen Menschen auftreten. Das häufigste erbliche Darmkrebssyndrom ist das Lynch-Syndrom. Dieser vererbbare Gendefekt erhöht das Risiko, an Tumoren des Darms, der Gebärmutter und anderer Organe zu erkranken, drastisch. Doch nicht alle Menschen, bei denen das Lynch-Syndrom festgestellt wurde, sogenannte Anlageträger, entwickeln im Laufe ihres Lebens Tumoren. Fachleute schätzen das Risiko für Betroffene, an Darmkrebs zu erkranken, auf ungefähr 50 Prozent. Bisher waren die Risikofaktoren, die dazu führen, dass Anlageträger einen Tumor entwickeln, weitgehend unbekannt. Das sollte sich durch die jetzt vorgestellte Studie der Forscher des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und des Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg ändern.
Aysel Ahadova, Leiterin der aktuellen Studie, erläutert: „Tumoren bei Patienten, die das Lynch-Syndrom tragen, sind auffällig stark mit Immunzellen infiltriert. Zudem konnten wir in früheren Arbeiten spezifische Immunantworten im Blut von Anlageträgern nachweisen, obwohl diese noch keinen Tumor entwickelt hatten.“ Dies deutet darauf hin, dass eine spezifische Immunreaktion beim Lynch-Syndrom existieren kann noch bevor ein Tumor entsteht. Jedoch war es bisher unklar, ob solche Immunreaktionen auch lokal im gesunden Darmgewebe auftreten.
Die Forscher haben diese Frage nun beantwortet. Sie untersuchten einerseits die tumorferne Darmschleimhaut von Lynch-Syndrom-Tumorpatienten und andererseits die Darmschleimhaut von Anlageträgern ohne Tumorvorgeschichte quantitativ auf die Immunzellkomposition. Zudem erstellten sie ein umfassendes Gen-Expressionsprofil der Gewebeproben und verglichen dieses mittels moderner bioinformatischer Verfahren mit dem Expressionsprofil im Tumorgewebe.
Lena Bohaumilitzky, Erstautorin der veröffentlichten Studie, erläutert: „Diese Analysen zeigen, dass die Immunzellkomposition der Darmschleimhaut sich quantitativ und qualitativ deutlich von der im Tumorgewebe unterscheidet. Während die Darmschleimhaut mehr immunaktiviertes Milieu aufwies, waren in den Tumoren immunsuppressive Zellpopulationen überrepräsentiert.“ Eine zusätzliche neue Erkenntnis: Menschen mit Lynch-Syndrom, die zum Zeitpunkt der Untersuchung an einem Darmtumor leiden, besitzen in der tumorfernen Darmschleimhaut ein Immunprofil, welches deutlich von der Darmschleimhaut bei den Anlageträgern ohne Tumorvorgeschichte abgrenzbar ist.
Matthias Kloor, Leiter der Arbeitsgruppe Immunbiologie der MSI (Mikrosatelliteninstabilität) Tumoren, sagt: „Um zu klären, ob dies ein Hinweis auf eine tumorsupprimierende Wirkung von Immunzellen im Darm sein könnte, haben wir untersucht, ob die Immunreaktion im Darm mit der durchschnittlichen Zeit bis zum Auftreten eines Tumors zusammenhängt.“ An Proben von Lynch-Anlageträgern aus einer anderen Studie konnten die Studienbeteiligten einen bisher unbekannten Zusammenhang beobachten: Je mehr Immunzellen sich am Anfang der Beobachtungszeit in der Darmschleimhaut befanden, desto länger dauerte es, bis ein Tumor entstand. Darüber hinaus macht die Studie deutlich, dass die Immunaktivierung beim Lynch-Syndrom sich lange vor der Tumorentstehung nachweisen lässt.
Generell ist eine frühzeitige Lynch-Syndrom-Diagnostik von großer klinischer Relevanz. Sie identifiziert Anlageträger noch vor der Tumorentstehung und ermöglicht ihnen die Teilnahme an spezialisierten Vorsorgeprogrammen. Genau dieses Ziel verfolgt auch ein weiteres Projekt von Aysel Ahadova und Mitautorin Elena Busch, das am NCT Heidelberg durch das Programm „Spenden gegen Krebs“ gefördert wird. Dabei untersuchen die beiden Forscherinnen, inwiefern die Immunreaktion im Blut zur Identifikation von Menschen mit Lynch-Syndrom dienen kann.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg. Die Originalveröffentlichung haben wir euch im Text und hier verlinkt.
Bildquelle: FLY:D, unsplash