Mobbing ist eine verheerende Form der Diskriminierung, die vor allem als vorübergehendes Jugend-Phänomen gilt. Tatsächlich sind große Teile der Erwachsenen involviert: Sowohl für Opfer als auch Täter hat Mobbing fatale Konsequenzen, wie Metaanalysen belegen.
In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse von 47 Studien mit insgesamt mehr als 400.000 teilnehmenden Jugendlichen beobachtete ein amerikanisches Forscherteam für alle am Mobbing beteiligten Gruppen deutliche Assoziationen zwischen psychosozialer Tyrannei und Suizidalität: „Opfer, Täter und jene, die sowohl mobben als auch gemobbt werden, zeigen signifikant häufiger suizidale Gedanken und Handlungen als unbeteiligte Jugendliche“, fasst Projektleiterin Melissa Holt zusammen, Assistenzprofessorin für Beratungspsychologie an der Boston University. Bisher hatte der Fokus in diesem Forschungsbereich mehrheitlich auf den Auswirkungen für die Opfer gelegen. Wenn auch für die Täter im Vergleich am geringsten ausgeprägt, lag das Risiko für suizidale Denk- und Verhaltensweisen bei Opfern, Tätern und den Täter-Opfern, die in beide Rollen schlüpfen, mindestens doppelt so hoch wie bei Unbeteiligten. Überlegungen zur Selbsttötung machten sich dabei eher in den Köpfen der Mädchen breit, selbstverletzende Taten wurden jedoch wesentlich häufiger bei den männlichen Vertretern aller drei Rollen beobachtet. Die am stärksten ausgeprägte Assoziation fand sich jedoch in allen Belangen bei den Täter-Opfern. Sie zeigten eine mehr als vierfach erhöhte Chance für suizidales Verhalten als Unbeteiligte, die männliche Subpopulation sogar mehr als sechsfach.
Mit dem Suizidverhalten jüngerer Mobbing-Opfer hatte sich vor rund einem Jahr bereits ein niederländisches Forschertrio in einer Zusammenschau aus 34 Studien eingehender auseinandergesetzt und ähnliche Zusammenhänge aufdecken können. Das Risiko für das Auftreten suizidaler Gedankengänge lag hier bei den Gemobbten ebenfalls mehr als doppelt so hoch wie bei den Unbeteiligten. Noch deutlicher wurde die Gefahr des Mobbings bei den tatsächlichen Suizidversuchen. Nur eine der neun in Frage kommenden Studien offenbarte kein signifikant erhöhtes Risiko für Selbsttötungsversuche bei den jugendlichen Mobbing-Opfern. Studienleiter Mitch van Geel betrachtet die gesammelten Ergebnisse daher als eindeutigen Beweis für die gesundheitliche Gefährdung, die vom Mobbing ausgeht: „Manche Leute glauben, dass Mobbing zum Erwachsenwerden dazugehöre, dass es relativ harmlos sei oder sogar den Charakter stärke. Nun zeigen Metaanalysen, dass Mobbing mit Depressionen, psychosomatischen Problemen und sogar Suizidversuchen assoziiert ist. Die Schlussfolgerung sollte daher lauten, dass Mobbing alles andere als harmlos ist.“
Die psychosoziale Sprengkraft der systematischen Drangsal lässt sich daran messen, dass ihr Echo mitunter noch Jahrzehnte später nachhallt. Wer in der Kindheit oder Jugend regelmäßig gemobbt wurde, leidet auch noch mehr als 30 Jahre danach eher an psychischen Störungen im Sinne von Depressionen, Angststörungen und Suizidalität. Darüber hinaus besteht bei ehemaligen Mobbing-Opfern im mittleren Alter eine signifikante Assoziation zu sozialen und finanziellen Schwierigkeiten sowie einer als niedrig empfundenen Lebensqualität. Diese Langzeiteffekte des Mobbings blieben auch dann erhalten, wenn potenzielle Störgrößen wie der IQ, der sozioökonomische Status der Eltern, Drogen- und Alkoholprobleme, familiäre Konflikte sowie körperliche und sexuelle Gewalterfahrungen berücksichtigt wurden. Zu derart weitreichenden Folgen führe Mobbing in erster Linie, wenn es den Betroffenen in der weiterführenden Schule widerfahre: „Hier muss man durchaus mit etwas wie einem Mini-Trauma rechnen. Das liegt daran, dass der Umgang mit Gleichaltrigen für die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung sehr wichtig ist. Wird man nun während der ganzen weiterführenden Schulzeit gemobbt, fehlt einem der Umgang mit Gleichaltrigen und dieses Defizit kann man im weiteren Leben nicht mehr aufholen. Diese Phase gibt es im Leben nicht noch einmal“, betont Dr. Mechthild Schäfer, Entwicklungspsychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Im Zuge der Evolution des Internets hin zur wesentlichen Kommunikationsplattform hat sich zudem das Cybermobbing rasch als populäre Erweiterung herkömmlicher Mobbing-Disziplinen etabliert. In den meisten Fällen nutzen die Täter die digitalen Kanäle vornehmlich für Hänseleien, Beschimpfungen und üble Nachreden. Bei Befragungen des Bündnisses gegen Cybermobbing gaben 8,1 % der Erwachsenen und 16,6 % der Jugendlichen an, bereits zur Zielscheibe solcher Angriffe geworden zu sein. Als Täter gaben sich unter den Schülern sogar 19,9 % zu erkennen, allerdings nur 1,0 % der Erwachsenen. Angesichts dieser außerordentlichen Diskrepanz liegt die Vermutung nahe, dass die Dunkelziffer deutlich höher ist. Bei der Instrumentalisierung neuer Medien stehen die sozialen Netzwerke an vorderster Front, allen voran Branchenprimus Facebook. Ähnlich beliebt ist die Benutzung des Handys oder Smartphones zu Mobbing-Zwecken. Obwohl die digitalen Anfeindungen nicht von Angesicht zu Angesicht getätigt werden, beherbergen auch sie ein zerstörerisches Potenzial für die Psyche der Opfer: Für sich betrachtet liegt die Prävalenz anhaltender Traurigkeit sowie suizidaler Gedanken, Absichten und Versuche jeweils höher als bei jenen, die ausschließlich vis-à-vis schikaniert werden. Alleine tritt das Cybermobbing jedoch kaum auf und findet sich in der Regel im Schlepptau traditioneller Mobbing-Methoden – je mehr Dimensionen die Täter für ihre Vorhaben nutzen, desto stärker leidet die Psyche der Opfer.
Über die Gesamthäufigkeit von Mobbing unter Kindern und Jugendlichen gibt in Deutschland der nationale Zweig der HBSC-Studie (Health-Behaviour in school-aged children) Aufschluss, die im Auftrag der WHO alle vier Jahre bei 11- bis 15-Jährigen durchgeführt wird. Entgegen reißerischer Berichterstattungen und der einhelligen Überzeugung mancher Nostalgiker zeigen die Trends der letzten Jahre eine positive Entwicklung: Zwischen 2002 und 2010 stieg die Rate der Unbeteiligten von 73,3 % auf 81,4 %. Im gleichen Zeitraum sanken dementsprechend die Zahlen der Täter, der Opfer und der Täter-Opfer. Am auffälligsten war dabei der Rückgang männlicher Täter von 16,7 % auf 10,9 % aller Jungen. Doch die Mobbing-Problematik haben Kinder und Jugendliche nicht exklusiv gepachtet. Nach Angaben des Bündnisses gegen Cybermobbing stehen die Großen den Kleinen dabei in nichts nach: Ein Anteil von 28,3 % der Erwachsenen steht 25,3 % der Jugendlichen mit Erfahrungen als Mobbing-Opfer im Beruf bzw. der Schule gegenüber. Unangefochten auf Platz eins erreichen Schüler, Studenten und Azubis die höchsten Mobbing-Quoten (35 %). Gleich dahinter drängen sich jedoch Wissenschaftler und Forscher (29 %) sowie Angehörige von Gesundheitsberufen (28 %) auf dem „Siegertreppchen“. Legt man den Mobbing-Report von 2002 zu Grunde – die letzte umfassende Studie mit repräsentativem Anspruch –, hat sich die Zahl der betroffenen Erwachsenen seither beinahe verdreifacht.
Sucht man nach den Gründen für Mobbing, dreht man sich vermeintlich im Kreis. Entgegen der landläufigen Meinung haben übliche Verdächtige wie der sozioökonomische Status kaum Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, in Mobbing involviert zu sein. Unabhängig vom Wohlstandsindex der Eltern war die Rate der Unbeteiligten im Jahr 2010 in allen Gesellschaftsschichten nahezu identisch. Stattdessen stehen bei den Jugendlichen bereits vor dem Mobbing emotionale und psychosoziale Konflikte im Vordergrund, die vielmehr mit dem Verhalten als dem Gehalt der Eltern zusammenhängen. Bei den Erwachsenen zeichnen sich ähnliche Teufelskreise ab. In einer Beobachtungsstudie unter jungen Ärzten offenbarte sich der bidirektionale Charakter des Mobbings: Depressive Symptome erhöhten das Risiko, in die Opferrolle gedrängt zu werden und umgekehrt. Darüber hinaus stellten Kostev et al. in einer Retrospektive fest, dass die designierten Opfer bereits vor den Anfeindungen signifikant häufiger unter respiratorischen, kardiovaskulären und muskuloskelettalen Erkrankungen litten. Infolge der Demütigung stieg dann die Prävalenz psychiatrischer und neurologischer Leiden wie Depressionen, Angst-, Schlaf- und Somatoformen Störungen bei den Geächteten erheblich an.
In Anbetracht des teils erheblichen Grads der Assoziation zu psychischen Störungen bis hin zur Suizidalität – in der Altersklasse von 15 bis 29 Jahren bildet die vorsätzliche Selbsttötung weltweit die zweithäufigste Todesursache – handelt es sich bei Mobbing mindestens um einen bedeutenden Indikator und Multiplikator, wenn nicht sogar um eine wesentliche Ursache psychischer und sozialer Probleme, die erhöhter Aufmerksamkeit bedürfen. Daher stellt Mobbing unabhängig von der Rolle, dem Alter, dem Geschlecht oder dem Wohlstand stets ein ernstes Warnsignal dar.