Dank ihrer zahlreichen Mutationen ist die Omikron-Variante nicht nur auf menschliche Wirte beschränkt. Doch von der Variante lässt sich auch lernen: Zum Beispiel für die Bekämpfung künftiger Zoonosen.
Inzwischen hat es wohl jeder gehört: Omikron ist auf dem besten Wege, die vorherrschende SARS-CoV-2-Variante in Europa zu werden und damit Delta vom Thron zu stoßen. Nicht nur scheint die Variante besonders infektiös zu sein, auch die Wirksamkeit der Impfstoffe ist gegenüber Omikron herabgesetzt – das konnten nun schon mehrere Studien demonstrieren (wir berichteten). Glücklicherweise kann ein Booster den Impfschutz wieder aufpäppeln (wir berichteten).
Ganze 37 Mutationen im Spike-Protein ermöglichen der neuen Variante die Immunflucht. 15 davon befinden sich an der Rezeptorbindenden Domäne (RBD) – also der Region des Proteins, an die neutralisierende Antikörper binden können, und damit dem Hauptangriffspunkt der Immunabwehr. Von diesen 15 betreffen wiederum 9 eine spezielle Subdomäne der RBD, das sogenannte Rezeptorbindende Motiv (RBM), welches direkt mit den ACE2-Rezeptoren der Host-Zellen interagiert.
In einer neuen Studie, die bisher nur als Preprint vorliegt, untersuchten Forscher weiter, welche Folgen die zahlreichen Mutationen im Spike-Protein der Omikron-Variante mit sich bringen.
Von Anfang an rief die bisher beispielslose Anzahl an Mutationen Fragen nach dem Ursprung der neuen Variante hervor (wir berichteten). In der Mehrzahl konnten diese schon in anderen SARS-CoV-2-Varianten und Sarbecoviren observiert werden, allerdings nur einzeln und nicht alle auf einmal. Und auch komplett neue Mutationen bringt Omikron mit sich. Zwei mögliche Szenarien werden diskutiert: Das erste wäre die Entstehung in immunsuprimierten Menschen. Bei einem geschwächten Immunsystem könnte sich das Virus ungestört vermehren und hätte damit auch die Möglichkeit, über einen kurzen Zeitraum viel öfter zu mutieren. Als zweites Szenario käme aber auch ein Aufenthalt in einem tierischen Zwischenwirt in Frage – als eine „Interspezies-ping-pong-Übertragung“ bezeichnen die Studienautoren das Szenario. Die Mutationen am RBD wären demnach eine Folge der Anpassung des Virus an tierische Rezeptoren.
Um die Wahrscheinlichkeit dieser These zu überprüfen, testeten die Forscher, ob das mutierte Spike-Protein von Omikron an die ACE2-Rezeptoren von Mäusen, Nerzen und Gürteltieren binden kann. Während der Wildtyp und die beiden Varianten Alpha und Beta an keinen der tierischen Rezeptoren binden konnten, gelang es Omikron, über die veränderte RBD an den ACE-2-Rezeptor der Maus zu binden. Verantwortlich dafür ist wahrscheinlich eine bestimmte Mutation namens Q493R: Diese ist sehr ähnlich zu der Mutation Q493K, die bereits bei an Maus-Wirte adaptierte SARS-CoV-2 Viren isoliert werden konnte.
Weitere Mutationen der RBD – beispielsweise K417N, Q493K und G496S – befinden sich an Schlüsselpositionen für die Bindung an den humanen Rezeptor. Individuell betrachtet sollten die meisten von ihnen die Bindungsfähigkeit des Spike-Proteins verringern, erläutern die Autoren. Eine Ausnahme ist die N501Y-Mutation, welche die Bindungsfähigkeit um das 6-fache erhöht. Insgesamt fanden sie im Experiment eine 2,4-fach erhöhte Bindungsaffinität zum humanen ACE-2-Rezeptor; folglich scheinen sich die Mutationen in der Gesamtschau zu überlagern.
Die Forscher kommentieren: „Insgesamt deuten diese Ergebnisse darauf hin, dass Mutationen in der RBD von Omikron sowohl die Anpassung an Nagetiere ermöglicht, als auch zu einer potenziell erhöhten Übertragung auf den Menschen beigetragen haben könnten“.
Neben der Bindungsfähigkeit an den ACE-2-Rezeptor untersuchten die Forscher auch, wie sich die Mutationen auf die Effektivität von neutralisierenden Antikörpern auswirken. Dafür bestimmten sie zunächst die Neutralisierungsaktivität der Plasmen von geimpften und genesenen Personen gegenüber Pseudoviren, die mit dem Spike-Protein des Wildtyps, bzw. des Proteins der Omikron-Variante versehen waren. Die verwendeten Impfstoffe reichten von den hierzulande verwendeten Impfstoffen von Moderna, BioNTech, AstraZeneca und Johnson&Johnson bis hin zu Sputnik V und BBIBP-CorV des Herstellers Sinopharm. Es zeigte sich, dass die Plasmen von Genesenen und von mit J&J, Sputnik oder Sinopharm Geimpften bis auf vereinzelte Ausnahmen keine neutralisierende Aktivität gegenüber der Omikron-Variante mehr zeigen konnten.
Bei den mit mRNA-Impfstoffen oder AstraZeneca Geimpften bestätigte sich, was schon in anderen Studien demonstriert wurde (wir berichteten): Im Vergleich zum Wildtyp ist die neutralisierende Aktivität stark herabgesetzt, aber noch vorhanden. So fanden die Forscher eine 33-fach (Moderna), 44-fach (BioNTech) bzw. 36-fach (AstraZeneca) reduzierte Aktivität. Bei der Untersuchung fiel auf, dass bei Personen, die sich vor der Impfung bereits infiziert hatten, die Aktivität weniger stark abnahm– vermutlich aufgrund einer breiteren Antikörper-Antwort.
Nicht nur die Wirkung der Antikörper, die durch Impfung oder Infektion vom Körper selbst gebildet werden, sind von Omikrons Immunflucht betroffen. Auch die bisher zur Therapie benutzten monoklonalen Antikörper (mAB) verlieren an Wirkung. Zurzeit sind 8 solcher mABs zur Nutzung gegen SARS-CoV-2 autorisiert. Die meisten wirken, indem sie direkt die Bindung des Spike-Proteins an den ACE-2-Rezeptor unterbinden, indem sie an das RBM binden. Daher ist es wenig überraschend, dass sie beim stark mutierten RBM der Variante keinerlei neutralisierende Wirkung mehr zeigen konnten. Nur eine Ausnahme konnten die Forscher identifizieren: Einen Antikörper-Cocktail aus CoV2-2130 und CoV2-2196, dessen Wirksamkeit im Vergleich zum Wildtyp allerdings deutlich (200-fach) reduziert war.
Ein anderer mAB, Sotrovimab, neutralisiert SARS-CoV-2 über die Bindung an andere Epitope des Spike-Proteins. Diese liegen nicht im RBM und sind bei vielen SARS-CoV-2-Varianten und anderen Sarbecoviren gleich; es handelt sich also um ein evolutionär konserviertes Motiv. Bei diesem Antikörper blieb dementsprechend auch die neutralisierende Wirkung gegenüber Omikron erhalten, auch wenn diese 3-mal geringer ausfiel als die Wirkung gegenüber dem Wildtyp.
In der Folge untersuchten die Forscher auch noch 36 weitere mABs auf ihre Wirksamkeit, die für verschiedene antigene Stellen der rezeptorbindenden Domäne spezifisch sind. Nur 5 von ihnen konnten eine starke neutralisierende Aktivität gegenüber Omikron beibehalten. 3 von diesen – S2K146, S2X324 und S2N28 – banden an das RBM und waren überraschenderweise nicht von den Mutationen beeinträchtigt. Die anderen beiden wirksamen Antikörper, S2X259 und S2H97, zielten ähnlich wie Sotrovimab auf andere, hochkonservierte Stellen des RBD.
Mehrere der insgesamt 6 wirksamen monoklonalen Antikörper waren auch in der Lage, jenseits von SARS-CoV-2 andere Sarbecoviren zu neutralisieren. Das Targeting von konservierten Epitopen könnte also zu einer größeren Bandbreite von Antikörpern führen und in der Folge auch einen Schutz gegenüber weiteren Virusmutationen bieten.
Die Forscher fassen zusammen: „Zusammengenommen können diese Daten die künftigen Bemühungen bei der Entwicklung von SARS-CoV-2-Impfstoffen und -Therapien leiten, um der Antigenverschiebung und künftigen zoonotischen Spillovern durch Sarbecoviren entgegenzuwirken.“ Dies ist besonders relevant im Zusammenhang mit einer kürzlich als Preprint veröffentlichten Studie von Prof. Christian Drosten, in der sich zeigte, dass mehrere Sarbecoviren in europäischen Fledermäusen auch zoonotisches Potential haben.
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Im Detail ging es dabei um die Furin-Spaltstelle (FCS) zwischen den zwei Untereinheiten S1/S2 des viralen Spike-Proteins: SARS-CoV-2 besitzt eine solche, im Gegensatz zu seinem Vorgänger SARS-CoV (dem Auslöser der SARS-Epidemie) und anderen nah verwandten Coronaviren. Es wird angenommen, dass diese FCS essentiell für den Eintritt in die menschlichen Lungenzellen ist. Sie könnte die Infektiosität also maßgeblich bestimmen. Drosten und sein Team untersuchten die Genome von 10 SARS-verwandten Coronaviren, die in europäischen Fledermäusen vorkommen. Dabei zeigte sich, dass mehrere von ihnen das Potential besitzen, ebenfalls eine solche FCS zu entwickeln, und dementsprechend auch zoonotisches Potential besitzen.
Bildquelle: Jeremy Bezanger, unsplash