Die neue Corona-Variante verbreitet sich rasant, gleichzeitig häufen sich Aussagen wie „Omikron ist weniger gefährlich“. Doch stimmt das tatsächlich? Wir sind der Sache auf den Grund gegangen.
Ende November wurde die Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus erstmals detektiert – seitdem laufen die Forschungen zur neuen Variant of Concern (VOC) auf Hochtouren. Die Fragen können zum derzeitigen Zeitpunkt nicht alle geklärt werden, aber es gibt bereits Hinweise zur Virologie der Variante, die erklären könnten, wieso sie sich so schnell verbreitet.
Neuen Laborergebnissen zufolge vermehrt sich das Virus fast 70-mal schneller als die Delta-Variante. Das Besondere: Es handelt sich dabei um die Verbreitung in den Bronchien, nicht in der Lunge. Im Vergleich zu Delta war die Vermehrung im Lungengewebe 10-fach weniger effizient. Die geringere Infektionslast in der Lunge könnte ein Indikator dafür sein, wieso die Infektionsverläufe milder zu sein scheinen.
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Wichtig bei der Beurteilung ist außerdem die angewandte Methode, die zu diesen Ergebnissen führte: Die Forscher führten ex vivo Experimente durch, bei denen lebendes menschliches Gewebe genutzt wurde, um die Virusreplikation in diesen Zellen unter Laborbedingungen zu untersuchen.
Dr. Michael Chan Chi-wai, Autor der Studie und Principal Investigator am Center for Immunulogy and Infection in Hong Kong, betont, „dass die Schwere der Erkrankung beim Menschen nicht nur durch die Virusreplikation bestimmt wird, sondern auch durch die Immunantwort des Wirts auf die Infektion, die zu einer Fehlregulation des angeborenen Immunsystems, d.h. einem ‚Zytokinsturm‘ führen kann“. Er verweist außerdem darauf, dass ein sehr infektiöses Virus durch die Infektion von viel mehr Menschen zu schweren Krankheiten und zum Tod führen könne, auch wenn das Virus selbst weniger pathogen sei. Denn ein kleiner Anteil von einer sehr großen Gesamtheit an Infizierten ist immer noch eine große Anzahl an Fällen.
Weitere Laboruntersuchungen stimmen mit den Ergebnissen von Chan überein: In der Pseudovirus-Studie war Omikron 4-mal infektiöser als der Wildtyp und 2-mal infektiöser als die Deltavariante – einfacher gesagt, Omikron kann die Zellen besser infizieren.
Diese Untersuchungen zur Virologie der Omikron-Variante werfen eine Frage auf: Wie schlimm sind Omikron-Infektionen? Aktuell ist das noch schwierig zu beantworten, aber erste Daten versprechen zumindest ein wenig Hoffnung: Südafrika verzeichnete bisher eine niedrigere Hospitalisierungsrate unter Omikron, als unter Delta – aktuell liegt diese bei 11,95. Am 14. Dezember ging die südafrikanische, private Krankenversicherung Discovery Health so weit, zu sagen, dass das Hospitalisierungsrisiko um 29 Prozent im Vergleich zu vorherigen Varianten unter Omikron-Infizierten sinkt.
Wissenschaftler kritisieren: Es ist noch zu früh für solche Aussagen. Denn eine Studie mit wesentlichen methodischen Untersuchungen wurde bisher noch nicht veröffentlicht. Für die Einschätzung der Schwere der Krankheit müssen auch Parameter wie die Hospitalisierungskapazität, Alter und der gesamte Gesundheitsstatus der Infizierten, sowie die bisherige Exposition mit SARS-CoV-2 herangezogen werden.
Doch dieser Optimismus könnte auch darauf zurückzuführen sein, das mehr als 70 Prozent der Leute in den Regionen, die von Omikron schwer betroffen sind, bereits ihre Bekanntschaft mit SARS-CoV-2 machen konnten. Hinzu kommen über 30 Prozent, die mindestens eine COVID-19-Impfung bekommen haben, erklärt Waasila Jassat, Spezialistin für klinische und öffentliche Gesundheit am National Institute for Communicable Diseases in Johannesburg.
Dänemark hat andere Daten geliefert: Demnach sei die Hospitalisierungsrate unter Omikron etwa ähnlich zu der mit anderen Varianten – derzeit bei 8,91. Doch dieser Vergleich beruht auf nur 3.400 Omikron-Fällen, von denen 37 hospitalisiert wurden. Einen vergleichbaren Hinweis auf eine ähnliche Hospitalisierungsrate unter den Varianten gibt die Veröffentlichung des Imperial College London – aber auch hier sind die Daten auf recht wenige Fälle zurückzuführen: Knapp 6.200 Omikron-Fälle und 142.400 Delta-Fälle. Dadurch sind die Zahlen zu klein, um die Gefahr richtig einschätzen zu können.
Mittlerweile gibt es erste Studien zur Immunität in Südafrika, die mehr Aufschluss geben könnten. Ein Prepint fokussiert sich dafür auf die südafrikanische Provinz Gauteng – einem Gebiet, in dem Omikron dominiert. Dazu führten die Forscher eine Umfrage innerhalb der vierten Pandemiewelle bis zum 15. Dezember 2021 durch, die insbesondere auf die Seroprävalenz der Befragten eingeht. Diese Ergebnisse verglichen sie mit einer Umfrage, die von November 2020 bis Januar 2021 erhoben wurde. Auch epidemiologische Trends wie Fallzahlen und Hospitalisierungsrate zogen die Autoren für ihre Auswertung hinzu. Von den 7010 Personen, denen Proben entnommen wurden, hatten 18,8 Prozent bereits eine Impfung gegen COVID-19 erhalten.
Die gesamte Seroprävalenz erstreckte sich von 56,2 Prozent (95 % KI: 52,6 bis 59,7) bei Kindern im Alter von unter 12 Jahren bis 79,7 Prozent (95 % KI: 77,6 bis 81,5) bei Personen im Alter über 50 Jahren. Insgesamt lag die Seroprävalenz bei 73,1 Prozent (95 % KI: 72,0 bis 74,1). Eine durchgestandene Infektion war bei Geimpften (93,1 %) sogar 6,22-fach wahrscheinlicher als bei Ungeimpften (68,4 %). Zudem zeigen die Daten, dass die Infektionsraten im Vergleich zu den vorherigen Wellen gestiegen sind; aber sich nun auf einem Plateau befinden.
Das Wichtige: Die Zahl der Todesfälle und Hospitalisierungen stiegen nicht an. Doch auch die Autoren der Studie betonen, dass die Daten nicht ausreichen, um etwas zur tatsächlichen „Virulenz der Omikron-Variante im Vergleich zu anderen Varianten“ zu sagen. „Aufgrund der unterschiedlichen Prävalenz der Immunität im Vergleich zur Vergangenheit sind epidemiologisch keine Rückschlüsse auf Basis unserer Daten möglich.“ Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vorangegangenen Infektionen auch von anderen Varianten ausgelöst wurden.
Ein weiteres Preprint aus Südafrika hat hingegen die Prävalenz von Omikron-Infektionen untersucht. Die Variante wurde mithilfe des S Gene Target Failure (SGTF) ermittelt – zwar können die herkömmlichen PCR-Tests die Variante detektieren, doch eines der drei Zielgene kann mit den verbreiten Nachweismethoden nicht nachgewiesen werden; dies dient als Marker für Omikron. Damit wurde ein rasanter Omikron-Anstieg in Südafrika erfasst: So stiegen die Infektionen von 3 Prozent im frühen Oktober 2021 auf 98 Prozent bis Anfang Dezember. Personen mit SGTF-Infektionen hatten dabei innerhalb dieses Zeitraums eine niedrigere Chance hospitalisiert werden zu müssen als nicht-SGTF-Infizierte (Adjustierte Odds Ratio: 0,2; 95 % KI: 0,1 bis 0,3). Doch die Wahrscheinlichkeit auf eine schwere Erkrankung unterschied sich dabei nicht; lediglich im Vergleich zu Delta-Infektionen aus der vorangegangenen Pandemiewelle war sie geringer (Adjustierte Odds Ratio: 0,7; 95 % KI: 0,3 bis 1,4).
Eine der größten Limitierungen dieser Untersuchung: Bei der verwendeten Detektionsmethode kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich auch um eine Alpha-Infektion handelt. Außerdem weisen die Autoren darauf hin, dass diese Reduktionen in Bezug auf Hospitalisierung und Schwere der Erkrankung wahrscheinlich darauf zurückzuführen seien, dass ein Großteil der Population bereits eine gewisse Immunität aufweist. Unterstützt wird diese Vermutung von den zuvor beschriebenen Untersuchungen, die eine erhöhte Seroprävalenz in der südafrikanischen Bevölkerung aufzeigen.
Daten des Norwegian Institute of Public Health geben etwas mehr Klarheit: Auf einer Weihnachtsfeier am 26. November in der norwegischen Hauptstadt Oslo infizierten sich fast 100 Menschen mit COVID-19. Alle Partybesucher waren doppelt geimpft und hatten zuvor auf Anfrage des Restaurants einen Antigen-Selbsttest auf SARS-CoV-2 durchgeführt. Die Mitarbeiter und weiteren Gäste mussten hingegen keinen Impfnachweis, einen aktuellen Testnachweis oder eine Maske vorweisen; zudem erfassten die Betreiber keine Gästeliste der Besucher. Das Gesundheitsamt ermittelte den Ausbruch am 30. November und forderte alle Gäste auf, einen PCR-Test zu machen und sich 10 Tage in Quarantäne zu begeben. Zurückzuführen ist der Ausbruch höchstwahrscheinlich auf einen Index Fall, der zwei Tage zuvor aus Südafrika eingereist war.
Telefonisch wurden die Partygäste von den Mitarbeitern des NIPH zu ihrer aktuellen Situation und klinischen Informationen gefragt. Bei der Befragung haben insgesamt 111 der 117 Gäste teilgenommen. Unter ihnen waren 96 Prozent zweifach gegen COVID-19 geimpft. Die Altersspanne lag zwischen 26 und 68 Jahren, wobei das Durchschnittsalter bei 38 Jahren lag. Die Zweitimpfung lag im Durchschnitt fast 3 Monate zurück. Die Inkubationszeit lag im Mittel bei drei Tagen. 81 Gäste wurden positiv auf die Omikron-Variante getestet, etwa 91 Prozent davon litten trotz Impfung an milden bis mittelschweren Symptomen wie Husten (83 %), einer verstopften Nase (78 %), Müdigkeit (74 %) sowie Halsschmerzen (72 %), Kopfschmerzen (68 %) und Fieber (54 %). Keiner der Patienten musste hospitalisiert werden.
Für den Berliner Virologen Prof. Christian Drosten sieht der Ausbruch dennoch nicht per se nach einem milderen Verlauf bei Omikron-Infektionen aus, als bei anderen Varianten:
Wahrscheinlich hat die Impfung vor einem tatsächlich schweren Verlauf geschützt, da sie vermutlich einen gewissen Schutz – auch gegen Hospitalisierungen bietet (wir berichteten).
Bildquelle: Ramiro Pianarosa, unsplash