Für Allergiker kann das Naschen von Erdnüssen schnell lebensbedrohlich werden. Nun gibt es die erste orale Immuntherapie, mit der sich die Toleranz der Betroffenen signifikant erhöhen soll.
Erdnüsse sind unter den Nahrungsmittelallergenen die häufigsten Auslöser von potenziell lebensbedrohlichen anaphylaktischen Reaktionen bei Kindern und Jugendlichen. Laut Anaphylaxie-Register ist rund ein Viertel (23 %) der durch Nahrungsmittel verursachten Anaphylaxien bei Kindern und Jugendlichen auf Erdnüsse zurückzuführen. In Europa leben rund 1,6 % der Kinder und Jugendlichen von 2 bis 17 Jahren mit einer Erdnussallergie, wobei sich die Prävalenz von Nahrungsmittelallergien insgesamt bei Kindern zwischen 2000 und 2012 verdoppelt hat.
Im Juli 2021 wurde die S2k-Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien aktualisiert und empfiehlt nun eine orale Immuntherapie (OIT) bei Erdnussallergie. „Bei Kindern zwischen 4 und 17 Jahren mit bestätigter Diagnose einer systemischen Erdnussallergie sollte unter Berücksichtigung einer individuellen Nutzen-Risiko-Bewertung eine orale Immuntherapie mit einem zugelassenen Präparat angeboten werden“, schreiben die Experten der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) und 15 weiterer Fachorganisationen unter Federführung von Prof. Margitta Worm vom Allergie-Centrum der Charité in Berlin.
Bisher ist erst ein Präparat für die OIT bei Erdnussallergie von der EMA zugelassen: Palforzia® des Herstellers Aimmune. Dieses besteht aus entfettetem Pulver der Samen von Erdnüssen und ist zur Behandlung von Patienten im Alter von 4 bis 17 Jahren mit bestätigter Diagnose einer Erdnussallergie indiziert. Die Anwendung muss in Verbindung mit einer erdnussfreien Ernährung erfolgen und kann bei Patienten, die während der Therapie volljährig werden, fortgeführt werden. Seit der ersten Novemberwoche 2021 können in spezialisierten Gesundheitseinrichtungen in Deutschland die Behandlungen mit Palforzia® beginnen.
„Mit der oralen Immuntherapie bei Erdnussallergie haben wir erstmals ein zugelassenes Medikament zur Hand, das zur Behandlung für diese im Alltag häufig stark eingeschränkten Patienten beitragen kann. Das Prinzip der Behandlung ist die stufenweise Steigerung der oralen Exposition mit standardisierten Dosen Erdnussprotein. Das Ziel ist es, die Toleranzschwelle gegenüber kleinen Mengen an Erdnuss zu erhöhen. Dies kann den Patienten und ihren Angehörigen die Angst vor einer schweren anaphylaktischen Reaktion bei zufälligem Kontakt mit schon kleinsten Mengen nehmen“, erklärt Kinder- und Jugendarzt Prof. Christian Vogelberg, Leiter des Universitäts AllergieCentrum am Universitätsklinikum Dresden.
Die Zulassung des Präparats beruht auf Daten der zwei Phase-III-Studien PALISADE und ARTEMIS. In beiden klinischen Prüfungen tolerierten die Teilnehmer am Ende der Studie unter einer Behandlung mit OIT eine höhere Menge des Erdnussproteins als unter Placebo. Nach einer Therapiedauer von 12 Monaten bei PALISADE bzw. 9 Monaten bei ARTEMIS tolerierten über die Hälfte der mit Palforzia® behandelten Studienteilnehmer (50,3 % bzw. 58,3 %) 1.000 mg Erdnussprotein. Diese Menge entspricht etwa drei bis vier Erdnusskernen. Das sind signifikant mehr Studienteilnehmer als in der mit Placebo behandelten Kontrollgruppe (2,4 % bzw. 2,3 %, p-Wert < 0,0001). Mehr als zwei Drittel der Probanden der Verumgruppen (67,25 % bzw. 68,2 %) tolerierten 600 mg Erdnussprotein, drei Viertel (76,6 % bzw. 73,5 %) vertrugen noch 300 mg Erdnussprotein.
Die Behandlung mit Palforzia® erfolgt in drei Phasen: initiale Aufdosierung, Dosissteigerung und schließlich Erhaltungstherapie. Sie findet zum Teil in einer spezialisierten Gesundheitseinrichtung unter ärztlicher Aufsicht statt, um potenzielle unerwünschte Ereignisse einschließlich Anaphylaxie sofort behandeln zu können. Die Therapie beginnt unter ärztlicher Aufsicht mit kleinsten Mengen des Allergens (0,5 mg), danach wird die Dosis innerhalb von vier Stunden auf bis zu 6 mg gesteigert. Wird dies gut vertragen, erhalten die Patienten zu Beginn der Dosissteigerungsphase zunächst die erste 3-mg-Dosis Erdnussprotein unter ärztlicher Aufsicht, welche sie dann täglich zu Hause weiter einnehmen.
Die Phase der Dosissteigerung sieht elf Dosisstufen von jeweils zwei Wochen Dauer vor. Die Einnahme des Präparats am ersten Tag jeder Dosissteigerung erfolgt wieder in einer spezialisierten Gesundheitseinrichtung unter ärztlicher Aufsicht. Während der Erhaltungstherapie nehmen die Patienten jeden Tag Zuhause die gleiche Dosis ein, um die Verträglichkeit und die klinische Wirksamkeit aufrechtzuerhalten.
Ende Februar 2021 wurden auf dem Jahreskongress der American Academy of Allergy, Asthma & Immunology (AAAAI) klinische Langzeitdaten zur Sicherheit von Palforzia® aus einem Datenpool von mehr als 1100 Patienten vorgestellt, die das Präparat bis zu 3,5 Jahre lang täglich eingenommen hatten. Unerwünschte Ereignisse waren meistens mild und traten vornehmlich zu Therapiebeginn auf, seltener gegen Ende des Behandlungszeitraums. Über den gesamten Zeitraum von ca. 3,5 Jahren wurden bei 14 (1,2 %) Probanden schwere Nebenwirkungen registriert. Die in dieser Studie gesammelten Daten sollen dazu beitragen, die individuelle Risikoabwägung für einzelne Patienten zu erleichtern.
In der Zulassungsstudie PALISADE und der offenen Nachfolgestudie ARC004 zeigte die fortgeführte Erhaltungstherapie mit Palforzia® eine anhaltende und zunehmende Toleranz: Nach zwei Jahren tolerierten 96 % der Studienteilnehmer 1.000 mg Erdnussprotein bei nicht mehr als leichten allergischen Symptomen.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung von Aimmune, die der Redaktion vorliegt.
Bildquelle: Fidias Cervantes, unsplash