Anfang des Jahres sorgte die Unterbrechung einer klinischen Studie zur Behandlung der Sichelzellkrankheit für Aufmerksamkeit. Der Grund: Eine Patientin war im Nachgang an die Therapie an AML erkrankt. Führte die Gentherapie zum Blutkrebs?
Bei der Sichelzellkrankheit handelt es sich um eine Erbkrankheit, bei der – ausgelöst durch einen genetischen Defekt der Beta-Globinkette – vermehrt Hämoglobin S oder Sichelzellhämoglobin gebildet wird. Gekennzeichnet ist die Krankheit durch das anfallartige Auftreten von schmerzhaften Sichelzellkrisen. Die bisher einzige Heilungsmöglichkeit besteht in einer Stammzelltransplantation, die allerdings nicht für jeden Patienten möglich ist. Die Verbreitung der Krankheit variiert stark nach Region, besonders häufig tritt sie in Malariagebieten Afrikas und Asiens auf. In Europa kommt die Krankheit nur selten vor, mit einer Prävalenz von etwa einem Fall auf 2.300 Geburten.
In einer laufenden Phase 1-2-Studie lieferte eine Behandlung per Gentherapie bereits vielversprechende Ergebnisse. Die Therapie beinhaltet die autologe Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen der Patienten, denen mit Hilfe eines lentiviralen Vektors eine funktionierende Version des Beta-Globin-Gens eingesetzt wurde. Bei den bisher behandelten Patienten konnte das Auftreten von Sichelzellkrisen durchgehend reduziert werden.
Anfang dieses Jahres unterbrach die amerikanische Behörde für Arznei- und Lebensmittelsicherheit (FDA) allerdings die Studie. Der Grund: Eine Probandin, die vor etwa 5,5 Jahren die Gentherapie erhalten hatte, wurde mit akuter myeloischer Leukämie diagnostiziert. Es bestand der Verdacht, dass der virale Vektor an den Krebserkrankung schuld sein könnte. Die Untersuchung des Herstellers Bluebird Bio ergab, dass das Virus zwar DNA in die Chromosomen der Leukämie-Zellen insertiert hatte, jedoch sei unwahrscheinlich, dass die Gentherapie ursächlich für die Leukämie war. Daher erlaubte die FDA im Juni 2021 die Fortführung der Studie. Der vollständige Case Report ist nun im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden.
Bei der Patientin handelte es sich um eine 31-jährige Frau, die vor der Gentherapie mit LentiGlobin an einer Sichelzellkrankheit vom Genotyp βS/βS litt. Trotz Langzeittherapie mit Hydroxyharnstoff führten wiederkehrende vaso-okklusive Krisen zu häufigen Krankenhausaufenthalten. Im August 2015 nahm sie als Teil der ersten Kohorte an der HGB-206 Studie teil. Sie erhielt eine CD34-Zell-Gesamtdosis von 2,6×106 Zellen pro Kilogramm Körpergewicht. 19, bzw. 31 Tage nach der Behandlung erhielt die Patientin eine anschließende Transplantation von Neutrophilen und Thrombozyten. Sechs Monate nach der Behandlung lag der Anteil des aus der Gentherapie stammenden Hämoglobins bei 4,33 % des gesamten nicht-transfundierten Hämoglobins.
Die Ergebnisse deuteten nur auf eine geringe Einschleusung genmodifizierter Zellen und eine geringe Transgenexpression hin. Der klinische Nutzen wurde nur als gering eingeschätzt, da die Sichelzellkrankheit fortbestand und weitere Hydroxyharnstofftherapie und Erythrozytentransfusionen erforderlich blieben.
Die akute myeloische Leukämie wurde im Februar 2021 diagnostiziert, nachdem im peripheren Blut der Patientin 29 % Blasten und im Knochenmark 22 bis 50 % Blastenzellen nachgewiesen worden waren. Sowohl der lentivirale Vektor als auch die Exposition mit myelotoxischem Busulfan im Rahmen der Gentherapie kamen als Ursachen in Frage und wurden dementsprechend untersucht. In einer CD34+ Probe des peripheren Blutes und auch des Knochenmarks konnte ein Anteil von 92,1 %, bzw. 86,7 % Vektor-positiver Zellen festgestellt werden.
Die Untersuchung lieferte allerdings mehrere Hinweise darauf, dass die Leukämie-Erkrankung unabhängig von der Geninsertion durch den viralen Vektor erfolgte. Zunächst befand sich die Geninsertion im Gen VAMP4, das eine Rolle bei der Golgi-Funktion und Struktur spielt, jedoch bisher nicht mit der Onkogenese von Leukämie in Verbindung gebracht wurde. Weiterhin befand sich die Insertion in einer nicht kodierenden Region des Gens. Die gleiche Insertionsstelle konnte des weiteren bei 71 % der Probanden der Studie festgestellt werden, die allesamt keine Folgeschäden entwickelt hatten.
Andere Faktoren sollten daher in Betracht gezogen werden: So könnten sich durch die zugrundeliegende Sichelzellkrankheit und die Belastung des Tranplantationsverfahrens Mutationen angesammelt haben. Durch verschiedene Faktoren, wie möglicherweise die chronische Hypoxie der Betroffenen, ist das Risiko für hämatologische Erkrankungen bei Patienten mit Sichelzellkrankheit grundsätzlich zwei- bis elfmal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Aufgrund der Verwendung von myeloablativen Konditionierungsmitteln wie Busulfan, birgt der Transplantationsprozess an sich auch derhöhte Risiken.
Die gute Nachricht: Schon bevor dieser (und ein weiterer) Fall auftraten, wurden Änderungen am Studienprotokoll vorgenommen, um den klinischen Nutzen der Gentherapie zu verbessern. Dadurch wird erwartet, dass sich die hämatopoetische Belastung verringert und das Risiko für eine akute myeloische Leukämie dadurch ebenfalls sinkt. Bisher wurden bei den Patienten der späteren Kohorten noch keine bösartigen Erkrankungen gemeldet.
Nach der Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie unterzog sich die Patientin einer Induktionschemotherapie, durch die auch eine Remission erreicht werden konnte. Allerdings blieb sie positiv für eine minimale Resterkrankung. Auch nach einer Blutstammzelltransplantation blieb die Resterkrankung. 90 Tage nach der Transplantation erlitt die Patientin einen Rückfall und unterzog sich einer zusätzlichen Chemotherapie; aufgrund von Komplikationen der fortschreitenden Leukämie verstarb sie jedoch.
Den kompletten Case Report haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Pawel Czerwinski, unsplash.