Mit Verhaltenstipps allein gelingt es Ärzten und Apothekern nicht, HIV-Infektionen zu kontrollieren. Und die Evolution arbeitet gegen uns: Durch sinkende Virulenzen erkranken zahlenmäßig mehr Menschen. Forscher setzen auf Impfungen. Ihre neue Geheimwaffe: Genfähren.
Ein weiterer Misserfolg US-amerikanischer Regierungskreise: „Abstinence, be faithful, use a condom“, mit dieser Maxime wollte George W. Bush ab 2004 afrikanische Länder im Kampf gegen HIV unterstützen. Doch seine Strategie ging nicht auf, wie aktuelle Studien zeigen. Nathan Lo von der Stanford Universität in Palo Alto hat sexuelle Verhaltensmuster von 252.251 Männern und 591.714 Frauen analysiert. Sie kamen aus 14 Ländern, in denen der President’s Emergency Plan for AIDS Relief (PEPFAR) umgesetzt wurde. Zum Vergleich hatte Lo Daten aus acht anderen Staaten. Signifikante Unterschiede hinsichtlich wechselnder Sexualpartner oder erster sexueller Kontakte gab es nicht. In betroffenen Regionen machen sich allerdings molekularbiologische Effekte bemerkbar.
Zum Hintergrund: Philip J. R. Gouldera, Virologe an der University of Oxford und an der University of KwaZulu-Natal, Durban, verglich die Virulenz von HIV in verschiedenen afrikanischen Staaten. Mitte der 1980er-Jahre schnellten Erkrankungszahlen in Botswana nach oben, und Südafrika folgte zehn Jahre zeitversetzt. Anhand verschiedener Kohorten zeigten Forscher, dass sich die Virulenz von HIV abgeschwächt hat: Unbehandelte Frauen aus Botswana erkranken etwa 2,5 Jahre später an der Immunschwächekrankheit AIDS als Patientinnen aus Südafrika. Biologen führen dieses Phänomen auf Mutationen zurück: Erreger versuchen, sich dem Zugriff unseres Immunsystems zu entziehen. Gouldera vermutet auch, dass antiretrovirale Therapien Varianten mit geringerer Replikation selektieren. Eine längere Krankheitsdauer führt zu mehr Sexualkontakten und zu mehr Infektionen – aus Sicht der viralen Evolution eine Erfolgsstrategie. Umso wichtiger werden Möglichkeiten zur raschen Diagnostik vor Ort.
Medizinische Labors der Industrienationen weisen Infektionen mit HI-Viren über ELISA-Tests nach. Passende Geräte sind teuer, sperrig – und benötigen Strom: gleich mehrere Argumente gegen den Einsatz in Ländern mit schlechter Infrastruktur. Deshalb hat Samuel Sia von der Columbia Universität in New York ein innovatives Lab-on-a-Chip-System entwickelt. Sein Tool transportiert Serum über Kapillaren in die Kammer. Dort laufen immunologische Reaktionen zur Diagnostik ab. Smartphones liefern über den Kopfhörer-Anschluss Strom – und führen per App durch den ganzen Prozess. Kostenpunkt: 34 US-Dollar pro Chip. Der nächste Vorteil: Resultate liegen schon in 15 Minuten vor. Erste Feldstudien in Ruanda zeigten, dass die Sensitivität zwischen 92 und 100 Prozent liegt. Als Spezifität wurden 79 bis 100 Prozent ermittelt.
Bestätigen Ärzte positive Befunde des Screenings, folgen antiretrovirale Therapien. Genau hier beginnt die Problematik: In manchen Ländern sind moderne Präparate nicht verfügbar, nicht bezahlbar oder schlichtweg gefälscht. Impfstoffe zeigten keinen durchschlagenden Erfolg. Bei der „Thai-Studie“ RV 144 gelang es, Infektionsraten um 31,2 Prozent zu verringern – der bislang höchste Wert, aber zu wenig für sinnvolle Anwendungen. Grund genug für US-Forscher, eine völlig neue Strategie zu entwickeln. Michael Farzan vom Scripps Research Institute in Jupiter, Florida, sieht die Komplexität viraler Hüllproteine als größte Herausforderung an. Bislang haben Antikörper den Rezeptor CD4 zum Ziel. Farzan adressiert gleichzeitig CD4 und CCR5. Dafür hat er synthetische Proteine konstruiert: aus einem CD4-Immunglobulin sowie aus einer kurzen Aminosäuresequenz, passend zu CCR5. Und siehe da, das Molekül schützte T-Zellen in vitro vor HI-Viren. In lebenden Systemen gestaltete sich die Sache deutlich schwieriger. Regelmäßige Gaben zur Prophylaxe machen keinen Sinn. Deshalb designten Molekularbiologen ein spezielles Konstrukt zur Gentherapie. Sie versahen Adeno-assoziierte Viren (AAV) mit Genen zur Synthese des innovativen Proteins. Bei Rhesusaffen stellte sich der gewünschte Erfolg ein. Alle Tiere waren 34 Wochen lang resistent gegen das SI-Virus, einen Verwandten des HI-Virus. Bis klinische Studien möglich sind, muss Michael Farzan noch Fragen zur Sicherheit des neuen Eiweißfragments klären. Er befürchtet, körperfremde Proteine könnten immunologische Reaktionen heraufbeschwören und zu Entzündungen führen. Und nicht zu vergessen: Gentherapien haben schon Krebserkrankungen provoziert.
Auch ohne Gentherapie haben HIV-Infizierte ein 25-fach erhöhtes Risko, an Hodgkin- oder Non-Hodgkin-Lymphomen zu erkranken. Ende 2014 diskutierten Experten der American Society of Hematology über therapeutische Optionen. Ihr Fazit: Sprechen Patienten gut auf eine hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) an, steht einer Hochdosischemotherapie mit anschließender Transplantation autologer Stammzellen nichts im Wege. Forscher hoffen, über diesen Weg eines Tages auch latent infizierte Zellen zu eliminieren. In den meisten Fällen taucht HIV wieder auf, sobald Pharmakotherapien abgesetzt werden.