Die Pandemie schlägt auf die Psyche – so viel ist klar. Doch schafft sie es sogar in unsere Träume? Kanadische Forscher untersuchten jetzt den Einfluss des ersten Lockdowns auf unsere Traumwelt.
Seit nun fast zwei Jahren hält die Corona-Pandemie die Welt im Griff und immer wiederkehrende Lockdowns schränken das private und berufliche Leben ein. Kein Wunder also, dass uns SARS-CoV-2 auch wortwörtlich in den Schlaf verfolgt: Seit Beginn der Pandemie wurde teilweise eine Zunahme an (Alb-) Träumen bemerkt, und auch neue, pandemiespezifische Themen schlichen sich in so manchen Traum – von der vergessenen Maske im Supermarkt bis hin zum Krankenhausaufenthalt.
Warum ist das für die Gesundheit interessant? Es gibt Hinweise darauf, dass Inhalt und Häufigkeit von Träumen in Beziehung zur Psychopathologie stehen könnten. Einerseits beeinflusst die mentale Gesundheit die Träume – beispielsweise scheinen bei hoher Stressbelastung Albträume zuzunehmen – andererseits könnten umgekehrt aber auch Träume Einfluss auf die Gesundheit haben, wenn zum Beispiel unangenehme Träume den Schlaf stören.
In der bisherigen Forschung zeigte sich, dass es einige Themen gibt, die sowohl bei einem Individuum als auch über verschiedene Kulturen hinweg immer wieder mit ähnlicher Häufigkeit auftreten. So ergab eine Untersuchung bei kanadischen Studenten beispielsweise, dass sie am häufigsten davon träumten, von etwas verfolgt oder gejagt zu werden. Es folgten Träume über sexuelle Erfahrungen, Träume über das Fallen und – ein weiterer Klassiker – über das Zu-Spät-Kommen. Aber auch akute, persönlich relevante Themen beeinflussen das Traumgeschehen.
Wie also wirkte sich die einschneidende Erfahrung einer Pandemie auf unsere Traumwelt aus? Anhand bisheriger Berichte erwarteten Forscher aus Kanada einen Anstieg in der Häufigkeit von Träumen, an die sich die Probanden erinnern konnten, mit einem vermehrten Bezug zu den Themen Pandemie und Lockdown. Auch eine Assoziation von schlechten Träumen mit erhöhten Stress-Leveln, depressiver Symptomatik und Angststörungen wurde erwartet.
Um ihre Hypothesen zu überprüfen, nutzten die Forscher Daten einer Online-Umfrage zum Einfluss der Pandemie auf die mentale Gesundheit. Neben Fragen zu psychiatrischen, sozialen, ökonomischen und gesundheitlichen Einflüssen der Pandemiesituation auf die Probanden gab es einen weiteren Teil mit Fragen zum Thema Träume. Insgesamt 968 Teilnehmer im Alter von 12 bis 92 Jahren (mittleres Alter 52,5 ± 17,2) füllten diesen optionalen Teil aus und schätzen ein, wie oft sie von bestimmten Themen in den vorhergegangenen 7 Tagen geträumt hatten. Auch wie häufig sie sich im Jahr vorher und in den letzten 7 Tagen an Träume erinnern konnten, wurde erhoben sowie Stresslevel, Schlafdauer und Symptome von Angststörungen und Depression.
Knapp über die Hälfte der Probanden berichtete von einer Änderung der Traumhäufigkeit im Vergleich zum Jahr vor Ausbruch der Pandemie. 328 Probanden, also insgesamt 34 %, gaben dabei an, sich an mehr Träume erinnern zu können; bei 188, also 19%, war das Gegenteil der Fall und sie konnten sich an weniger Träume erinnern.
Im Gegensatz zur ursprünglichen Erwartung nahm die Frequenz von schlechten Träumen und Albträumen allerdings nicht stark zu. Es konnte auch keine signifikante Korrelation zwischen Träumen und Schlafdauer hergestellt werden. Lediglich ein wenig überraschender, schwacher Zusammenhang zwischen schlechten Träumen und kürzerer Schlafdauer zeichnete sich ab.
Insgesamt entsprachen auch die Trauminhalte denen vor der Pandemie, mit ein paar kleinen Änderungen. So war in bisherigen Studien das Konzept des Gejagt-werdens am häufigsten, nun wurde es auf Platz 5 verdrängt. Dafür träumten die Probanden signifikant häufiger davon, etwas immer wieder zu versuchen. Ganze 51,6 % der Probanden gaben an, mindestens einmal in den letzten 7 Tagen davon geträumt zu haben. Als pandemiebezogenes Konzept tauchte das Thema, von einem geliebten Menschen getrennt zu sein mit 29,7 % am häufigsten auf und belegte damit immerhin den vierten Platz. Trotz Änderungen im individuellen Leben durch den Lockdown blieben die typischen Traumthemen also weitgehend unbeeinträchtigt; die aktuelle Lage fand eher als abstrakte Konzepte ihren Einzug in die Traumwelt – Stichwort „versuchen“. So waren Träume, die unter das grobe Überthema „Ineffizienz“ fielen am häufigsten vorzufinden (62,4 %).
Konkrete Pandemiethemen wie Krankenhausaufenthalte oder Kontamination waren insgesamt nicht so stark vertreten, wie anfangs von den Forschern angenommen. Eine mögliche Erklärung dafür sehen sie darin, dass der Lockdown in Kanada nicht wirklich von eindrucksvollen Bildern geprägt war. Selbst Masken waren zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht verpflichtend und prägten nicht den täglichen Eindruck. Für die Befragten spielte sich das Geschehen komplett außerhalb der eigenen vier Wände und somit weit entfernt ab.
Wie hingen die Träume der Probanden nun also mit der psychischen Gesundheit zusammen? Auffällig, aber auch wenig überraschend war, dass mit steigendem Stresslevel der Probanden auch die Anzahl an Träumen zunahm. Am stärksten war diese Korrelation für schlechte Träume.
Weiterhin konnten schwache Korrelationen zwischen bestimmten Themen und Stress, Depression und Angststörungen beobachtet werden. So deuteten Träume über Pandemie-Themen tendenziell auf erhöhte Stresslevel hin, bzw. hatten höhere Stresslevel eher zur Folge, dass die Probanden auch von der Pandemie träumten. Auf gleiche Weise hingen Träume von Ineffizienz (also etwas immer wieder zu versuchen, zu spät kommen etc.) mit depressiven Symptomen zusammen und Träume über den Tod hingen sowohl mit Depression als auch mit Angststörungen zusammen.
Insgesamt lieferte die Studie also wenig überraschende Ergebnisse: Stress und (schlechte) Träume hängen zusammen, wenn auch nicht so stark wie eingangs vermutet; Trauminhalte spiegeln Probleme der mentalen Gesundheit wieder und könnten umgekehrt auch selbst die mentale Gesundheit beeinflussen. Dies unterstützt einmal mehr Theorien zur Entstehung von Träumen aus Umwelteinflüssen und Stressreaktionen heraus.
Vor allem bestätigte sich die Theorie, dass das Gehirn in Träume keine episodischen Erinnerungen direkt und explizit einbaut, sondern vielmehr den Kern einer Erfahrung abstrahiert wiedergibt. Die Forscher fassen zusammen, dass sich die Träume in der Zeit des Lockdowns am häufigsten um das Thema Ineffizienz drehen und darum, von geliebten Menschen getrennt zu sein – sie riefen also „das allgemeine Gefühl hervor, dass das Leben auf Eis gelegt wurde, und stellen möglicherweise den Prozess dar, dieser neuen Erfahrung einen Sinn zu geben“.
Natürlich muss beachtet werden, dass die Aussagekraft der Studie nur mäßig ist: Die Ergebnisse beruhen lediglich auf der Befragung der Teilnehmer und da sie rückwirkend befragt wurden, wirkt sich der Erinnerungseffekt stark aus. Auch ist durch die Selbstselektion der Teilnehmer (nur besonders interessierte und motivierte Probanden füllten den optionalen Teil des Fragebogens aus) eine deutliche Verzerrung zu erwarten; die Ergebnisse sind daher nicht unbedingt auf die Allgemeinbevölkerung übertragbar.
Das zeigte sich auch in der Zusammensetzung der Teilnehmergruppe: Über 70 % der Teilnehmer waren weiblich und der größte Teil der Befragten arbeitete nicht in systemrelevanten Berufen und war dementsprechend mit der Pandemie nur entfernt konfrontiert.
Bildquelle: Haydn Golden, Unsplash