Ich operiere an der Halsschlagader einer wachen Patientin, als diese erst neurologisch auffällig und schließlich bewusstlos wird. Mein Puls steigt – jetzt muss es schnell gehen. Dann fängt meine Hand an, zu zittern.
Die Chirurgie ist ein hartes Fach. „Nichts für Weicheier!“, wurde mir gesagt. Und so ganz unrecht hatte er damals nicht, der ältere leitende Oberarzt.
Es ist nicht nur körperlich anstrengend, wenn man viele, viele Stunden teilweise mit Röntgenschürzen und doppeltem Mundschutz hoch konzentriert operieren muss. Und das nachts um drei! Auch mental muss man in diesen Beruf hineinwachsen. Nicht jeder ist geeignet. Man muss lernen, mit dem Druck umzugehen, muss sich Coping-Strategien aneignen. Sonst frisst es einen auf. Humor ist eine Art, damit umzugehen. Auch Schreiben kann so etwas leisten.
Es ist manchmal schwierig, cool zu bleiben und mit der Lupenbrille eine 6–0 Gefäßnaht möglichst schnell und sauber zu vollenden, wenn man im Adrenalinrausch ist. So ging es mir bei einer meiner letzten Halsschlagader-Operationen.
Die Carotis-Thrombendarteriektomie (Carotis-TEA) ist eine prophylaktische Operation der hirnversorgenden Schlagader. Bei diesem Eingriff wird, zur Vorbeugung eines Schlaganfalls, die A. carotis interna quasi „ausgeputzt“. Hierfür muss das Gefäß am Hals freigelegt, die Durchblutung des Gehirns teilweise vorübergehend ausgeklemmt, die Arterie auf- bzw. abgeschnitten, gesäubert und wieder verschlossen werden. An unserer Klinik erfolgt das routinemäßig am wachen Patienten, in Regionalanästhesie.
Warum am wachen Patienten? Weil das die beste neurologische Überwachung sicherstellt. Denn es kann sein, dass in dieser Phase die Durchblutung nicht reicht – ein Schlaganfall droht. Für diesen Fall gibt es einen Shunt, im Grunde einen kleinen Schlauch der vorübergehend eingelegt wird, die Durchblutung sicherstellt, die Operation aber erschwert und weitere Risiken mit sich bringt, weshalb wir gerne auch versuchen ihn zu vermeiden.
Und so kam es, dass kurz vor Beendigung der Gefäßnaht, nach etwa 14 Minuten Klemmzeit, die Patientin plötzlich neurologisch auffällig wurde. Zunächst konnte sie den Arm nicht mehr bewegen, die Quietsche-Ente, die wir ihr zum Drücken in die Hand gegeben hatten, nicht mehr drücken, dann nicht mehr sprechen. Schließlich wurde sie bewusstlos. Eine Shunt-Einbringung war nicht mehr sinnvoll, auch die Blutdruckerhöhung auf über 200 mmHg – sowohl bei der Patientin, als auch beim Operateur – brachte nichts. Es hing alles an mir! Jetzt musste es schnell gehen!
Wenn ich jetzt zu langsam bin oder die Naht „verkacke“, dann hat die bisher gesunde Patientin unter Umständen einen Schlaganfall und wird zum Pflegefall. Oder gar schlimmer. Ich habe selbst jetzt beim Schreiben noch Puls, wenn ich nur daran denke!
Ich musste mich zusammenreißen. „Fokussiere dich“, sagte ich zu mir. „Mach einfach weiter, funktioniere einfach. Jetzt! So wie verdammt nochmal die letzten knapp 100 Male.“ Und ich sage euch, auch ich habe einen Tremor in so einer Situation.
Die folgenden 2 Minuten kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Ich bin einfach nur dankbar in solchen Momenten, ein so tolles Team zu haben. ICH LIEBE DIESES TEAM! Alle haben die Gefahr erkannt, konzentriert und konzertiert gearbeitet. Alle hellwach. Wer das kennt, weiß wie das zusammenschweißt. Gefäß entlüften. Noch 3 Stiche, noch 2, dann den letzten Stich. Ich knüpfe blind. Die Klemme – schnell, die Klemme!
Die Klemme geht auf, die Durchblutung normalisiert sich, die Patientin wird nach wenigen Sekunden wieder langsam wach. Wir sind gespannt, halten die Luft an, während die Anästhesistin die Neurologie überprüft. Sie kann sprechen und den Arm bewegen. Da ist das Geräusch. Das Quietschen der Quietsche-Ente! Die Erleichterung im Saal ist hörbar.
Die weiteren Operationsschritte, Gefäßdarstellung zur Kontrolle, Blutstillung und der Wundverschluss verlaufen für mich wie in Watte.
Nahtende – ich kann wieder scherzen. „Dr. Bibber hat die Operation beendet“, sage ich zur Kollegin der Anästhesie. Alle lachen, sogar die Patientin.
Wir alle sind erleichtert. Ich wohl am meisten …
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Bildquelle: S. Tsuchiya, unsplash