Ein Viertel aller Deutschen sucht auf Internet-Portalen nach einem passenden Arzt. Über die Sinnhaftigkeit solcher Portale wird dabei gestritten: Stärken sie die Patientenautonomie oder sind sie Ausdruck eines durchökonomisierten Gesundheitssystems?
Auf dem in Deutschland führenden Online-Arzt-Bewertungsportal „Jameda“ erhalten die Ärzte von ihren Patienten Schulnoten. Nachdem man Fachrichtung und Wohnort eingegeben hat, erhält man eine nach Schulnote geordnete Liste von Ärzten. Scrollt man nach unten, wechselt die Notenfarbe von Grün zu Gelb zu Rot. Ganz unten angekommen, trifft man also auf die vermeintlich hoffnungslosen Fälle. Viele der Ärzte, die sich hier tummeln, haben nur wenige Bewertungen. Dort findet man Kommentare, die mit „Nie wieder, schwangerenunfreundlich!“ oder „Inkompetente Ärztin“ überschrieben sind. Arzt-Bewertungsportale erscheinen auf den ersten Blick als Ausdruck einer allgemeinen, durch neue Medien befeuerten, Veränderung der Arzt-Patienten-Beziehung. In dem Maße, in dem das Internet eine omnipräsente Quelle für Gesundheitsinformationen geworden ist, verändert es die Arzt-Patienten-Beziehung. Prof. Kai Sassenberg vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen setzt sich mit dem Wissenserwerb in Neuen Medien auseinander. Er erläutert: „Ärzte verlieren zunehmend die Rolle als Gatekeeper für Gesundheitsinformationen. Stattdessen müssen sie immer öfter vom Patienten mitgebrachte Gesundheitsinformationen interpretieren.“ Zusätzlich kann man eine immer stärkere Vernetzung und Selbstorganisation der Patienten beobachten, in deren Rahmen es wichtig zu sein scheint, auch Bewertungen über Ärzte auszutauschen. Sind diese Veränderungen Ausdruck einer wachsenden Autonomie des Patienten in der Arzt-Patienten-Beziehung? Und unterstützen sie gewissermaßen die Entwicklung weg von einem paternalistischen Modell, in dem der Arzt die Entscheidungen für einen unmündigen Patienten trifft, hin zum „shared decision making“, in dem der Arzt als Experte und der Patient als Betroffener gemeinsame Therapieentscheidungen treffen? Ja und nein, sagt Sassenberg. Für gewisse Patientengruppen, HIV-Infizierte zum Beispiel, die oft gut vernetzt und bestens informiert sind, ergibt sich so die Möglichkeit eines Autonomiegewinns. Andere Patienten hingegen beanspruchen dem Arzt gegenüber eine Autonomie, die sich negativ auf die Behandlung auswirken kann.
Prof. Ingrid Schneider vom BIOGUM, dem Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt der Uni Hamburg, ist sehr vorsichtig, was die Ausweitung der Selbstbestimmung angeht: „Die Google-Medizin befördert Hypochondertum. Das führt schnell dazu, dass überdiagnostiziert wird oder teure Ausschlussdiagnostik anfällt.“ Sie fährt fort: „Die Arzt-Patienten-Beziehung ist und bleibt asymmetrisch. Auch wenn sie ein Stück partnerschaftlicher geworden sein mag, begegnen sich Arzt und Patient nicht auf Augenhöhe.“ Der fachliche Vorsprung des Arztes auf der einen Seite und die als Extremsituation erlebte Krankheit, in der Patienten einen Arzt konsultieren, erlauben einfach keine Symmetrie. Sie sieht die Nutzung von Arzt-Bewertungsportalen deshalb vor allem als Ausdruck einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitssystems, die statt einer symmetrischen Arzt-Patienten-Beziehung eine Art Dienstleister-Kunden-Verhältnis befördert. Der Patient, der sich zunehmend als Kunde wahrnimmt, konsumiert den Arztbesuch ähnlich, wie er auf Amazon Bücher oder DVDs kauft. Der Arzt als Unternehmer auf der anderen Seite, befördert diese Entwicklung, indem er, anderen Arten von Dienstleistern gleich, individuell auf den Patienten zugeschnittene Zusatzleistungen anbietet: IGeL-Leistungen sind auf dem Vormarsch. Nur bleibt diese Entwicklung nicht ohne Folgen, sagt Schneider: „Dabei geht etwas ganz Elementares verloren, nämlich das Vertrauen des Patienten darin, dass der Arzt im besten Interesse des Patienten handelt.“
Dr. Weiß, Geschäftsführer von Jameda, hingegen sieht es als Notwendigkeit an, diesen Markt zu gestalten. „Unser Anspruch ist, für Transparenz im Gesundheitswesen zu sorgen. Wir sind ein Portal für beide, für Ärzte und Patienten, und sehen uns als Vermittler. Wir wollen, dass der Patient den richtigen Arzt und der Arzt den richtigen Patienten findet.“ Obwohl die Bewertungen bei Jameda subjektiver Natur sind, glaubt er daran, dass „Patienten ein Gespür dafür haben, ob sie gut behandelt werden. Patienten können insbesondere die Prozessqualität einer Praxis gut einschätzen.“ Die bis dato erschienenen Studien, die zu ermitteln versuchen, ob die Bewertungen solcher Portale mit objektiven Qualitätsmerkmalen ärztlicher Tätigkeit zusammenhängen, sind uneindeutig: Eine Studie in Großbritannien konnte bei Hausärzten eine gute Korrelation von Bewertungen und Qualitätsmerkmalen finden, ein Ergebnis, das eine erst vor wenigen Wochen veröffentlichte Studie für Ärzte in den USA allerdings nicht reproduzieren konnte. Das Portal Jameda, das sich vor allem über von Ärzten gebuchte Zusatzoptionen, wie Suchmaschinenoptimierung, finanziert, hat für Patientenbewertungen ein ausführliches System der Qualitätssicherung eingeführt. Alle Nutzerkommentare werden zuerst automatisch und dann manuell geprüft, um Betrug, beispielsweise durch werbeähnliche Auftragsbewertungen, aber auch Verleumdungen und Schmähkritik zu unterbinden. Auf der anderen Seite haben alle Ärzte, ohne einen kostenpflichtigen Zugang kaufen zu müssen, die Möglichkeit, über sie eingegangene Bewertungen zu kommentieren oder bei Jameda anzuzeigen. So will Weiß Jameda als Plattform der konstruktiven Kritik verstanden wissen. Dadurch haben Ärzte die Chance, auch im ambulanten Sektor der medizinischen Versorgung an wichtiges Feedback zu kommen, erläutert Sassenberg. Beispielsweise, warum ein Patient nach Arztbesuch und Behandlung nicht noch einmal die Praxis aufsucht.
Aber auch diese Art des Feedbacks hat ihre Grenzen. Die Verarbeitung von Gesundheitsinformationen in Form stark emotional geprägter Kommentare ist nicht zweckdienlich. Der Frust darüber, dass die Gesundheit nicht so mitspielt, wie man es gern hätte, kann so mitunter in einer schlechten Bewertung für den Arzt münden. Schneider nennt das „die Rache des kleinen Mannes.“