Von COVID-19 bis Herzinsuffizienz: Auch 2022 werden erste oder finale Ergebnisse zu spannenden klinischen Studien vorliegen. Hier sind unsere Raketen fürs neue Jahr.
Silvesterraketen Fehlanzeige, aber wer braucht schon Böller, wenn er klinische Forschung hat? Natürlich ist die Zahl der laufenden klinischen Studien in der Humanmedizin wesentlich zu groß für jeden auch nur ansatzweise repräsentativen Überblick über das Studienfeuerwerk, das uns im Jahr 2022 erwartet. Wir haben deswegen einige wenige ausgesucht, die auf einer besonders interessanten Trajektorie fliegen und die – vielleicht – spektakuläre Effekte produzieren werden.
Das neue Jahr muss starten, wie das alte endete. Natürlich wird uns auch 2022 mit Corona-Studien erfreuen und klar machen die bei unserem Feuerwerk den Anfang. Größere Lücken gibt es weiterhin bei der Frühtherapie. Hier tummeln sich gleich mehrere Großstudien, die ein ganzes Spektrum an Therapien über ambulante Covid-Patienten ausschütten und deren Ergebnisse 2022 anstehen.
Da ist die ACTIV-6-Studie, die Fluvoxamin in der 2 x 50 mg Dosis, Fluticason und Ivermectin evaluiert. Da ist die UMN-Studie, in der Metformin, Fluvoxamin, Ivermectin und Kombinationen dieser Substanzen gegeneinander antreten lässt. Und dann ist da auch noch die TOGETHER-Studie, die bereits im Trend positive Ergebnisse für Fluvoxamin in hoher Dosis vorgelegt hatte und die sich 2022 vor allem auf Kombinationen stürzen wird – unter anderem ein Kombi aus einem inhalativen Steroid und dem antiviralen Molnupiravir.
Der Siegeszug der SGLT2-Hemmer außerhalb ihres angestammten Reviers, der Diabetes-Therapie, ist eine der großen internistischen Studienerfolgsgeschichten der letzten Jahre. Mehrere Studien wollen an dieser Geschichte 2022 weiterschreiben. Da ist zum einen Dapagliflozin, das in der DAPA-HF-Studie eine Verbesserung der Prognose bei Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) sowie in der DAPA-CKD-Studie eine Verbesserung der Prognose bei chronischer Niereninsuffizienz erreicht hat. In der DELIVER-Studie nimmt Dapagliflozin jetzt die Herzinsuffizienz mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF) ins Visier, wo es bisher praktisch keine prognostisch wirksamen Therapien gab. Irgendwann im Laufe des ersten Quartals könnten Ergebnisse vorliegen.
In entgegengesetzter Richtung läuft Konkurrent Empagliflozin, das ebenfalls überzeugende Daten bei der HFrEF vorgelegt hat. Empagliflozin hat in der EMPA-PRESERVED-Studie bei HFpEF bereits reüssiert und nimmt 2022 mit der EMPA-KIDNEY-Studie Anlauf auf die Niereninsuffizienz. Ende des Jahres soll es so weit sein.
Brustkrebs gilt als eine der am besten behandelbaren Krebserkrankungen, aber das gilt nicht für alle Unterformen. Beim triple-negativen Brustkrebs waren die Optionen lange Zeit begrenzt, weil weder Antihormone noch gegen HER2 gerichtete Therapien einsetzbar waren. Mit den Immuntherapien könnten hier die Karten neu gemischt werden.
2022 stehen in diesem Bereich unter anderem interessante neue Daten zu dem Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab an. Bereits geliefert hat die industriegetriebene KEYNOTE-522-Studie, die den Nutzen in einem neoadjuvanten Setting untersucht hat. Das National Cancer Institute legt jetzt mit einer Phase-III-Studie mit über 1.000 Patientinnen nach, die die Substanz adjuvant, also postoperativ erhalten. Ein neuer Standard am Horizont?
Klein aber oho. Eine Phase-I-Studie des National Institute of Allergy and Infectious Disease (NIAID) in den USA will die bisher suboptimalen Impfungen gegen die saisonale Grippe revolutionieren. Zum Einsatz kommen soll der Impfstoff FluMos-v1, der Antigene von unterschiedlichsten Influenzaviren auf Nanopartikeln präsentiert. Präklinische Studien haben gezeigt, dass sich mit diesem Impfstoff ein breiteres Spektrum an Antikörpern generieren lässt als mit konventionellen Influenzaimpfstoffen. Damit ist der Impfstoff einer von mehreren Kandidaten für einen universellen Grippeimpfstoff, der dann vielleicht nicht Jahr für Jahr neu produziert werden müsste.
Es handelt sich allerdings noch um ein frühes Entwicklungsstadium: 35 Studienteilnehmer sind geplant. Eines der Studienziele ist, zu klären, wie der Nanopartikel-Impfstoff mit Menschen klarkommt, die schon eine Teilimmunität gegen Influenza aufweisen.
Das Halluzinogen Psilocybin hat als Therapeutikum in Pilotstudien zuletzt mehrfach auf sich aufmerksam gemacht. 2022 wird es ernst. Denn dann erwarten wir die Ergebnisse einer klinischen Phase-IIa-Studie, die Psilocybin im Rahmen eines internationalen Multicenter-Projekts des Unternehmens COMPASS Pathways bei insgesamt 231 Patienten mit therapieresistenter Depression untersuchen wird. Zu den wichtigsten Fragen gehört, welche Dosis am besten genutzt werden sollte. Getestet werden 1 mg, 10 mg und 25 mg der Pilzdroge pro Tag.
Die Präexpositionsprophylaxe ist dank COVID-19-Pandemie in das Bewusstsein vieler gerückt. Ihre eigentliche Domäne bisher war freilich die Behandlung von Hochrisikokindern in der RSV-Saison. Diese prophylaktische Antikörpertherapie ist hoch effektiv, aber mühsam – doch das könnte sich 2022 ändern.
AstraZeneca und MedImmune planen, die Ergebnisse ihrer internationalen 3.000-Kinder-Studie zu dem monoklonalen Antikörper Nirsevimab zu veröffentlichen. Genau wie das derzeit üblicherweise eingesetzte Palivizumab ist die Zielstruktur von Nirsevimab das F-Protein des RS-Virus. Allerdings wurde der Antikörper in Richtung längerer Halbwertszeit verändert. Zumindest bei den ganz kleinen Kindern könnte eine einzelne Dosis ausreichen, um eine ganze Saison abzudecken.
Apropos ganz kleine Kinder: Ob unsere abschließenden Studienraketen für 2022 wirklich schon 2022 landen oder möglicherweise doch erst 2023, ist noch offen. Da COVID-19 aber immer für Überraschungen gut ist, stehen sie auf jeden Fall auf dieser Liste. Die Rede ist von zwei Covid-Impfstoff-Studien für die Allerkleinsten.
Moderna evaluiert aktuell in der KidCOVE-Studie die Effektivität seines mRNA-Impfstoffs bei Kleinkindern ab 6 Monaten. Die Rekrutierung läuft – wie schnell das geht, hängt neben anderen Dingen auch vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. Das gilt analog auch für die Kleinkinderstudie von Pfizer/Biontech, deren Dosisfindungsphase im März 2021 startete. Hier gab es aktuell die Meldung, dass die zweimalige Impfung keine optimalen Ergebnisse bringt, sodass jetzt eine dreimalige Dosis evaluiert wird. Vor Mitte des Jahres sind hier wohl eher keine Ergebnisse zu erwarten.
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