Um ihre Beute zu fangen, injizieren schwarze Witwen Latrotoxine – sie sind für den Menschen mitunter tödlich. Der Wirkmechanismus der Nervengifte war bisher aber unklar. Eine Studie liefert nun neue Antworten.
Phobien sind häufig irrationaler Natur – insbesondere bei Spinnen, denn die Tiere haben mehr Angst vor Menschen als umgekehrt. Allerdings: Einige Exemplare haben es in sich. Beispielsweise die Latrodectus-Spinne, besser bekannt als Schwarze Witwe. Sie schnappt sich ihre Beute mit Gift – genauer gesagt: mit Latrotoxinen (LaTXs), einer Untergruppe der Neurotoxine. Ein Biss der Schwarzen Witwe kann auch für Menschen tödlich enden.
Wie das Nervengift genau aufgebaut ist, war bislang unklar. Prof. Christos Gatsogiannis vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat sich der Substanz angenommen – nicht nur wegen deren Einzigartigkeit, sondern auch im Hinblick auf mögliche medizinische Anwendungen. Mittels der sogenannten Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) ist es der Gruppe um Gatsogiannis gelungen, die erste Struktur eines Latrotoxins aufzuklären. Die Erkenntnisse der Forschungsgruppe sind jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications erschienen.
Neurotoxine dürften den meisten Laien in Form von Botox ein Begriff sein. Das Gift der Schwarzen Witwe wirkt jedoch alles andere als verschönernd. LaTX wurde von der Natur hauptsächlich entwickelt, um Insekten bewegungsunfähig zu machen oder zu töten. Dabei docken die Toxine an spezifischen Rezeptoren auf der Oberfläche von Nervenzellen an und bewirken die Freisetzung von Neurotransmittern, zum Beispiel durch einen Calcium-Kanal. Durch den ständigen Einstrom von Calcium-Ionen in die Zelle werden Transmitter abgegeben; die Folge sind Krämpfe.
Dieser Mechanismus unterscheidet die Latrotoxine von allen anderen Varianten der sogenannten porenformenden Toxine. „Trotz umfangreicher Studien in den letzten Jahrzehnten wussten wir nicht, wie diese Toxine aufgebaut sind. Daher waren wir bisher auch nicht in der Lage, den genauen Wirkmechanismus zu verstehen“, sagt Gatsogiannis. Die Kryo-EM konnte Abhilfe leisten: Mithilfe dieser dreidimensionalen Methode lassen sich Biomoleküle mittlerweile bis zur atomaren Auflösung bildlich festhalten. Dabei werden die Proteinkomplexe in flüssigem Ethan bei minus 196 Grad in Millisekunden in eine dünne Schicht von amorphem Eis eingefroren. Anschließend werden Hunderttausende von Bildern aufgenommen, welche unterschiedliche Ansichten des Proteins zeigen und so die Struktur des Nervengifts erkennen lassen.
Mittels der Kryo-EM ist es den Forschern gelungen, die erste Struktur eines Latrotoxins aufzuklären. „Die allgemeine Struktur des LaTX ist einzigartig und unterscheidet sich von allen bereits bekannten Toxinen in jeglicher Hinsicht“, betont Gatsogiannis. Die neuen Erkenntnisse sind grundlegend für das Verständnis des molekularen Mechanismus der LaTX-Familie und bereiten den Boden für mögliche medizinische Anwendungen – auch für die Entwicklung eines effizienten Gegengifts. Außerdem könnten die Erkenntnisse über die insektenspezifischen Toxine neue Möglichkeiten zur Schädlingsbekämpfung eröffnen.
Für künftige Forschungen ist es jedoch essenziell, zu verstehen, wie das Toxin genau in der Membran inseriert, also wie sich das Gift in die Zelloberfläche einfügt. „Momentan untersuchen wir die Struktur aller Mitglieder der Familie der Latrotoxine, vor allem, wie sie spezifische Rezeptoren an der Zelloberfläche sehr genau erkennen und wie diese Sensoren funktionieren“, erklärt Gatsogiannis.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Vidar Nordli-Mathisen, Unsplash.