Wo die Inzidenzen hoch sind, kriechen Intensivmediziner auf dem Zahnfleisch – und das seit 20 Monaten. Mit einem Hilferuf schlagen Berliner Ärzte jetzt Alarm. Gefährdet seien nicht nur Mediziner, sondern auch Patienten.
Wenn es um die Corona-bedingten Belastungen in den Krankenhäusern geht, dann reden alle sofort über die Pflege. Und das natürlich zu Recht, aber es ist eben nicht nur die Pflege, die in der Intensivmedizin auf dem Zahnfleisch kriecht. Auch die Intensivmediziner arbeiten spätestens seit Herbst 2020 am Limit, in vielen Regionen ging es schon vorher los. Anders als in der Pflege lässt sich ein geregelter Schichtbetrieb auf ärztlicher Seite oft schwerer durchhalten. 70 bis 80 Wochenstunden Arbeit ist für Ärzte auf Intensivstationen in Regionen mit höherer Inzidenz keine Ausnahme.
Auch hier gilt: Die Probleme gab es schon vor COVID-19. Dass Krankenhausärzte und insbesondere Ärzte in den durch COVID besonders betroffenen, maximalversorgenden Einrichtungen regelmäßig Überstunden machen, dass es intern allerorten subtilen Druck gibt, diese Überstunden nicht aufzuschreiben, all das ist kein Geheimnis und es ist nicht erst seit der Corona-Krise ein Problem.
Es ist diese Gesamtsituation, die Ärzte auf Berliner Intensivstationen dazu bewogen hat, jetzt unter dem Titel Intensiv am Limit eine Stellungnahme zu verfassen, die innerhalb weniger Tage knapp 1.500 Unterstützer gefunden hat und mittlerweile deutlich über Berlin hinauswirkt. Die Stellungnahme will auf die Arbeitsbedingungen für Ärzte auf den Intensivstationen aufmerksam machen. Sie ist ein Hilferuf einer Berufsgruppe, die vergleichsweise jung ist, relativ häufig Familie hat und bei denen das Privatleben in den letzten Monaten oft enormen Schaden genommen hat.
Einige Auszüge:
„Die vergangenen 20 Monate der pandemischen Ausnahmesituation haben nicht nur das Intensivpflegepersonal extrem belastet, auch wir Ärzte sahen und sehen uns weiterhin mit schwersten physischen und psychischen Arbeitsbedingungen konfrontiert. […] Leider ist es bereits vor der Corona Pandemie zu einer immensen Arbeitsverdichtung gekommen, welche durch eine hohe Belastung des gesamten intensivmedizinischen Teams […] die Sicherheit von Patienten gefährdet. Deshalb möchten wir, die Ärzte der Berliner Intensivstationen, auf die Umstände unserer Arbeit aufmerksam machen. Allem voran – wir alle lieben unsere Arbeit und möchten das Beste für unsere Patienten.
[…]
Als Arzt oder Ärztin auf einer Intensivstation verbringen wir nicht selten bis zu 80 Stunden pro Woche und mindestens zwei volle Wochenenden im Monat in der Klinik. An Wochenenden und Feiertagen sind es meist 13 Stunden pro Tag, sodass keine Zeit für Familie und Freunde mehr bleibt. Wir leisten lange Bereitschaftsdienste vom frühen Nachmittag bis zum nächsten Morgen ab. Ein „Bereitschaftsdienst“ auf der Intensivstation bedeutet für uns, aufgrund schwer kranker Patienten und ständiger telefonischer Erreichbarkeit oft nur 2–3 Stunden Ruhezeit. Der Tag danach gilt als frei, obwohl oftmals schon viele Stunden Arbeit an diesem Tag verrichtet wurden.
Es gibt aus gutem Grund eine Begrenzung der Arbeitszeit für Piloten oder Lastkraftwagenfahrer. Ein Flugzeug darf nicht starten, wenn das Personal nicht die notwendigen Erholungszeiten einhalten konnte. Uns Intensivmedizinern, die ständig Verantwortung für Menschenleben tragen, wird eine angemessene Arbeitszeitbegrenzung jedoch verwehrt.
Allein durch unsere Flexibilität und unseren immensen Arbeitseinsatz ist es möglich, wiederholt zusätzliche COVID-Intensivbetten zur Versorgung der Berliner Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Diesen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten, sehen wir als unsere Aufgabe. Doch nach 20 Monaten […] sind wir […] erschöpft, frustriert – schlichtweg über die Grenzen unserer Belastbarkeit gebracht.“
Arbeitszeiten müssen sich ändern
Den Initiatoren von „Intensiv am Limit“ ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Aktion nicht auf spezifische Krankenhausbetreiber zielt und dass die Probleme auch nicht auf Berlin beschränkt sind. Letzteres zeigte sich in den letzten Tagen an der großen Zahl an Rückmeldungen und Unterschriften aus ganz Deutschland. Es gibt auch viel Zuspruch aus dem niedergelassenen Bereich, vom Pflegepersonal und von Privatpersonen. Die Unterstützerliste auf Intensiv am Limit ist offen für jeden, sie ist nicht auf Intensivmediziner beschränkt.
„Wir als Berliner Intensivmediziner sind nicht mehr bereit, diese Arbeitszustände zu akzeptieren und fordern daher eine Neuanpassung unserer Arbeitszeiten bei angemessener Vergütung! Wir sind keine Helden, wir sind Menschen, und wir möchten auch wie Menschen behandelt werden.“
Die Botschaft jedenfalls ist mehr als deutlich. Es geht nicht in erster Linie um Geld, es geht um die Arbeitsbedingungen. Die waren schon vor der Corona-Krise mehr als grenzwertig, und sie sind spätestens jetzt nicht mehr tragbar.
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