Wer in einer Apotheke arbeitet, war bisher nicht unbedingt gut auf Karl Lauterbach zu sprechen. Zu oft hat der Mann mit der Fliege uns verprellt. Doch mir scheint, als könnten die Corona-Pandemie und sein neuer Posten das ändern.
Vor wenigen Jahren noch war Karl Lauterbach für die meisten Apothekenmitarbeiter ein absolut rotes Tuch. Er galt als Freund der Versandapotheken, stritt mit der CDU/CSU über ihren Wunsch nach einem Rx-Versandverbot und bezeichnete 2016 den Arzneimittel-Versandhandel als „zartes Pflänzchen“, das gehegt werden sollte. Ob ABDA oder die Freien Apotheker – alle hat er auf irgendeine Weise verprellt, so manches Mal wurden Gesprächsangebote durch Apothekerseite abgelehnt, weil man sich nichts davon versprach. Nun ist er Gesundheitsminister geworden, und die Reaktionen darauf sind überraschenderweise verhalten bis versöhnlich. Woran liegt das?
Lauterbach, ehemals nur als „der mit der Fliege“ bezeichnet, hat sich während der Coronakrise den Apotheken vor Ort ein gutes Stück angenähert. Man hat das Gefühl, dass er inzwischen die wohnortnahe, schnelle und dezentrale Organisation mehr zu würdigen weiß, als noch vor wenigen Jahren – als es ihm augenscheinlich vor allem um die Einsparungen von Rezeptgebühren ging, die Chronikern bei der Bestellung ihrer Medikamente im Ausland hatten.
Seine Überzeugung war damals ganz klar, dass sie die Beratung vor Ort nicht brauchen, da ihnen ihre Medikation seit Jahren bekannt sei. Gleichzeitig monierte er aber auch, man würde die Beratungsleistungen, zu der die Apotheker im Stande seien, nicht genügend ausschöpfen. Er forderte, ein System zu etablieren, das diese besser honoriert. Da dies eigentlich bereits über die Stückzahl der abgegebenen Packungen erfolgt, in die eine Beratungsleistung quasi eingepreist ist – die Apotheke erhält je Packung eines verschreibungspflichtigen Medikamentes ein Fixentgelt von 8,35 Euro für Abgabe und Beratung – und er diese aber dem Versand zubilligte, der ja seiner Aussage nach schlechter bis gar nicht berät, wäre das eigentlich ein Paradoxon. Die Krankenkasse würde somit tatsächlich zweimal für die Beratung bezahlen, was unwirtschaftlich ist. Ihm als Gesundheitsökonom sollte ein solcher Denkfehler eigentlich nicht unterlaufen.
Doch es herrschen andere Zeiten und angesichts der Corona-Pandemie wirken solche Diskussionen manchmal beinahe wie aus einer anderen Welt, obwohl sie nicht einmal fünf Jahre her sind. Lauterbach hat sich, auch dank seiner sehr intensiven Präsenz als Gast in diversen Talkshow-Formaten, als Gesundheitsexperte in den Augen der Öffentlichkeit etabliert. Seit März dieses Jahres gibt es bei Twitter sogar einen eigenen Hashtag: #wirwollenkarl. Seine Statements und Vorhersagen zum Thema Corona haben sich häufig bewahrheitet und viele sehen es mit einer gewissen Erleichterung, dass ein Mann ins Gesundheitsministerium einzieht, der auch ein originäres Studium und Erfahrung in diesem Bereich vorzuweisen hat.
Ich denke, dass es auch den meisten Apothekenmitarbeitern so geht, denen ein Arzt auf dem Ministersessel lieber ist, als ein Bankkaufmann wie Jens Spahn oder eine Lehrerin für Sonderpädagogik wie Ulla Schmitt, die uns den Versandhandel überhaupt erst ins Land geholt hat. Wie man anhand einer Umfrage der Deutschen Apotheker Zeitung (DAZ) ersehen kann, halten ihn die meisten Apothekenmitarbeiter für den richtigen Mann im Amt, haben ihm aber seine Aussagen in der Vergangenheit bezüglich des ausländischen Versandhandels noch nicht verziehen.
Was mich persönlich unglaublich stört, ist die Tatsache, dass Lauterbach nicht müde wird, das Umsatzwachstum der Vor-Ort-Apotheken anzuprangern und es mit den steigenden Arzneimittelkosten in der GKV in Verbindung zu bringen. Umsatz ist bei weitem kein Rohertrag und genau den müsste er sich als Gesundheitsökonom eigentlich vornehmen. Dass Medikamente in Deutschland zum Teil deutlich teurer sind als im Ausland, hat mit den Apotheken weniger zu tun als mit der Mehrwertsteuer. Und wenn man Chroniker entlasten möchte, dies aber nicht auf Kosten der eigenen Gesundheitsberufe im Land tun möchte, dann lässt man keine Boni-Modelle zu, sondern streicht die Rezeptgebühren für diese Gruppe. Das ist effizienter und belastet nicht die Versorgung.
Trotz allem haben die Präsidenten der Apothekerkammern Lauterbach zu seinem neuen Amt gratuliert und sehen durchaus, dass er die Arbeit der Apotheken besonders in den Zeiten der Pandemie zu würdigen weiß. Er hat sich immerhin schon seit Jahren dafür stark gemacht, die Beratungsleistungen besser zu honorieren und die Kompetenzen der Apotheker stärker zu nutzen. Außerdem war er einer der ersten, die eine Einbindung auch der Apotheker ins Corona-Impfgeschehen gefordert hatte. Vielleicht ist dies der Beginn eines ganz neuen Miteinanders – diese Hoffnung bleibt immerhin.
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