Die aktuelle S3-Leitlinie zur Therapie des schädlichen und abhängigen Tabakkonsums hat die Wirksamkeit aller Therapieoptionen neu bewertet. Sie skizziert Wege aus einer Abhängigkeit, an deren Folgen pro Jahr in Deutschland noch immer bis zu 140.000 Menschen sterben.
Der komplette Verzicht auf das Rauchen hat in der neuen S3-Leitlinie höchste Priorität. Sie stellt die Tabakabhängigkeit mit der von Alkohol auf eine Stufe und fordert indirekt deutlich mehr Entgegenkommen durch das Gesundheitssystem. Selbst ein kurzes Gespräch beim Hausarzt kann Raucher auf dem Weg in die erfolgreiche Abstinenz geleiten. Vor allem verhaltenstherapeutische Maßnahmen und Nikotinersatz erscheinen als erfolgversprechende Maßnahmen. Auch die qualifizierte Telefonberatung hat sich als äußerst hilfreich herausgestellt.
Nikotin reagiert mit den nikotinergen Acetylcholinrezeptoren. Die Folge ist eine Ausschüttung zahlreicher Botenstoffe, was Nikotin mit „harten Drogen“ wie Amphetamin und Kokain gemeinsam hat. Im Mittelpunkt dieser Drogenwirkungen und der des Nikotins steht der Transmitter Dopamin. Er ist der zentrale Transmitter im Belohnungssystem. Nicht selten genießen Raucher eine Zigarette zur Belohnung: nach der Arbeit oder nach einer anstrengenden Autofahrt. Diese Zigarette belohnt den Anwender und vermittelt ihm ein Wohlgefühl. Auf das will oder kann auch der Entzugswillige nicht verzichten. Nikotin allein ist aber nur Teil des Belohnungskonzeptes. Allein das Ritual, eine Zigarette zu halten, anzuzünden, den Rauch auszublasen, setzt Dopamin frei. (Auch) deshalb ist es so schwer, sich vom Glimmstängel loszusagen. Je länger der Betroffene raucht, desto mehr Bindungsstellen für den Transmitter Acetylcholin bildet er. Diese ACh-Rezeptoren sind für die Entzugssymptomatik verantwortlich. Einige Entwöhnungsmittel blockieren diese Bindungsstellen. Grundsätzlich gibt es unterschiedliche Ansätze, sich das Rauchen abzugewöhnen: Arzneimittel mit Nikotin, Nahrungsergänzungsmittel ohne Nikotin, Pharmaka gegen das Suchtverhalten, Homöopathika, Akupunktur und verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Die Leitlinienautoren haben zahlreiche Studien ausgewertet und die Therapieoptionen beurteilt.
Es wäre zu schön um wahr zu sein: Einfach jeden Morgen eine Tablette schlucken und man verspürt keinen Drang mehr, sich eine Zigarette anzuzünden. Ein seit langer Zeit antrainiertes und gelebtes Ritual wie das Rauchen lässt sich aber nicht mit Sofortwirkung abtrainieren. Rauchen ist mehr als die Aufnahme von Nikotin. Es ist ein Lebensstil und ein Lebenslaster zugleich. Die Nikotinersatztherapie (NET) hat das Ziel, dem Raucher vorübergehend Nikotin ohne begleitende Schadstoffe aus dem Tabakrauch in absteigender Dosis anzubieten. Die unterschiedlichen Produkte unterscheiden sich in der Kinetik ihrer Nikotinfreisetzung.
Nikotin ist seit 1983 in Deutschland als Medikament für die Raucherentwöhnung zugelassen. Pharmakologisch stehen heute auf der Basis der Nikotinersatztherapie neben dem Kaugummi und dem Nikotinpflaster auch noch Nikotinspray, Nikotininhalator und sublinguales Nikotin zur Verfügung. Nikotinkaugummi, -tabletten oder -inhaler setzen Nikotin mit einer höheren Anflutgeschwindigkeit frei und vermitteln dem Anwender das Gefühl der Kontrolle über die Nikotinzufuhr. Gegen den Nikotinturbo einer Zigarette kommen die Systeme dennoch nicht an. Vergleichsweise lahm ist der Oldie als Transdermales Therapeutisches System (TTS). Je rascher die Anflutung, desto größer ist aber auch das Abhängigkeitsrisiko. In der Leitlinie kommt die Nikotinersatztherapie gut weg, folgende Aussagen erhielten den höchsten Empfehlungsgrad:
Die Nikotinersatztherapie sollte für die Dauer von 8 bis 12 Wochen durchgeführt und während dieses Zeitraums allmählich reduziert werden. Zum Zeitpunkt der Erstellung der Leitlinie war das mittlerweile verfügbare Nikotinnasenspray noch nicht zugelassen. Deshalb wird hier keine Empfehlung ausgesprochen.
Die beiden Arzneimittel ohne Nikotin sind Bupropion und Vareniclin. Beide sind rezeptpflichtig. Das erste nikotinfreie Arzneimittel zur Raucherentwöhnung ist Bupropion. Hypothetisch steigert der als Tablette eingenommene Wirkstoff die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin im zentralen Nervensystem. Von seiner chemischen Grundstruktur ist Bupropion ein Psychopharmakon. Zur Effizienz liegen unterschiedliche, teilweise kontroverse Studien vor. Eine Kurzzeitstudie von Jorenby et al., die placebokontrolliert unter starken Rauchern durchgeführt wurde, lieferte auf den ersten Blick vielversprechende Ergebnisse. Die Probanden erhielten entweder Placebo, Bupropion, Nikotinpflaster oder eine Kombination aus Nikotinpflaster und Bupropion. Die Abstinenzrate war nach zwölf Monaten in der Bupropion-Gruppe doppelt so hoch wie in der Placebo-Fraktion, 15,6 vs. 30,3 Prozent. Dieses Ergebnis verleitet zu dem Schluss, dass "der Stein der Weisen" gefunden wurde. Das Ergebnis berücksichtigt jedoch nicht, dass von den 893 Studienteilnehmern 311 den Versuch abbrachen. Die Meisten, die dies mit Nebenwirkungen der Therapie begründeten, befanden sich mit großem Abstand in der Bupropion-Gruppe. Insgesamt traten drei schwere anaphylaktische Reaktionen auf, die auf die Einnahme von Bupropion zurückzuführen waren. Eine Studie von Stapleton et al. zu Nikotinersatz, Bupropion und der Kombinationsbehandlung an 1.071 Rauchern konnte keinen Vorteil für die Kombination von Nikotinersatztherapie plus Bupropion identifizieren. Eine höhere Wirksamkeit von Bupropion wurde nur in der Subgruppe von Rauchern mit einer Depression in der Vorgeschichte nachgewiesen. „Die Wirksamkeit von Bupropion zur Tabakentwöhnung ist belegt. Es besteht allerdings ein Risiko für neurologische und der Verdacht auf schwerwiegende neuropsychiatrische Nebenwirkungen“, so das Resümee der Leitlinie. Wenn eine leitliniengerecht durchgeführte, medikamentöse Behandlung mit einer Nikotinersatztherapie nicht ausreichend wirksam war, soll Bupropion als pharmakologische Monotherapie zur Tabakentwöhnung unter Beachtung von und nach Aufklärung über mögliche Risiken angeboten werden.
Der Wirkmechanismus von Vareniclin ist deutlich komplexer als beim Mitbewerber. Der Wirkstoff Vareniclin heftet sich mit großer Kraft an den α4β2-Subtyp des nikotinischen Acetylcholinrezeptors. Er stimuliert jedoch nur teilweise die Ausschüttung von Dopamin (partieller Agonismus). Diese vergleichsweise geringe Freisetzung des Belohnungsstoffes Dopamin reicht aus, das Nikotinverlangen und die Entzugssymptome zu vermindern. Da der Rezeptor jetzt durch Vareniclin belegt ist, kann Nikotin nicht mehr andocken. Der Raucher verspürt beim Rauchen einer Zigarette keinen Genuss mehr. In einer Zulassungsstudie wurde die Wirkung an insgesamt 1.025 Rauchern untersucht. Je nach Gruppe erhielten die Teilnehmer über einen Zeitraum von zwölf Wochen entweder Vareniclin (1 mg zweimal täglich), Bupropion (150 mg zweimal täglich) oder Placebo. Die Abstinenzrate betrug nach neun bis zwölf Wochen unter Vareniclin 43,9 Prozent, unter Bupropion 29,8 Prozent und unter Placebo 17,6 Prozent. Nach 9 bis 24 Wochen waren noch 29,7 Prozent (Vareniclin), unter Bupropion 20,2 Prozent und unter Placebo 13,2 Prozent weiterhin abstinent. Dauerhaft vom Tabakkonsum loszukommen soll dem Raucher mit Hilfe von Vareniclin um den Faktor 1,5 besser gelingen als unter einer Therapie mit Bupropion. In einer Studie von Lerman et al. wird betont, dass Vareniclin nur dann effektiv ist, wenn der Patient zu den Normalmetabolisierern gehört. Metabolisiert er Nikotin langsamer, war Vareniclin nicht wirksamer als Placebo. Die Meinung der Leitlinie zu Vareniclin: Wenn eine leitliniengerecht durchgeführte medikamentöse Behandlung mit einer Nikotinersatztherapie nicht ausreichend wirksam war, soll Vareniclin zur Tabakentwöhnung unter Beachtung von und nach Aufklärung über mögliche Risiken angeboten werden. Wird eine Fortsetzung der laufenden medikamentösen Behandlung zur Rückfallprophylaxe erwogen, kann Nikotinersatz für 16 bis 24 Wochen, Vareniclin für 24 Wochen oder Bupropion für 16 bis 45 Wochen angeboten werden.
Egal ob Autogenes Training, Hypnose, Muskelentspannung, Akupunktur oder Tees; die Liste der unterstützenden Maßnahmen, Tipps und Verhaltenstrainings ist lang. Beim bewährten chinesischen Verfahren sticht der Akupunkteur in der Regel drei Nadeln in die „Suchtpunkte“ des Ohrs. Dort verbleiben sie eine Zeit lang. Sie sollen beim Raucher die Gier nach der Zigarette dämpfen und zugleich die Entzugserscheinungen mildern. In den meisten Fällen wird die Prozedur mehrmals wiederholt. Die Erfolgsquote ist äußerst individuell. Die aktuelle Leitlinie rät weder zur Akupunktur noch zur Hypnosetherapie. Ebenfalls eine Absage erhalten E-Zigaretten, da über die Toxikologie der inhalierten Substanzen zu wenig valide Daten vorliegen. Lediglich bei starken Rauchern kann sie eine Option sein.
Die Leitlinien empfehlen unterschiedliche Ansätze zur motivierenden Gesprächsführung durch den Arzt. Beispielsweise die 5-A-Regel.
Ein weiteres Beratungsmodell ist das ABC-Prinzip: A = Ask (Abfragen des Rauchstatus, Dokumentation), B = Brief advice oder intervention (Individuelle und motivierende Empfehlung zum Rauchstopp) und C = Cessation support (qualifizierte Unterstützung bei Aufhörwunsch, Weiterleitung an ein anerkanntes Entwöhnungsangebot). Fazit: Die S3-Leitlinie liefert einen aktuellen und praxisnahen Überblick über alle Therapieansätze zur Tabakentwöhnung und stellt dem Arzt relevante Arbeits- und Entscheidungshilfen zur Verfügung.