Früh oder spät schlafen gehen, was ist besser für das Herz? Eine große Studie liefert nun die Antwort: Der perfekte Zeitpunkt existiert – und liegt irgendwo in der Mitte.
Dass Schlaf und die kardiovaskuläre Gesundheit zusammenhängen, ist kein Geheimnis. Dank zahlreicher Studien wissen wir, dass zu wenig oder zu viel Schlaf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Aber nicht nur wie lange und gut wir schlafen, spielt eine Rolle – auch wann wir schlafen, scheint einen Einfluss zu haben. Der Körper folgt seiner eigenen 24-Stunden-Uhr und Störungen dieses festen Biorhythmus können Folgen für die kardiovaskuläre Gesundheit haben. Erhöhungen des Blutdrucks, die Förderung von Atherosklerose, und andere Krankheitsbilder wurden schon mit einem beeinträchtigten Biorhythmus in Verbindung gebracht.
Besonders deutlich wird dies an Schichtarbeitern: Die Arbeit zu immer wechselnden Zeiten erlaubt keinen geregelten Schlafrhythmus und ist daher wenig überraschend mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Krankheiten verbunden. Gerade im Gesundheitswesen ist dies von Bedeutung, wo Ärzte und Pfleger nicht selten im Schichtbetrieb arbeiten müssen.
Daher sollte eine vor kurzem im European Health Journal – Digital Health publizierte Studie für Ärzte von besonderem Interesse sein: Hier wurde erstmals an einer großen, bevölkerungsbasierten Kohorte der Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt des Einschlafens und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen untersucht – anhand von Akzelerometer-Daten (also Daten eines Bewegungssensors) anstelle von Befragungen.
Ihre Daten bezogen die Forscher aus der UK Biobank – einer großangelegten biomedizinischen Datenbank mit Daten von etwa einer halben Million Teilnehmern aus Großbritannien. Neben Untersuchungs- und Befragungsergebnissen zum Lebensstil, Gesundheitszustand und soziodemographischen Hintergrund lieferte ein Teil der Teilnehmer auch Akzelerometer-Daten. Nach Ausschluss von Probanden mit unvollständigen Datensätzen und bereits bestehenden kardiovaskulären Erkrankungen und Schlafstörungen stand den Forschern so eine Kohorte aus 88.026 Patienten mit Daten zu kardiovaskulären Risikofaktoren wie Raucherstatus, Alter und Geschlecht, Cholesterinspiegel und Bluthochdruck zur Verfügung.
Bei dem Akzelerometer handelt sich um ein kleines Gerät, das die Probanden für 7 Tage rund um die Uhr am dominanten Handgelenk trugen. So konnten die Bewegungen der Probanden aufgezeichnet werden, während sie ihren normalen täglichen und nächtlichen Aktivitäten nachgingen. Diese Daten ermöglichten die Auswertung in Hinblick auf Schlafdauer, Schlafens- und Aufwachzeit und auch auf die Irregularität des Schlafs. Für die Bestimmung der mittleren Schlafdauer wurde die durchschnittliche Dauer der längsten Zeitspanne ohne Bewegungen herangezogen; die Mittel von Beginn und Ende dieser Perioden ergaben Schlafens- und Aufwachzeit. Die Schlafirregularität wurde als die Summe der Standardabweichung der 7-Tages-Schlafenszeiten und Schlafdauern bestimmt.
Endpunkte waren das erste Auftreten einer kardiovaskulären Erkrankung (CVD), der Tod des Probanden oder die letzte Datenveröffentlichung der UKB.
Die Kohorte deckte ein recht breites Altersspektrum von 43 bis 79 Jahren ab; das mittlere Alter lag bei 61,4 Jahren. Der Frauen-Anteil (57,9 %) war etwas höher als der der Männer und die durchschnittliche Follow-Up-Zeit betrug 5,7 Jahre. Entsprechend des durchschnittlichen Einschlaf-Zeitpunkts (sleep onset time, SOT) wurde die Kohorte in 4 Gruppen unterteilt: Der größte Teil der Probanden schlief zwischen 23 und 24 Uhr (35.884, 40,8 %) oder nach Mitternacht ein (31.721, 36,0 %). Eine SOT zwischen 22 und 23 Uhr hatten immerhin 16.975 Probanden (19,3 %) und nur 3,91 % (3.446) der Probanden schlief schon vor 22 Uhr ein.
Interessant wird es, sobald die CVD-Ereignisse betrachtet werden: Insgesamt 3.172 Teilnehmer, also 3,58 % der insgesamt 88.026, entwickelten eine CVD. Dabei unterschied sich die Häufigkeit innerhalb der Gruppen merklich. Wenig überraschend fanden sich die meisten Fälle in den beiden größten Gruppen: 1.371 der Betroffenen fielen in die Gruppe SOT nach 24 Uhr und 1.196 in die Gruppe SOT zwischen 23 und 24 Uhr; auf die Gruppengrößen bezogen entspricht dies einer Häufigkeit von 4,32 %, bzw. 3,33 %. In der Gruppe SOT 22–23 Uhr traten 473 Fälle auf – was einer Inzidenz von 2,79 % entspricht.132 der CVD-Fälle traten in der kleinsten Gruppe SOT vor 22 Uhr mit einer Häufigkeit von 3,83 % auf.
Zusammengefasst: Am häufigsten kam es in der Gruppe mit der spätesten Schlafenszeit zu kardiovaskulären Erkrankungen, am seltensten in der Gruppe mit einer Einschlafzeit zwischen 22 und 23 Uhr. Obwohl man vermuten könnte, dass eine spätere Schlafenszeit also grundsätzlich schlechter ist als eine frühere, war die Inzidenz in der Gruppe SOT 23–24 Uhr merklich niedriger als in der Gruppe mit einer sehr frühen SOT – es ergab sich also eher eine U-förmige Beziehung zwischen der Einschlafzeit und dem CVD-Risiko.
Die Forscher beließen es nicht nur bei der bloßen Feststellung der Inzidenzen, sondern nutzten die Daten ferner, um das relative Risiko der einzelnen Gruppen zu berechnen, an einer CVD zu erkranken. Als Referenz zur Berechnung diente die Gruppe mit SOT 22-23 Uhr, da diese die niedrigste Inzidenz vorwies. So ergaben sich die folgenden Hazard Ratios (HR):
Um zu überprüfen, ob Schlafdauer und Unregelmäßigkeit eine Rolle für das Risiko spielten, wurden sie ebenfalls in die Risikobetrachtung mit einbezogen. Im Durchschnitt am längsten schliefen – wenig überraschend – mit 6,5 h die Gruppen mit frühen SOTs vor 22 Uhr und zwischen 22 und 23 Uhr; mit 5,5 h am kürzesten schlief die Gruppe mit späten SOTs nach Mitternacht. Die Gruppe SOT vor 22 Uhr hatte allerdings auch den ungeregeltsten Schlafrhythmus, während die Probanden der Gruppe SOT zwischen 23–24 Uhr am wenigsten Abweichungen in der Schlafenszeit hatten. Wurde das Modell um diese zwei Faktoren berichtigt ergaben sich zwar niedrigere HRs; der grundsätzliche Zusammenhang zwischen CVD-Risiko und Schlafenszeit blieb allerdings bestehen (Modell 1).
Auch die Berücksichtigung von anderen bekannten CVD-Risikofaktoren wie Blutdruck, BMI und Raucherstatus (in der spätesten Gruppe alle am häufigsten vertreten) änderte die Beziehung nicht: Es blieb bei einer U-förmigen Kurve mit dem geringsten Risiko bei einer Schlafenszeit zwischen 22 und 23 Uhr (Modell 2).
SOT
HR (Modell 1)
HR (Modell 2)
Nach 24 Uhr
1,29 (95 % CI, 1,06–1,57; P = 0,01)
1,25 (95 % CI, 1,02–1,52; P = 0,03)
23 - 24 Uhr
1,09 (95 % CI, 0,98–1,22; P = 0,1)
1,12 (95 % CI, 1,01–1,25; P = 0,04)
Vor 22 Uhr
125 (95 % CI, 1,12–1,39; P < 0,005)
1,24 (95 % CI, 1,10–1,39; P < 0,005)
Eine zusätzliche Aufschlüsselung nach Geschlecht der Probanden zeigte jedoch einen deutlichen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Nach Kontrolle für Risikofaktoren blieb nur bei den weiblichen Teilnehmern der U-förmige Zusammenhang zwischen Schlafenszeit und CVD-Risiko bestehen. Schlafenszeiten vor 22 Uhr bzw. nach 24 Uhr waren bei Frauen signifikant mit einem erhöhten CVD-Risiko assoziiert (HR = 1,34; 95 % CI, 1,11–1,61; P < 0,005; bzw. HR = 1,63; 95 % CI, 1,20–2,21; P < 0,005). Bei den Männern war lediglich bei frühen Schlafenszeiten vor 22 Uhr das CVD-Risiko signifikant erhöht (HR = 1,17; 95 % CI, 1,01–1,35; P = 0,03).
Eine eindeutige Erklärung für dieses Phänomen konnten die Forscher nicht liefern. Einer der Autoren der Studie, Dr. David Plans, merkte dazu an: „Es könnte sein, dass es einen Geschlechtsunterschied in der Art und Weise gibt, wie das endokrine System auf eine Störung des Biorhythmus reagiert. Alternativ könnte das höhere Alter der Studienteilnehmer ein Störfaktor sein, da das kardiovaskuläre Risiko von Frauen nach der Menopause ansteigt – was bedeutet, dass es möglicherweise keinen Unterschied in der Stärke des Zusammenhangs zwischen Frauen und Männern gibt.“
Nichtsdestotrotz liefert die Studie also einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Einschlafzeit mit dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zusammenhängt – und dies unabhängig von anderen Faktoren. Es scheint, als gebe es also einen optimalen Zeitpunkt zum Schlafengehen innerhalb des 24-h-Zyklus des Körpers, und Abweichungen davon können der Gesundheit abträglich sein – egal, ob nun zu früh oder zu spät.
Die Autoren weisen darauf hin, dass weiterhin mehr Forschung zu den Themen Schlaf und Gesundheit erforderlich seien. „Die Ergebnisse zeigen zwar keine Kausalität, aber die Schlafdauer hat sich als potenzieller kardialer Risikofaktor erwiesen – unabhängig von anderen Risikofaktoren und Schlafmerkmalen. Wenn unsere Ergebnisse in anderen Studien bestätigt werden, könnten die Schlafenszeit und eine grundlegende Schlafhygiene ein kostengünstiges Ziel für die öffentliche Gesundheit sein, um das Risiko von Herzerkrankungen zu senken“, so Studienautor Plans.
Während die Studie zwar durchaus ihre Stärken hat – insbesondere die große und viele Ko-Faktoren umfassende Datengrundlage – müssen die Ergebnisse dennoch kritisch beäugt werden. So war die untersuchte Kohorte zwar ungewöhnlich groß, jedoch lassen sich die Ergebnisse nur bedingt generalisieren. Beispielsweise waren Menschen mit einem höheren sozioökonomischen Hintergrund deutlich überrepräsentiert. Der wichtige Faktor – Schichtarbeit – fehlt ebenfalls in der Studie, da nur ein geringer Anteil der Probanden damit Kontakt hatte.
Die Gruppengröße spielt auch an einer anderen Stelle eine Rolle: Die Gruppe derjenigen mit einer frühen Schlafenszeit vor 22 Uhr ist in Vergleich zu den anderen sehr klein. Dementsprechend sind die berechneten Hazard Ratios nicht genauso so aussagekräftig wie die der anderen Gruppen; in Hinblick auf die U-Form des Zusammenhangs zwischen SOT und CVD-Risiko ist die Aussagekraft also abgeschwächt.
Zuletzt: Eine weitere große Stärke der Studie, nämlich die Messung der Schlafenszeiten mithilfe von Bewegungssensoren, ist zugleich auch eine Schwäche. Zwar wird durch diese objektive Messung der subjektive Recall-Bias von Befragungen umgangen, jedoch ist die Genauigkeit der Messung nicht perfekt. Bewegen sich Probanden im Schlaf zu viel, funktioniert die Auswertung nicht mehr so gut. Ebenso können lange Ruhezeiten während des Tages die Berechnung verfälschen. Eine wirklich genaue Messung von Schlafdauer, Einschlafzeit und Unregelmäßigkeiten wäre nur durch Polysomnographie möglich, die sich in diesem Maßstab natürlich nicht durchführen ließe. Zuletzt bemängeln die Autoren auch selbst, dass eine Messung über 7 Tage hinweg nicht unbedingt der akkurateste Weg ist, um die Schlafgewohnheiten von Probanden repräsentativ abzubilden; in diesem Forschungsfeld sei dies jedoch der Standard.
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