Ist die arterielle Gefäßsteifigkeit schon in jungen Jahren erhöht, geht das mit einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck und Übergewicht einher. Das zeigt eine neue Studie. Was Ärzte tun können.
30 Prozent der Deutschen sind von Bluthochdruck betroffen, ein Viertel der Erwachsenen leidet an Adipositas – beides sind wichtige Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So schädigt Bluthochdruck im Lauf der Zeit wichtige Organe wie Herz, Gehirn, Nieren und Blutgefäße und erhöht das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, Demenz sowie eine Niereninsuffizienz deutlich. Mit Besorgnis beobachten Forscher, dass Bluthochdruck und Adipositas auch bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen weltweit zunehmen.
Um Bluthochdruck, Fettleibigkeit und dadurch entstehende Erkrankungen zu verhindern, ist es wichtig zu verstehen, wie sie zustande kommen. Ein wichtiger Risikofaktor für Bluthochdruck ist die arterielle Gefäßsteifigkeit. Ein Forscherteam um Andrew Agbaje von der University of Eastern Finland in Joensuu und Kuopio hat nun in einer umfassenden Längsschnittstudie erstmals gezeigt, dass arterielle Gefäßsteifigkeit in jungem Alter zur Entstehung von Bluthochdruck und Adipositas beitragen kann. Steifigkeit der Arterien bereits in jungen Jahren vorzubeugen, könnte daher ein wichtiger Faktor sein, um Bluthochdruck und damit verbundenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen.
Arterielle Steifigkeit könnte bei Jugendlichen und junge Erwachsenen als unabhängiger Risikofaktor zu Bluthochdruck beitragen.© Andrew Agbaje In der Studie, an der auch Wissenschaftler der University of Exeter und der University of Bristol in Großbritannien beteiligt waren, wurden Daten von 3.862 Jugendlichen (1.719 männlich, 2.143 weiblich) im Alter von 17,7 und erneut im Alter 24,5 Jahren ausgewertet. Die Jugendlichen waren Probanden der Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC), einer der weltweit größten, noch laufenden prospektiven Geburtskohorten-Studien.
Die arterielle Gefäßsteifigkeit wurde mithilfe der Pulswellenanalyse bestimmt, bei der die Pulswellengeschwindigkeit zwischen Halsschlagader (Arteria carotis) und Oberschenkelarterie (Arteria femoralis) gemessen wird. Zugleich wurde die Dicke der Intima-Media-Schicht der Halsschlagader erfasst – ein weiterer Indikator für atherosklerotische Prozesse der Gefäße.
Die Forscher analysierten den Zusammenhang zwischen den beiden Messungen und dem Risiko für erhöhten Blutdruck und Adipositas sieben Jahre später. Mithilfe statistischer Methoden kontrollierten sie den Einfluss möglicher Störfaktoren wie Rauchen, körperliche Aktivität, Körperfettanteil, Lipid- und Glukose-Werte, Herzrate sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Familie. Durch das längsschnittliche Design und mithilfe statistischer Methoden wie Regressionsanalysen und Strukturgleichungsmodellen konnten Agbaje und sein Team zeitliche Zusammenhänge analysieren, die Hypothesen über mögliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen erlauben. Als Einschränkung der Studie erwähnen die Forscher, dass die Teilnehmer zum größten Teil weiß waren und die Ergebnisse deshalb nicht ohne weiteres auf andere ethnische Gruppen übertragbar sind.
In ihrer Auswertung stellten die Wissenschaftler fest, dass eine höhere arterielle Gefäßsteifigkeit im Alter von 17 Jahren mit einem um 20 Prozent erhöhten Risiko für erhöhten systolischen Blutdruck und einem verdoppelten Risiko für erhöhten diastolischen Blutdruck im Alter von 24 Jahren einher ging. „Wir konnten zum ersten Mal nachweisen, dass die arterielle Gefäßsteifigkeit bei jungen Menschen ein starker und unabhängiger Prädiktor für systolischen und diastolischen Bluthochdruck ist“, schreiben die Forscher. Zwischen der Intima-Media-Dicke der Halsschlagader im Alter von 17 Jahren und Bluthochdruck und Adipositas im Alter von 24 Jahren wurde dagegen kein signifikanter Zusammenhang beobachtet.
Im nächsten Schritt wurden die Teilnehmer nach der Ausprägung ihrer arteriellen Gefäßsteifigkeit in vier gleich große Gruppen eingeteilt. In der Gruppe mit den höchsten Werten ließ sich über den 7-Jahres-Zeitraum ein Anstieg des systolischen Blutdrucks um 4 mmHg und des diastolischen Blutdrucks um 3 mmHg beobachten. Jugendliche mit leicht erhöhter arterieller Gefäßsteifigkeit, die aber noch im Normalbereich lag, zeigten dagegen einen nur halb so hohen Anstieg des systolischen und diastolischen Blutdrucks. Zwischen männlichen und weiblichen Teilnehmern bestanden keine signifikanten Unterschiede.
Weiterhin war bei einer höheren arteriellen Gefäßsteifigkeit im Alter von 17 Jahren das Risiko für spätere Adipositas um 20 Prozent erhöht. Umgekehrt war Adipositas mit 17 Jahren auch mit einer erhöhten Gefäßsteifigkeit zum Follow-Up-Zeitpunkt assoziiert. „Die Gründe, warum erhöhte Gefäßsteifigkeit Übergewicht voraus geht, sind noch nicht ganz klar“, sagt Agbaje. „Es könnte sein, dass sie die Durchblutung wichtiger Organe wie der Bauchspeicheldrüse oder der Leber verändert. Das könnte zu Störungen des Glukose- und Fettstoffwechsels führen, die wiederum Übergewicht begünstigen.“ Um die genauen Zusammenhänge zu verstehen, seien Studien zu molekularen und zellulären Mechanismen notwendig, so Agbaje.
„Arterielle Gefäßsteifigkeit in der Jugend und im jungen Erwachsenenalter könnte ein wichtiger unabhängiger Risikofaktor für späteren Bluthochdruck, Übergewicht und Fettleibigkeit sowie für Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein“, betont Agbaje. „Allerdings wurde dieser Einfluss bei der Vorbeugung von Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bisher zu wenig berücksichtigt. Der Vorbeugung von Gefäßsteifigkeit in jungen Jahren sollte deshalb auch in der Gesundheitspolitik und von Ärzten größere Bedeutung beigemessen werden.“
Was die Ursachen von arterieller Gefäßsteifigkeit in jungem Alter sind, wie sie verändert werden könnte und wie sich dies auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit auswirkt, sei noch nicht eindeutig geklärt, so Agbaje. Diese Fragen wollen die Forscher nun in weiteren Studien untersuchen, in die junge Menschen unterschiedlicher ethnischer Gruppen einbezogen werden.
„Die Studie ist aus meiner Sicht methodisch gut gemacht und aussagekräftig“, sagt Johannes Baulmann, Präsident der Gesellschaft für Arterielle Gefäßsteifigkeit Deutschland-Österreich-Schweiz (DeGAG). „Man weiß, dass die Pulswellengeschwindigkeit ein guter Messwert für die Verkalkung der Aorta, also die Arteriosklerose und damit für das ‚Gefäßalter‘ ist.“ Die Pulswellengeschwindigkeit habe eine große Vorhersagekraft für Herzinfarkte, Schlaganfälle und Tod. „Die Ergebnisse passen sehr gut in diese Theorie, da sie aufzeigen, dass bei jungen Erwachsenen mit bereits vorgealterten Arterien ein erhöhtes Risiko für späteren Bluthochdruck und vermutlich für weitere Folgeerkrankungen besteht“, sagt der Internist und Kardiologe.
Die starken Zusammenhänge der Pulswellengeschwindigkeit mit Bluthochdruck und Übergewicht fanden sich nicht für die Intima-Media-Dicke. „Demnach scheint die Messung der Arteriosklerose mittels Pulswellengeschwindigkeit in diesem jungen Alter eine höhere Vorhersagekraft für Herz-Kreislauf-Schädigungen zu haben als die der Intima-Media-Dicke“, so Baulmann.
Untersuchungen bei mittelalten und älteren Erwachsenen haben bereits gezeigt, dass die arterielle Gefäßsteifigkeit zu etwa 40 Prozent auf genetische Faktoren und zu etwa 60 Prozent auf den Lebensstil zurückzuführen ist. „Das würde bedeuten, dass sie zu 60 Prozent veränderbar ist“, sagt Agbaje. „Mögliche Einflussfaktoren sind langes Sitzen und mangelnde Bewegung, Übergewicht, Rauchen sowie Störungen des Glukose- und Fettstoffwechsels.“
Aus Sicht von Baulmann dürfte sich alles, was zu einem gesunden Lebensstil gehört und was Betroffene gegen Bluthochdruck und Übergewicht tun können, auch günstig auf die Gefäßsteifigkeit auswirken. „Dazu gehören regelmäßige Bewegung, weniger Zeit im Sitzen, eine gesunde Ernährung, das Anstreben eines normalen Gewichts und Nichtrauchen“, sagt der Internist und Kardiologe. „Außerdem ist bei echtem Bluthochdruck eine gute Blutdruckeinstellung und bei Diabetes eine gute Einstellung des Blutzuckers wichtig.“ Darüber hinaus können sich eine wirksame Kontrolle von Stress und ein geringer Salzkonsum günstig auf den Blutdruck auswirken.
Sehr überzeugend könne es für Betroffene sein, ihnen das Konzept des Gefäßalters deutlich zu machen, so Baulmann. „Wenn man Patienten erklärt, dass ihr Gefäßalter deutlich höher ist als ihr tatsächliches Alter, motiviert das viele, ihren Lebensstil deutlich zu ändern oder auch, die für sie sinnvollen Medikamente einzunehmen“, sagt der Experte. „Bei Verlaufsuntersuchungen lässt sich wiederum gut aufzeigen, dass das Gefäßalter durch den gesünderen Lebensstil und / oder eine höhere Therapietreue tatsächlich gesunken ist – was die Patienten darin bestärkt, die Veränderungen beizubehalten.“
Bluthochdruck wird in der aktuellen Leitlinie der europäischen Gesellschaften für Hypertonie und Kardiologe (ESH/ESC) von 2018 als ein Blutdruck gleich oder größer 140/90 mmHg definiert. Dieser gilt als behandlungsbedürftig. Werte zwischen 130/85 mmHg und 140/90 mmHg gelten als „hoch normal“. In diesem Fall wird den Betroffenen zunächst eine Änderung des Lebensstils empfohlen.
„Allerdings mehren sich Daten, die zeigen, dass verschiedene Patientengruppen von einer früheren Blutdrucksenkung profitieren können“, erläutert Florian Limbourg von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) beim Deutschen Hypertoniekongress. Daher sollte mit jedem Patienten individuell und unter Berücksichtigung weiterer Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgelegt werden, ab wann eine Blutdrucksenkung erfolgen soll und welcher Zielwert dabei angestrebt wird.
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