DERMA-KLARTEXT | Überfüllte Hautarztpraxen, lange Wartezeiten und komplizierte Diagnosen: Es geht bequemer und sogar digital – aber was hat die COVID-19-Pandemie damit zu tun? Hier gibt's das Experten-Interview.
Im zweiten Teil der Dermatologie-Sprechstunde von DocCheck Experts drehte sich alles rund um das Thema Telemedizin. Unsere Sprechstunde fand diesmal mit den Experten von dermanostic und medi-login als Live-Stream via Zoom statt. Moderiert wurde das Ganze von unserem Medical Content Manager Mats Klas, der eure Fragen an unsere Expertin Dr. Estefanía Lang gestellt hat. Fragen und Antworten könnt ihr hier bequem nachlesen oder lehnt euch zurück und schaut das Video.
Spannende Frage, denn das ist mein Alltag: Die Teledermatologie. Wenn mich jemand fragt: „Was hat sich heutzutage geändert?“ – dann sage ich „gar nichts“. Es ist genau wie vor drei Jahrhunderten. Der Patient stellt sich vor, wir stellen eine Diagnose und empfehlen eine Therapie. Das, was neu dazu gekommen ist, ist das Medium bzw. das Smartphone. Es findet nicht mehr eins zu eins in Real Life statt, sondern übertragen über das Bild-Text-Verfahren. 2019 wurde Telemedizin im Rahmen der GKV möglich gemacht, und 2020 hatten auf einmal wegen der Corona-Pandemie viele Patienten gar nicht mehr den Zugang zum Hautarzt vor Ort. Die Telemedizin ist im Grunde eine Erleichterung, weil man bei einem so stark visuellen Fach – wie im Bereich der Dermatologie – den Patienten und Ärzten trotzdem ermöglicht, Diagnosen zu stellen.
Natürlich kann man alles nebenbei machen, aber die Spezialisierung macht den Unterschied. Die Telemedizin ist zwar im Grunde nicht so anders, als die normale Sprechstunde, aber es gibt schon ein Paar Tücken und Besonderheiten. Wenn ich das also – genau wie die analoge Sprechstunde – jeden Tag Vollzeit mache, dann habe ich eine Expertise und weiß viel besser, wovon ich rede, als wenn ich es nur ab und zu tue.
Das sind die Fälle, wo wir nicht wissen: Verbirgt sich dort eine Neoplasie oder eine Langerhanszell-Histiozytose? Wo wir dachten, es wäre eine Intertrigo, eine Candida-Intertrigo oder eine Psoriasis inversa. Dann muss man den Patienten an die Praxis oder an die Uniklinik verweisen. Als Beispiel: Wenn wir einen Verdacht auf eine Genodermatose haben, wo wir Blut abnehmen möchten, brauchen wir diagnostisch ein weiteres Tool. Das kann dann der Hautarzt vor Ort übernehmen; der wird ja durch die Telemedizin nicht ersetzt.
Es gibt verschiedene Kategorien: Pigmentierte Läsionen, tumoröse Läsionen, chronisch-entzündliche Läsionen und Läsionen, die durch Erreger übertragen werden. Zusammengefasst, stellen die meisten Läsionen in der Dermatologie Blickdiagnosen dar. Als Beispiel unsere dermanostic Hautarzt App – wir können sagen, dass 92 Prozent der Patienten keinen weiteren Arztbesuch benötigen. Weil es blickdiagnostisch ablesbar ist. Bei den restlichen acht Prozent benötigen wir eine Lasertherapie von Aknenarben, eine Biopsie oder andere Maßnahmen, wie einen Abstrich oder eine Blutentnahme, um zum Beispiel Syphilis auszuschließen.
Um als Teledermatologe arbeiten zu dürfen, ist die Voraussetzung, dass man einen Facharzttitel der Dermatologie hat. Wobei ich immer empfehle, dass man vorher einen Online-Kurs oder andere Tools benutzt, um sich langsam herantasten zu können. Damit man auch weiß: Wo sind die Grenzen, wo sind die Möglichkeiten. Wichtig ist es, eine Berufshaftpflichtversicherung zu haben. Das ist als Arzt sowieso wichtig. Denn die Frage kommt bei der Telemedizin immer: Was ist, wenn ich einen Fehler mache? Und die Antwort ist leicht – Fehler kann ich immer machen oder etwas übersehen, nicht nur digital. Das heißt, wir müssen, besonders als Teledermatologen, immer eine Reihe an Differentialdiagnosen im Hinterkopf haben und diese auch mit dem Patienten abklopfen und diskutieren, ohne ihn aber zu verunsichern.
Da ist das Stichwort „Digitalisierung der Praxis“. Wenn die Praxis digital genug ist und der Arzt das jeden Tag mit Struktur macht, kann das sinnvoll sein. Aber wenn man über den Tellerrand hinausschaut und das Gesundheitssystem als Ganzes einbezieht, muss man sehen, wo kann entlastet werden und was darf nicht belastet werden, damit das Gleichgewicht da ist. Das strukturelle Problem ist ja, dass Patienten keinen Termin beim Dermatologen vor Ort bekommen, auch für kleinere Eingriffe zum Beispiel. Da bringt es ja nichts, wenn ihr Dermatologe vor Ort keine Zeit hat, weil er Telesprechstunde machen muss. Das heißt, gesundheitsökonomisch gedacht – nicht als einzelner User oder als einzelner Arzt, sondern im Sinne der Gesellschaft – macht es Sinn, wenn man es eher aufteilt und so die Anliegen sinnvoll auf den Teledermatologen und den Arzt vor Ort verteilt.
Wir sehen im Grunde alles, was wir auch in der Praxis vor Ort sehen; auch die Häufigkeiten sind relativ ähnlich. Die häufigste Erkrankung ist die Akne. Das ist der häufigste Konsultationsgrund beim Dermatologen und der dritthäufigste beim Hausarzt. Andere Erkrankungen, die sehr häufig vorkommen sind die Schuppenflechte, die Neurodermitis, die seborrhoische Dermatitis und alle anderen erregerbedingten Erkrankungen wie Fußpilz, Nagelpilz etc. Einen Statistikausreißer haben wir beim Thema Geschlechtserkrankungen und Hautveränderungen: Insbesondere des Penis, also der Vorhaut, die sogenannte Balanitis. Das sehen wir viel mehr als in der Praxis vor Ort oder in der Uniklinik. Die Hürde in der Praxis vorstellig zu werden, einen Termin mit der Sprechstundenhilfe dafür ausmachen zu müssen und sich dann vorm Arzt ausziehen zu müssen ist ganz einfach gelöst, indem man bequem von zu Hause aus ein Bild macht, auf dem man nur das Problem sieht und nicht das Gesicht.
Heutzutage bemerken wir, dass Telemedizin, insbesondere Teledermatologie, dazu führt, dass Patienten bereits in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung zu uns kommen. Und dadurch ist es so, dass wir bereits mit einem Dermakosmetikum over-the-counter sehr gut arbeiten können, ohne dass wir ein Medizinprodukt verschreiben müssen. Trotzdem ist es ähnlich zur Praxis vor Ort: Am Ende will der Patient immer etwas bekommen; entweder eine Pflegeempfehlung oder ein Rezept. Wenn man sagt, dass keine Behandlung nötig ist, ist der Patient erstaunt, denn er hat ja Beschwerden.
Ich denke, dass die COVID-19-Pandemie die Digitalisierung nochmal mehr angestoßen hat. Wenn die Pandemie weg ist, wird es dadurch aber nicht weniger Digitalisierung geben. Wenn wir unsere Pizza mit einem Lieferdienst per App bestellen können, dann gewöhnen wir uns dran, weil es bequem und einfach ist. Wenn es funktioniert, benutze ich es noch mal. Deswegen haben wir eine hohe Quote. Wenn die Pandemie vorbei ist, ist der Arztbesuch zwar einfacher, aber trotzdem hatten wir schon vor der Pandemie lange Wartezeiten auf einen Hautfacharzttermin. Und am Ende ist es diese Usability, also die einfache Anwendung, dass der Patient sagt: Ich möchte mein Problem jetzt abklären und wenn ich das von zu Hause machen kann, umso besser.
Genau, der Gesetzesbeschluss dazu kam schon vor der Pandemie – das hat mit der Pandemie gar nichts zu tun. Im Jahr 2018 wurde es bereits besprochen. Bis alle Bundesländer es umgesetzt hatten, war es 2019. Und die Pandemie kam 2020. Mit der Pandemie kam, dass bei Ärzten mit einem Kassensitz zugelassen wurde, dass sie mehr Patienten digital diagnostizieren und therapieren dürfen. Ob das nach der Pandemie wieder rückgängig gemacht wird, weiß man nicht. Aber das gilt nur für den Bereich der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Bedenken habe ich nicht. Es gibt einen Spruch: „Change is not painful only resistance to change is“ – d.h. einen Wandel, der gerade startet, kann ich auch nicht stoppen. Wenn der Patient einen Dienst benutzt, der funktioniert, wird er ihn immer wieder benutzen. Alle Telemedizinanbieter sind in der Lage oder haben mit Sicherheit ein Interesse, irgendwann eine KI zu programmieren. Wir können die KI später für uns Ärzte, für die Pflegekräfte oder für den Apotheker nutzen. Ein Klassiker: Der Patient steht in der Apotheke und sagt „Was habe ich denn hier?“. Dann müsste man ihn erst mal an den Arzt verweisen. Wenn man eine KI hätte, die dem Patienten direkt hilft, ist die Hauterkrankung direkt im Therapiemodus. Ob das dann ein ausländischer Anbieter oder ein deutscher Anbieter ist, liegt an uns. Deswegen haben wir auch direkt den Weg gewählt, zu sagen: Wir machen Teledermatologie und fokussieren unsere ganze Kraft und Energie darauf darin gut zu werden – „Made in Germany“. Nicht nur Dermanostic, auch andere sehr gute Konkurrenten, helfen dabei, dass die Digitalisierung weitergeht. Wir haben tolle Ärzte und wir haben tolle Patienten. Die Arzt-Patienten-Beziehung sollte gepflegt werden, auch digital.
Alle privaten Krankenversicherungen übernehmen die Kosten. Die Rechnung wird nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) erstellt. Bei den gesetzlichen Krankenkassen sind wir bei verschiedenen Schritten, dass die Abrechnung bald hoffentlich auch über diese möglich wird.
Es gibt über 100 verschiedene Krankenversicherungen in Deutschland. Man bespricht das mit jeder einzelnen Krankenkasse. So gibt es auch da verschiedene Kooperations-Übernahmemodelle. Pauschal kann man das leider nicht beantworten.
Dazu will ich eine kurze Geschichte erzählen: Letztens habe ich einen Befund bekommen von einer meiner Teledermatologinnen. Sie hat bei einem Fall bemerkt, dass Alter und Name nicht zum Patienten passen. Ich gucke es mir ebenfalls an und es fällt auf: Jemand anderes hat für den Patienten einen Fall eingereicht – Stichwort: Datenschutz. Da habe ich bei demjenigen angefragt, der den Fall hochgeladen hat. Was ist denn passiert? Sind Sie das? Erzählen Sie mir ein bisschen mehr. Können wir vielleicht telefonieren? Dann telefoniere ich mit dieser Person. Sie hat nicht direkt gesagt, worum es genau geht. Dann sagte ich: Wissen Sie, ich bin die behandelnde Ärztin. Ich will nur helfen. Vielleicht helfen Sie mir zu verstehen, denn der Fall passt hier vom Alter nicht. Die Person sagt dann zu mir, sie sei selbst die behandelnde Ärztin und es handele sich um einen Patienten von ihr. Eine behandelnde Ärztin also, die 25 Euro ausgegeben hat, um ihren Fall bei uns einzureichen. Ihr Patient war bei der Visite mit verschlechtertem Zustand aufgetaucht, das Erscheinungsbild der Haut war sehr ausgeprägt.
Daran sieht man: Wir als Ärzte, wir geben alles für unseren Patienten. Ich kenne das selber aus meiner Praxis-Zeit – ich habe es geliebt und mich immer reingehängt. Die Quintessenz dieser Geschichte ist also, wie schön wäre es, wenn wir dermatologische Konsile auch digitalisieren könnten. Deswegen werden wir mit Dermanostic bald eine weitere App herausbringen. Und genau das werden wir fokussiert machen, weil wir mit verschiedenen Krankenhäusern und großen Krankenhausketten bereits Kooperationsmöglichkeiten haben, wo das auch detaillierter besprochen werden muss. Denn das ist immer eine Frage, wie rechne ich ab? Aber wenn ich das vor Ort und live abrechnen kann, wieso nicht digital? Es muss nicht derselbe Preis sein, aber es muss etwas sein, wo ich eine Win-Win-Situation habe; wo dem Patienten direkt vor Ort geholfen werden kann. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt: Wie wichtig ist das aus gesundheitsökonomischer Sicht. Wenn du aktuell eine volle Sprechstunde hast, eventuell noch digital etwas machst – dann rentiert sich das nicht, noch ins Krankenhaus zu gehen, um dir dort einen Patienten anzuschauen. Insbesondere, wenn ein Arzt vor Ort ihn sowieso behandelt oder auch fotografieren kann.
Ja, wir haben mehrere Pilotprojekte in verschiedenen Gebieten in Deutschland. Die haben gezeigt, dass das super funktioniert. Insbesondere bei Hausärzten in ländlichen Regionen. Dadurch hätte der Hausarzt die Möglichkeit, die Hautveränderungen des Patienten via Bildtextverfahren direkt an den Dermatologen zu übermitteln. Dieser wiederum gibt dann bequem die Diagnose weiter.