Der Nanobody Nano-85 ist in der Lage, das Norovirus in Stuhlproben nachzuweisen und den Erreger in der Kulturschale zu zerstören. Damit ist er möglicherweise dazu geeignet, Norovirus-Infektionen nicht nur besser zu diagnostizieren, sondern auch deren Symptome zu behandeln.
„Weil so viele verschiedene Noroviren-Stämme existieren, die sich ständig verändern, ist sowohl die Entwicklung einer vorbeugenden Impfung als auch einer wirksamen Therapie äußerst schwierig“, sagt Dr. Grant Hansman, Virologe und Leiter der CHS-Nachwuchsgruppe Noroviren am Deutschen Krebsforschungszentrum und der Universität Heidelberg. Die Gruppe wird durch die C.H.S.-Stiftung gefördert.
Wissenschaftler aus Hansmans Arbeitsgruppe entdeckten kürzlich, dass ein sogenannter Nanobody – eine Art Miniatur-Antikörper – an Norovirus-ähnliche Partikel (VLPs) binden kann. Bei VLPs handelt es sich gewissermaßen um die Proteinhüllen der Viren, denen jedoch das Erbmaterial fehlt. Nanobodies erkennen und binden ähnlich wie ein Antikörper ein bestimmtes Antigen. „Allerdings sind Nanobodies viel kleiner, stabiler und wesentlich einfacher und kostengünstiger herzustellen als herkömmliche Antikörper“, erklärt Hansman. Besonders interessant ist, dass der Nanobody Nano-85 die VLPs von verschiedenen Norovirus-Stämmen erkennt. Daraufhin testeten die Forscher den Nanobody an Stuhlproben von infizierten Patienten und konnten damit ein Drittel der virushaltigen Proben als solche erkennen. „Wir müssen den Nachweis mit dem Nanobody noch verbessern“, schränkt Hansman ein, „aber weil sich Noroviren ständig verändern, brauchen wir dringend neue Werkzeuge, mit denen wir neue Varianten dieser Erreger erkennen können. Nano-85 könnte ein guter Kandidat dafür sein.“ Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Norovirus-ähnlichen Partikels (VLP) sowie die Darstellung eines Nanobodys. Nano-85 bindet an Norovirus-VLPs und zerlegt sie in ihre Einzelteile. © Dr. Grant Hansman, DKFZ
Der Nanobody Nano-85 erkennt eine hervorstehende Struktur auf VLPs verschiedener Norovirus-Stämme. Hansman beschreibt diese P-Domäne als eine flexible Struktur, die aus dem Virus hervortritt und sich „wie Gras auf einem Hügel an einem windigen Tag bewegt“. Diese Beweglichkeit ermöglicht es dem Erreger vermutlich, dem Immunsystem immer wieder zu entkommen, sie könnte ihn andererseits aber auch anfällig für Angriffe machen. Mithilfe der Röntgen-Kristallographie bestimmten die Wissenschaftler die Form und die molekularen Komponenten des Komplexes zwischen Nano-85 und der P-Domäne. Interessanterweise liegt die Stelle, an der der Nanobody an das Virus bindet, versteckt unter der Oberfläche des VLP. „Aus Sicht des Virus könnte dies eine Strategie sein, besonders anfällige Strukturen vor der Immunabwehr zu schützen“, erklärt Hansman. Als die Wissenschaftler jedoch versuchten, höher aufgelöste Bilder von der Interaktion im Elektronenmikroskop zu erhalten, wurden sie überrascht: Es waren keine intakten VLPs mehr zu finden. Offenbar war Nano-85 in der Lage, die VLPs in ihre Einzelteile zu zerlegen.
Die Bedeutung der Ergebnisse ist für Hansman klar: „Wenn Nano-85 tatsächlich dazu in der Lage ist, intakte VLPs zu zerstören, könnte das ein vielversprechender Ansatz sein, um eine Therapie gegen Noroviren zu entwickeln. Vor allem Krebspatienten mit geschwächtem Immunsystem könnten davon profitieren, denn eine Impfung würde ihr Immunsystem überfordern. Eine antivirale Therapie wäre für sie besser geeignet.” Originalpublikation: Nanobody Binding to a Conserved Epitope Promotes Norovirus Particle Disassembly Grant Hansmann et al.; Journal of Virology, doi: 10.1128/JVI.03176-14; 2015