Der neue Lipidsenker Bempedoinsäure schmückt sich mit dem Attribut „Sprunginnovationen“. Was ihn so wertvoll macht, lest ihr hier.
Es gibt nur wenige Volkskrankheiten, bei denen die Auswahl der Wirkstoffgruppen so eingeschränkt ist, wie bei der Hyperlipidämie. Mittel der Wahl sind Statine und als Adjuvans Ezetimib. PCSK-9-Antikörper oder die ebenfalls neuen Substanzen Inclisiran und Evinacumab sind für die breite Masse nicht geeignet. Einerseits wegen der vergleichsweise hohen Kosten, andererseits wegen der notwendigen intravenösen Injektion oder Infusion.
Statine sind grundsätzlich gut wirksame Pharmaka. In der letzten Zeit sind jedoch Hinweise auf die Zunahme einer Entstehung und Progression von Diabetes aufgetaucht. Dass Statine den Blutzuckerspiegel erhöhen können, steht bereits seit zehn Jahren in den jeweiligen Fachinformationen. Das Risiko, dass daraus ein Diabetes entstehen könnte, wird jedoch laut Fachinformation von der Reduktion des vaskulären Risikos durch Statine aufgewogen. Bei Rosuvastatin wird Diabetes mellitus sogar unter „häufige unerwünschte Wirkungen“ gelistet. Der Beginn einer Statintherapie kann die Blutzuckerkontrolle beim Typ-2-Diabetes erschweren. Die Folge kann eine Zunahme der verordneten Antidiabetika oder sogar die Notwendigkeit einer Insulintherapie sein, wie eine Studie in JAMA Internal Medicine zeigt.
Eine Diabetes-Progression trat bei knapp 60 Prozent der Statin-Anwender gegenüber 48,0 Prozent in der Vergleichsgruppe auf. Eine sekundäre Analyse zeigte eine Dosis-Wirkungs-Beziehung, wobei eine stärkere Senkung des LDL mit einem stärkeren Fortschreiten des Diabetes einherging.
„Bempedoinsäure wartet mit einem neuen Wirkprinzip, einer breiten Zulassung in einem großen Indikationsgebiet, überzeugenden Studienergebnissen sowie einer einfachen Einnahme in Tablettenform auf“, fasste der Chefredakteur der Pharmazeutischen Zeitung, Sven Siebenand, bei der Verleihung „zum Medikament des Jahres“ zusammen.
Im Gegensatz zu Statinen findet sich Bempedoinsäure nicht in der Muskulatur wieder. Statine greifen in den metabolischen Stoffwechsel der Mitochondrien ein, „klauen“ dem Muskel Ubiquinon, das zur zellulären Energiegewinnung notwendig ist. Sie können Myalgien und andere Muskelschäden auslösen. Bempedoinsäure ist ein Prodrug und hat keinerlei Nebenwirkungen an der Muskulatur.
Die Einsatzgebiete in der Lipidtherapie sind vielfältig:
Bempedoinsäure hemmt das Enzym ATP-Citrat-Lyase (ACL), das die Reaktion von Citrat zu Acetyl-CoA katalysiert. Der Stoffwechselweg ist somit der gleiche wie der der Statine. Bempedoinsäure greift früher in die pathogenetische Kaskade ein. Dadurch wird die HMG-CoA-Reduktasebildung unterbunden und die Cholesterinbiosynthese gehemmt. ACL kommt im Skelettmuskel nicht vor, was die Abwesenheit muskelassoziierter Nebenwirkungen erklärt.
Die Zulassung basiert auf vier randomisierten Phase-III-Studien des umfangreichen CLEAR-Studienprogramms an insgesamt 3.623 Patienten mit Hypercholesterinämie. Die Probanden wurden randomisiert und erhielten einmal täglich entweder 180mg Bempedoinsäure oder Placebo zusätzlich zur Statinbasistherapie. Der Behandlungszeitraum betrug 12 bis 52 Wochen. Der primäre Endpunkt in allen Studien war die mittlere prozentuale Reduzierung des LDL-Cholesterin-Werts in Woche 12 gegenüber dem Studienbeginn im Vergleich zu Placebo.
Es wurden zwei Subgruppen analysiert. Patienten unter manifester atherosklerotischer kardiovaskulärer Gefäßerkrankung und/oder heterozygoter familiärer Hypercholesterinämie und einer Statin-Therapie bildeten eine Kohorte. Patienten mit Statin-Unverträglichkeit die zweite Gruppe. Bei Patienten in Gruppe 1 lag der mittlere Ausgangswert des LDL-Cholesterins bei 107,6 mg/dl.
Nach zwölf Wochen hatte Bempedoinsäure adjuvant zur maximal verträglichen Statin-Therapie den LDL-C-Wert in Relation zum Ausgangswert placebokorrigiert signifikant um 17,8 Prozent gesenkt. Außerdem erreichten mehr Patienten dieser Gruppe einen LDL-C Wert unter 70 mg/dl (28,9 versus 8,0 Prozent). In Gruppe 2 lag der durchschnittliche Ausgangswert des LDL-Cholesterols mit 144,4 mg/dl höher als in Gruppe 1. Auch in dieser Gruppe konnte mit Bempedoinsäure placebokorrigiert eine signifikante LDL-C-Reduktion um 24,5 Prozent erzielt werden.
In der Studie CLEAR Wisdom reduzierte Bempedoinsäure das LDL-C von Studienbeginn bis Woche 12 im Vergleich zu Placebo signifikant: 32 Prozent vs. 9 Prozent in der Statinmonotherapiegruppe. Bempedoinsäure führte außerdem zu einer signifikanten Reduktion von Non-HDL-C, Apo B und TC.
In der multizentrischen, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten CLEAR-Tranquility-Studie erhielten Patienten mit einer Statinintoleranz über zwölf Wochen zusätzlich zu Ezetimib Bempedoinsäure. In die Studie wurden 269 Patienten eingeschlossen. Die Kombitherapie mit Bempedoinsäure senkte den LDL-C-Wert um 28,5 Prozent stärker als Ezetimib mit Placebo. Außerdem kam es zu einer signifikanten Senkung des Non-HDL-C um 23,6 Prozent, des Gesamtcholesterins um 18 Prozent, des Apolipoproteins B um 19,3 Prozent und des hochsensitiven C-reaktiven Proteins um 31,0 Prozent.
In der 24-wöchigen CLEAR-Serenity-Studie wurde randomisiert und placebokontrolliert die Wirkung von Bempedoinsäure im Vergleich zu Placebo bei Patienten mit erhöhtem LDL-C und Statinunverträglichkeit untersucht. Bempedoinsäure reduzierte im Vergleich zu Placebo das LDL-C von Studienbeginn bis Woche 12 signifikant und führte außerdem zu einer Reduktion von Non-HDL-C, Apo B und TC.
Da Bempedoinsäure in der selben pharmakologischen Kaskade wie die diabetogenen Statine agiert, stellt sich die Frage, ob auch „der Neuling“ das Diabetesrisiko steigert. Das Diabetes-Risiko wird durch die additive Gabe von Bempedoinsäure sogar signifikant gesenkt, 3,3 Prozent vs. 5.4 Prozent.
Bei Patienten mit Diabetes und Hypercholesterinämie, die keine Statine oder andere lipidsenkenden Medikamente erhielten, senkte Bempedoinsäure in Kombination mit Ezetimib den LDL-C-Spiegel signifikant und wurde im Allgemeinen gut vertragen, so eine im Dezember 2021 publizierte Studie von Bays et al.
Zur Wirkung von Bempedoinsäure auf die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität liegen bislang keine Studiendaten vor. Erkenntnisse zur kardiovaskulären Morbidität und Mortalität soll die placebokontrollierte CLEAR-Outcomes-Studie liefern. Sie wird in rund 30 Ländern bei etwa 12.600 Patienten mit Hypercholesterinämie und erhöhtem kardiovaskulären Risiko durchgeführt. Erste Resultate werden 2023 erwartet.
Genau wie Statine lässt sich auch Bempedoinsäure hocheffizient mit Ezetimib kombinieren und steht ebenfalls als Kombipräparat zur Verfügung. Ezetimib hemmt die Cholesterinabsorption in der Bürstensaummembran des Darms. Es kommt in der Folge zu einer Hochregulation der LDL-Rezeptoren, was den LDL-Cholesterinspiegel im Plasma senkt. Eine Monotherapie mit Ezetimib hat sich als nicht sinnvoll erwiesen, da der Körper die verminderte Cholesterinresorption durch vermehrte endogene Synthese auszugleichen versucht.
In Kombination mit Statinen kann Ezetimib das LDL-Cholesterin im Durchschnitt um 20–25 Prozent senken. Die meisten Leitlinien und Empfehlungen favorisieren inzwischen die Kombination von Statin-Ezetimib, wenn die Statin-Therapie allein nicht ausreicht, um die Behandlungsziele zu erreichen.
Im Vergleich zur Standard-Statin-Monotherapie zeigte im PRECISE-IVUS-Trial die Kombination aus Statin und Ezetimib eine stärkere Rückbildung der koronaren Plaques, was auf die durch die Cholesterinabsorptionshemmung induzierte aggressive Lipidsenkung zurückzuführen sein könnte. Die duale Therapie führte zu einer Reduktion des Plaque-Gesamtvolumens (TAV) um 6,6 Prozent, unter einer Statinmonotherapie nahm der Wert nur um 1,4 Prozent ab. Atheromatöse Koronarläsionen reduzierten sich unter der Kombitherapie um 1,4 Prozent, unter einer alleinigen Statingabe um lediglich 0,3 Prozent.
Die Teilstudie der PRECISE-IVUS-Studie von Fijisue et al. zeigte, dass die koronare Plaque durch eine intensive lipidsenkende Therapie tendenziell reduziert wird. Die Senkung des LDL-C-Spiegels war bei Patienten mit und ohne DM ähnlich. Bei Patienten mit DM senkte die DLLT den LDL-C-Wert < 70 mg/dL, wie in den Leitlinien empfohlen. Der HbA1c-Wert stieg während der Nachbeobachtungszeit nicht an.
Bempedoinsäure ist ein gut verträgliches Pharmakon. Dennoch kann es zu Neben- und Wechselwirkungen kommen. Das Pharmakon kann den Harnsäurespiegel steigern und eine Hyperurikämie verursachen oder verschlimmern sowie Serumkreatininwerte erhöhen. Grund dafür ist vermutlich die Hemmung des OAT2-Transporters, was in vitro Studien ergeben haben.
Bempedoinsäure hemmt außerdem die beiden organischen Anionen-Transporter OATP1B1 und OATP1B3. Die gleichzeitige Anwendung mit Arzneimitteln, die Substrate eines oder beider Transporter sind, kann zu einer Wirkungszunahme führen. Dies gilt u.a. für Bosentan, Glecaprevir, Grazoprevir, Voxilaprevir u.a.
Bei gleichzeitiger Anwendung mit Statinen kann der Lipidsenker deren Plasmaspiegel und somit das Risiko für Myopathien erhöhen. Dies gilt besonders für Simvastatin. Eine Metaanalyse zeigte, dass Bempedoinsäure eine gut verträgliche und wirksame therapeutische Option zur Lipidsenkung bei Patienten mit Hyperlipidämie darstellt, sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit verschiedenen anderen Lipidsenkern. Und obwohl die Bempedoinsäure auf demselben Weg wie die Statine wirkt, verursacht sie nicht die mit den Statinen verbundenen Nebenwirkungen, so Whitney et al. in ihrer Studie.
Mit Bempedoinsäure ist eine wichtige Säule in der Therapie der Hypercholesterinämie auf den Markt gekommen. Ob als Monotherapie bei Statinunverträglichkeit oder in Kombination mit Statinen, Ezetimib oder PCSK-9-Hemmern. Letztgenannte befinden sich in einer oralen Variante der Pipeline. Es bleibt spannend an der Fettfront.
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