Deutschland startet jetzt mit der Präexpositionsprophylaxe bei COVID-19. Für Höchstrisikopatienten gibt es damit einen zusätzlichen Schutz in Zeiten hoher Inzidenz.
Seit Freitag können an der Charité Berlin die ersten Patienten, die auf aktive COVID-19-Impfungen nicht ansprechen und die ein besonders hohes COVID-19-Risiko haben, mit einer neuen Form der Therapie gegen COVID-19 behandelt werden: Sie erhalten eine so genannte Präexpositionsprophylaxe (PrEP) mit monoklonalen Antikörpern. Sie zielt darauf ab, bei einer möglichen späteren Infektion mit SARS-CoV-2 die Viren einzufangen und so zu verhindern, dass der oder die Betreffende eine schwere Covid-19-Erkrankung entwickelt. Auch in anderen Bundesländern steht diese Form der Prophylaxe in den Startlöchern oder wird bereits durchgeführt. Viele Nierentransplantationspatienten im Raum Dresden beispielsweise sind bereits behandelt.
Das „Prinzip PrEP“ ist nicht neu: Breite Bekanntheit hat die HIV-PrEP, die das Risiko ungeschützter Sexualkontakte durch prophylaktische Gabe von HIV-Medikamenten minimiert. Näher am Corona-Kontext und an der SARS-CoV-2 PrEP ist die Antikörper-PrEP bei Kindern mit hohem Risiko für schwere RSV-Infektionen. Für diese Erkrankung gibt es bisher keine aktive Impfung. Die RSV-Prophylaxe wird normalerweise in den Wintermonaten vorgenommen, in denen das RSV-Risiko besonders hoch ist. In diesem Pandemiejahr 2021 haben viele Kinderärzte die RSV-PrEP vorgezogen, da RSV-Infektionen schon ab Spätsommer spürbar anzogen.
Die SARS-CoV-2-PrEP ist vom Prinzip her eine Passivimpfung. Diskutiert wurde sie schon länger. Seit einigen Wochen gibt es nun eine Zulassung, die sie im größeren Stil ermöglicht. Durchgeführt wird sie, wie die therapeutische SARS-CoV-2-Antikörper-Therapie im COVID-19-Frühstadium, mit Antikörpern, die über die Stern- und Satelliten-Apotheken verteilt werden, die die Bundesregierung eingerichtet hat. Das Ganze ist derzeit noch keine GKV-Leistung, die Medikamente kommen aus der Bundesreserve.
Zielgruppe der SARS-CoV-2-PrEP seien im Prinzip alle Patienten, die durch COVID-19 besonders gefährdet sind und die auf die COVID-19-Impfungen nicht ansprechen, betonte Prof. Norbert Suttorp, Direktor der Klinik für Infektiologie und Pneumologie der Charité Berlin: „Das sind Patienten nach Nierentransplantation, aber auch zum Beispiel mit Immunsuppressiva behandelte Patienten mit Uveitis, mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, mit hämatologisch-onkologischen Erkrankungen oder mit rheumatologischen Erkrankungen.“
Absolut klar definiert ist die Zielgruppe bisher noch nicht. Erfahrungen müssen erst einmal gesammelt werden. Aber zumindest, wenn die immunsuppressive Behandlung als Kriterium herangezogen wird, ist klar, dass die potenzielle Zielgruppe sehr groß ist. Die Behandlung wird dann auch keine ausschließliche Angelegenheit für Krankenhäuser sein können: „Ich sehe das auch in den ambulanten Facharztpraxen. Das können nicht nur wir machen“, so Suttorp. Anwendungstechnisch sollte der ambulante Einsatz vom Thema Erstattung abgesehen relativ unproblematisch sein: Anders als bei der aufwändigeren, frühtherapeutischen Applikation reicht bei der PrEP eine Kurzinfusion oder sogar eine subkutane Applikation aus.
Neben den patientenseitigen Risikofaktoren ist die zweite interessante Frage natürlich, welche Konstellation „pandemieseitig“ erfüllt sein muss, um die PrEP zu rechtfertigen. Auch hier gibt es bisher nur Konzepte, keine abschließenden und allgemeingültigen Empfehlungen. Denkbar ist, das pandemieseitige Risiko an der Inzidenz festzumachen, zum Beispiel ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200/100.000. Auch individuelle Expositionskonstellationen werden eine Rolle spielen: Immunsupprimierte Menschen, die in Risikoumfeldern arbeiten oder zum Beispiel Kinder haben, die in KiTA oder Schule überexponiert sind, fallen einem da als erstes an.
Zugelassen für die SARS-CoV-2-PrEP ist in Europa, und zwar für Personen ab 12 Jahren und ab 40 kg Körpergewicht, das von Roche vertriebene und von Regeneron entwickelte Präparat Ronapreve®, bekannter unter dem Namen REGEN-COV2. Es enthält 600 mg Casirivimab und 600 mg Imdevimab. Prinzipiell könnten auch die anderen von der Fachgruppe COVRIIN des RKI in ihrer Therapieübersicht gelisteten Antikörpertherapien, konkret Bamlanivimab/Etesevimab von Lilly und AbCellera und das neue Regdanvimab (Regkirona®) von Celltrion PrEP-geeignet sein. Die Zulassung dafür haben beide noch nicht.
Wie wird jetzt bei der SARS-CoV-2-PrEP genau vorgegangen? Die Charité Berlin handhabt es so, dass die Betreffenden entweder (mindestens) dreimal geimpft sein oder aber genesen und zweimal geimpft sein müssen. Außerdem sollten SARS-CoV-2-Spike-Antikörper (IgG) abgenommen werden, wobei die Messung frühestens zwei bis vier Wochen nach der dritten (bzw. zweiten) Impfung erfolgen sollte.
Bei so selektionierten Patienten wird dann mit der obengenannten Dosis im Sinne einer Loading Dose i.v. oder s.c. behandelt. Dabei muss das Ergebnis der Antikörperbestimmung zumindest für die Loading Dose nicht abgewartet werden, so handhaben es zumindest die meisten Einrichtungen in der derzeitigen pandemischen Situation. Bei anhaltender Exposition muss die Injektion dann alle vier Wochen wiederholt werden, solange bis das Ansteckungsrisiko wieder als niedrig eingestuft wird, sei es weil eine berufliche oder anderweitige Expositionssituation wegfällt oder weil die Hintergrundinzidenz vernachlässigbar klein ist. Die Erhaltungsdosis bei Casirivimab/Imdevimab beträgt jeweils 300 mg, also die halbe initiale Dosis.
Was die praktische Umsetzung angeht, empfiehlt die Charité bei Erstgabe eine Nachbeobachtungszeit von 60 Minuten. Stellt sich nach der Loading Dose heraus, dass die Patienten zuvor doch gering positive Spike-Antikörper hatten, sollte über eine erneute Booster-Impfung nachgedacht und die PrEP ggf. beendet werden. Ein weiteres Problem ist, dass die zur Verfügung stehende Antikörpermenge derzeit begrenzt ist. Die Ampullen sollten deswegen möglichst aufgebraucht werden, was es erforderlich macht, mehrere Patienten gleichzeitig einzubestellen.
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