In der Pandemie wird es deutlicher denn je: Der Intensiv- und Notfallmedizin fehlen Fachkräfte. Mit welchen Plänen will die Ampel-Koalition Personal gewinnen? Spoiler: Pflegeexperten sind nicht von allem begeistert.
Es gibt zu wenig Pflegefachkräfte auf deutschen Intensivstationen – das ist nicht erst seit der Corona-Pandemie so, rückt aber jetzt in den Fokus der Öffentlichkeit. Immer mehr Betten sind gesperrt und stehen somit nicht mehr zur Verfügung. Wie hoch der Personalmangel genau ist, kann zur Zeit niemand sagen, denn es gibt keine validen Zahlen dazu. „Es ist doch grotesk, dass ich weiß, wie viele Dialysemaschinen und ECMO-Betten es gibt, aber ein Land wie Deutschland weiß nicht, wie viele Intensivpflegende vorhanden sind“, sagte Carsten Hermes, Sprecher für Pflege in der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin (DGIIN) auf dem virtuellen Jahreskongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).
Auch wenn es keine belastbaren Zahlen gibt, steht fest: Für eine bedarfsgerechte Versorgung in einer heftigen Pandemie sind es schlichtweg zu wenig. Bereits Ende Oktober dieses Jahres waren 20 Prozent der maximal betreibbaren High-Care-Betten, in denen Patienten invasiv beatmet werden können und sogar 35 Prozent der Low-Care-Betten auf Intensivstationen gesperrt.
In den letzten zwölf Monaten wurde politisch ernüchternd wenig dafür getan, die Arbeitsbedingungen der Intensivpflegenden zu verbessern, um sie auf den Stationen zu halten. Jetzt hofft das medizinische Personal, dass die künftige Ampel-Koalition die Angelegenheit angeht.
Wie sehen die Pläne dazu konkret aus? Dazu hat SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach auf einem Symposium zum Fachkräftemangel in der Intensiv- und Notfallmedizin auf dem DIVI-Kongress einiges verraten. Die DocCheck News waren dabei.
Er gebe drei Dinge, die die künftige Regierung auf jeden Fall machen wolle, so Lauterbach:
Es werde „wie auch immer geartete deutlich bessere wirtschaftliche Voraussetzungen, möglicherweise Veränderung des Tarifgefüges, geben“, sagte Lauterbach. Es sei ihm klar, dass eine bessere Bezahlung allein nicht ausreiche, es sei aber eine „notwendige Bedingung“. Richtig konkret wurde er in Bezug auf das Gehalt aber nicht: Er sei immer für eine Veränderung des Tarifgefüges gewesen, „ob das umsetzbar ist, das werden wir sehen“.
Ein anderes Versprechen gab er dafür aber. „Auf jeden Fall“ würden die Zulagen für Nachtdienste sowie Überstunden und Dienste an Feiertagen und Sonntagen abgabenfrei gestellt werden. Das führe dazu, dass es „hier einen Zuverdienst gibt, der sich dann auch netto lohnt“, so Lauterbach.
Außer um Geld will sich die Ampel auch um die Frage kümmern, was Pflegekräfte dürfen und was nicht. „Wir werden es in dieser Koalition leichter haben, an das Heilberufegesetz ranzugehen“, so Lauterbachs Einschätzung. Es sei dringend notwendig, das offizielle Tätigkeitsspektrum von Pflegekräften zu erweitern: „Ich würde sagen, in den ärztlichen Bereich hinein“, oder um anderen Tätigkeiten, die dazukommen.
Pflegepolitischer Schwerpunkt Nummer drei: Bürokratie. Die künftige Regierung werde eine deutliche Entlastung bei der Dokumentationspflicht angehen, kündigte Lauterbach an. Der Plan sei „eine absolut konsequente Digitalisierung in der Intensivmedizin voranzubringen, da sind wir nicht da, wo wir sein müssten“. Krankenhausinformationssysteme würden erst langsam ausrollen. In der Intensiv- und Notfallmedizin kämen die Systeme zuletzt an, so sein Eindruck. Das sei „natürlich nicht akzeptabel“. Zum anderen müsse geschaut werden, was in diesen Bereichen unnötigerweise dokumentiert werde. Wie dieses Projekt genau ablaufen soll, ließ er allerdings offen.
Ein weiteres Vorhaben: Lauterbach kündigte an, es müsse eine Aktion geben, diejenigen, die aus dem Beruf ausgestiegen sind, wieder zurückzuholen. „Das kann nur gelingen, indem wir mit Prämien arbeiten“, so Lauterbach. Dieser Punkt zählt allerdings nicht zu seinen „drei Versprechen“, es bleibt also abzuwarten, ob und wie diese Kampagne tatsächlich umgesetzt wird.
An die Kraft der Prämien glauben Intensivpflegende nicht: „Ich muss Herrn Lauterbach, dem in ich in vielen Punkten zustimme, in einem Punkt widersprechen. Die Prämie wird niemanden zurückholen“, sagte Carsten Hermes. Und liefert dafür gleich einen Beleg: Eine bundesweite, repräsentative Umfrage unter Pflegenden im Rahmen seiner Masterarbeit hätte gezeigt, dass mehr Geld und Prämien bei der Frage, was Pflegeaussteiger zurück in den Job bringen würde, gerade einmal auf Platz 5 landen.
Viel wichtiger seien den Intensivpflegenden bessere Arbeitsbedingungen. Konkret nannte Hermes folgende Punkte: „Ein fester, klarer Patientenschlüssel, die Beachtung von Dienstplänen, die Freizeit möglich machen. Und auch, dass in dynamische, noch zu entwickelnde Personalbemessungsinstrumente patientenferne Tätigkeiten eingebaut werden.“
Die Pflegewissenschaftlerin Karen Pottkämper von der Akkon-Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin sieht es ähnlich: Solange sich an den Arbeitsbedingungen nicht wesentlich etwas ändert, bringen Geld und Prämien wenig.
„Natürlich wäre es auch schön, wenn ein bisschen mehr monetär kommt“, so Pottkämper. Viel wichtiger sei Intensivpflegenden aber, ihre Vision von guter Pflege umsetzen zu können. „Wenn sie das umsetzen können, bleiben sie eher im Beruf. Aber das ist im Moment leider nicht möglich.“
Vor allem an die festgelegten Personaluntergrenzen müsste man ran. Das große Problem: „Die Personaluntergrenzen werden häufig als Soll genommen.“ Anders formuliert: Manche kaufmännische Leiter behandeln die Untergrenzen als Maximum, oft auch ohne Differenzierung nach Art der Station.
Pottkämpers Vorschlag: „Ich kann mir vorstellen, dass man die PPR 2.0 um ein Plus Intensiv erweitert.“ Dazu müsse beispielsweise eine Arbeitsgruppe den Bereich Intensiv Plus erarbeiten, damit es auch für den dynamischen und sensiblen Intensivbereich ein passendes Personalbemessungsinstrument gebe.
Ein weiterer Punkt, den Intensivpflegende geändert sehen wollen: Der Pflegebedarf, sowohl in Quantität als auch in Qualität, muss von Pflegenden selber festlegbar sein. „Und dafür brauchen wir pflegesensitive Outcome-Parameter, die es in diesem Land nicht gibt. Mittelfristig wird das nur durch die Selbstverwaltung der Pflege in allen Bereichen möglich sein“, sagte Hermes.
Laut Koalitionsvertrag soll mit einer bundesweiten Befragung aller professionell Pflegenden herausgefunden werden, wie die Selbstverwaltung der Pflege in Zukunft organisiert werden kann. Hier wünscht sich Hermes, dass Intensivpflegenden nicht nur zugehört wird, sondern ihre Anliegen auch konsequent umgesetzt werden. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Dass die Professionalisierung der Pflege in Richtung Selbstverwaltung und Verkammerung in Deutschland im internationalen Vergleich schleppend verläuft, hat wesentlich pflegeinterne Gründe. Die besagte „Befragung“ hat ein Vorspiel, sie folgt auf eine Reihe vergeblicher politischer Anläufe.
Wie kann die Pflege noch attraktiver gemacht werden? Pottkämper hatte noch einen Vorschlag im Gepäck, der unmittelbar pandemiebezogen ist und wenn dann recht kurzfristig umgesetzt werden müsste: Die Arbeit von Intensivpflegenden ist psychisch schon immer belastend. Das habe sich unter den Bedingungen der Corona-Pandemie noch einmal drastisch verstärkt: „Die Pflegekräfte erleben viel mehr Leid und Tod als sie das sonst erleben auf den Intensivstationen.“ Sie fordert daher kurzfristig die psychosoziale Betreuung und Unterstützung des Personals, um Erlebtes besser verarbeiten zu können.
Von Lauterbachs Anliegen, mehr ärztliche Leistungen in Richtung Pflege zu übertragen, ist Pottkämper zu diesem Zeitpunkt nicht komplett überzeugt: „Wichtiger finde ich, dass die Pflegenden erstmal das tun können, was pflegerisch notwendig ist. Darüber hinaus kann man darüber sprechen, ob noch weitere Aufgaben übernommen werden können.“
Bildquelle: Luis Melendez, unsplash.