Den genauen Todeszeitpunkt von terminal erkrankten Menschen vorhersagen, das kann bisher niemand. Doch eine aktuelle Studie hat nun für Krebspatienten acht neue Merkmale ermittelt, die auf einen baldigen Tod innerhalb der nächsten drei Tage hinweisen.
Die Studie wurde an zwei medizinischen Zentren durchgeführt: Der universitären Krebsklinik in Houston, Texas und der Krebsklinik in Barretos, Brasilien. Ziel war es festzustellen, welche klinischen Signale gut zur Vorhersage des nahen Todes geeignet sind. An der Studie nahmen 357 konsekutiv eingelieferte erwachsene Patienten mit Krebs in einem fortgeschrittenen Stadium teil. Speziell geschulte Krankenschwestern protokollierten systematisch von der Einlieferung in eine Palliativstation bis zur Entlassung oder bis zum Tod alle 12 Stunden 52 klinische Merkmale. Die Patienten waren im Durchschnitt 58 Jahre alt. 57 % der Studienteilnehmer verstarben nach der Einlieferung. Von den 52 untersuchten Merkmalen zeigten 8 eine hohe Spezifität von über 95 % und einen positiven Likelihood-Quotienten (positive likelihood ratio, LR+) über 5 für einen Tod innerhalb von drei Tagen. Dies bedeutet, dass bei Patienten mit dem Merkmal die Drei-Tages-Sterberate fünfmal höher ist als bei Patienten ohne das Merkmal. Bei den identifizierten Merkmalen handelt es sich überwiegend um neurokognitive oder neuromuskuläre Verschlechterungen:
Die Ergebnisse der Studie sind gleich in mehrfacher Hinsicht hilfreich: Einerseits für Ärzte, die aufgrund der Merkmale besser einschätzen können, ab wann auf unnötige Blutabnahmen, Untersuchungen und Behandlungen verzichtet werden kann und der Fokus auf der Linderung des Leids und der Maximierung der Lebens- bzw. Sterbequalität liegen sollte. Zudem können die Studienergebnisse dabei helfen zu entscheiden, welche Patienten unmittelbar vom Tod bedroht sind und im Krankenhaus bleiben müssen, anstatt entlassen zu werden. Auch Angehörige und Betroffene profitieren von der Vorhersage, da sie ihnen ein Gefühl von Sicherheit in dieser unsicheren Zeit geben kann. Sie können sich auf den unmittelbar bevorstehenden Tod vorbereiten und Abschied nehmen. Wichtige Entscheidungen und Vorbereitungen können informierter getroffen werden, beispielsweise bezüglich letzter Besuche durch Familienmitglieder, Übernachtungen im Krankenhaus und der Beantragung von Urlaub.
„Das Vorhandensein eines dieser Merkmale deutet stark darauf hin, dass der Tod in den nächsten drei Tagen eintreten wird“, erklärt Dr. David Hui, Leiter der Studie und Palliativmediziner an der universitären AD Anderson Krebsklinik in Houston. „Die Abwesenheit dieser Merkmale bedeutet jedoch nicht, dass der Tod nicht bald eintritt. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass wahrscheinlich nur ein kleiner Teil der Patienten jedes dieser Merkmale zu einem beliebigen Zeitpunkt vor dem Tod aufweist. Allerdings wurde bei einer Mehrheit der Patienten mindestens eines dieser Merkmale während der letzten drei Lebenstage beobachtet.“ Da diese Merkmale spezifisch für Krebspatienten sein könnten, wollen Dr. Hui und seine Kollegen die Studie an anderen Patientengruppen und in anderen Umgebungen, beispielsweise Hospizen, wiederholen. Die Ergebnisse der nun veröffentlichten Studie ergänzen die Daten, die das Team bereits 2014 veröffentlicht hatte. Damals war das Team bereits fünf anderen Merkmalen auf die Spur gekommen, die sich ebenfalls durch hohe Spezifität und einen positiven LR auszeichneten:
Während die Ergebnisse der amerikanisch-brasilianischen Studie zur Entwicklung eines klinischen Scores führen könnten, der Ärzte bei der Entscheidungsfindung unterstützen kann, bleibt die Lage der Palliativmedizin in Deutschland insgesamt weiter unerfreulich. In einer gemeinsamen Stellungnahme bemängelten die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften jüngst, dass Deutschland auf dem Gebiet der Palliativversorgung im internationalen Vergleich nur auf Platz acht liegt – hinter Ländern wie Großbritannien, Australien, Irland, Belgien, Österreich und den Niederlanden. „Derzeit bestehen Unsicherheiten bezüglich der Effizienz der Palliativversorgung, da die Versorgungsforschung im Aufbau ist und in der Palliativmedizin erheblicher Forschungsbedarf besteht. Zudem gibt es innerhalb von Deutschland Unterschiede beim Zugang zur Palliativversorgung“, meint Professor Hans-Peter Zenner, Direktor der HNO-Klinik der Universität Tübingen. Während mancherorts ausreichend Angebote vorhanden seien, gäbe es andernorts überhaupt keine spezialisierten Teams oder Zentren. Schätzungsweise mehr als 50 % der etwa 80.000 betroffenen Patienten erhielten keine adäquate palliative Betreuung.
Auf dem Weg zu einer qualitativ hochwertigen, flächendeckenden und evidenzbasierten Palliativversorgung seien daher einheitliche Regelungen zur Finanzierung und eine bundesweit einheitliche Qualitätssicherung notwendig. Außerdem fordern die Akademien eine Förderung der interdisziplinären Palliativversorgungsforschung, die neben medizinischen und pflegewissenschaftlichen Fragen auch Ergebnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften berücksichtigt. Weiterhin seien Interventionsstudien in der Palliativmedizin nötig, um für alle Patientengruppen Leitlinien zur Palliativversorgung weiterzuentwickeln. Ebenso drängen die Akademien auf mehr Studien zum Einsatz von Medizintechnik, die die Selbstständigkeit von Patienten fördern kann. Eine weitere Empfehlung der Akademien betrifft die Einbindung von Betroffenen sowie deren Angehörigen in die Entscheidungsfindung zur Gestaltung einer Forschungsagenda: Die Akademien sind der Meinung, dass es dringend notwendig ist, diese Personen einzubeziehen – nur so könne sichergestellt werden, dass die Versorgung auch an den Bedürfnissen der Empfänger ausgerichtet ist.