Bariatrische Operationen sind oft der einzige Weg, fortgeschrittenem Diabetes Einhalt zu gebieten. Eine Studie präsentiert jetzt therapeutische Ansätze auf hormoneller Ebene.
Mithilfe der Darmzellen, die unter anderem für die Aufnahme von Nährstoffen zuständig sind, schafft es der Darm, sich Veränderungen in der Ernährung schnell anzupassen. Dabei können jegliche Darmzellarten aus Darmstammzellen ausgebildet werden – eine außergewöhnliche Fähigkeit unseres Verdauungsorgans. Eine dauerhafte stark zucker- und fettreiche Ernährung stört jedoch diese Anpassung und kann zur Entwicklung von Adipositas, Typ-2-Diabetes und Magen-Darm-Krebs beitragen.
Wissenschaftler haben nun in einer Studie versucht, die molekularen Mechanismen hinter dieser Fehlanpassung zu verstehen. Die Forscher gingen davon aus, dass Darmstammzellen eine besondere Rolle bei der Fehlanpassung spielen. Mithilfe eines Mausmodells untersuchten sie daher die Auswirkungen einer zucker- und fettreichen Ernährung und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe. „Als erstes stellten wir fest, dass sich der Dünndarm bei der hochkalorischen Diät stark vergrößert", sagt Studienleiterin Anika Böttcher, die gemeinsam mit ihrem Team ein Profil von 27.000 Darmzellen von Mäusen erstellte. „Mittels neuer Machine-Learning-Techniken fanden wir so heraus, dass sich Darmstammzellen bei den Mäusen mit ungesunder Diät deutlich schneller teilen und differenzieren.“
Die Forscher gehen davon aus, dass dies auf eine Hochregulierung der entsprechenden Signalwege zurückzuführen ist, die bei vielen Krebsarten mit einer Beschleunigung des Tumorwachstums in Verbindung steht. „Dies könnte ein wichtiger Zusammenhang sein: Die Ernährung beeinflusst die Stoffwechselsignale, was zu einem übermäßigen Wachstum von Darmstammzellen und schließlich zu einem erhöhten Risiko für Magen-Darm-Krebs führt“, so Böttcher.
Mithilfe dieser hochauflösenden Technik konnten die Wissenschaftler auch seltene Zellarten im Darm untersuchen, zum Beispiel hormonabsondernde Zellen. So konnten sie unter anderem zeigen, dass eine ungesunde Diät zu einer Verringerung der serotonin-produzierenden Zellen im Darm führt. Das kann unter anderem eine Trägheit des Darms zur Folge haben – ein typisches Symptom von Diabetes mellitus – oder auch den Appetit erhöhen. Des Weiteren zeigte die Studie, dass sich die absorbierenden Zellen an die fettreiche Diät anpassen und ihre Funktionalität erhöhen und so direkt eine Gewichtszunahme begünstigen.
Querschnitt des Darms einer Maus: Darmstammzellen in Grün, Zellteilung in Rot. Quelle: Anika Böttcher, Helmholtz Munich.
Diese und weitere Erkenntnisse aus der Studie führen zu einem neuen Verständnis von Krankheitsmechanismen im Zusammenhang mit einer hochkalorischen Diät. „Was wir herausgefunden haben, ist von entscheidender Bedeutung, um alternative nichtinvasive Therapien zu entwickeln“, fasst Studienleiter Heiko Lickert die Ergebnisse zusammen.
Bisher gibt es noch keinen pharmakologischen Ansatz, um Übergewicht und Diabetes zu verhindern, aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Nur bariatrische Operationen bewirken einen dauerhaften Gewichtsverlust und können sogar zu einer Remission von Diabetes führen. Diese Operationen sind jedoch invasiv, nicht reversibel und kostspielig für das Gesundheitssystem. Neue, nichtinvasive Therapien könnten beispielsweise auf hormoneller Ebene durch gezielte Regulation des Serotoninspiegels ansetzen. Diesen und weitere Ansätze wird die Forschungsgruppe in nachfolgenden Studien überprüfen.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Helmholtz Zentrums München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt. Hier gelangt ihr zur Originalpublikation.
Bildquelle: Mae Mu, Unsplash