Führt der Pandemie-Stress bei Patienten mit psychischen Vorerkrankungen zu schlimmeren Symptomen? Dieser Frage sind jetzt Göttinger Forscher nachgegangen.
Berufliche und private Einschränkungen sowie ein eingeschränktes Sozialleben während der Corona-Pandemie können zu erhöhter psychischer Belastung führen. Bisher wurde angenommen, dass Menschen mit psychischen Vorerkrankungen während der Pandemie verstärkt Stress erleben, sich dadurch ihre Symptome verschlechtern oder es zu Rückfällen kommt. Somit könnten sie eine Risikogruppe mit besonderem Behandlungsbedarf sein, die durch die Maßnahmen zur Pandemiebewältigung besonders belastet sind.
Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Teilprojekts zum Pandemiemanagement, egePan Unimed, des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu COVID-19 wurden diese Patienten in den Blick genommen.
Ein Forscher-Team der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) konnte jetzt in einer Langzeitstudie zeigen: Der Verlauf der psychischen Belastung bei Patienten mit psychischen Vorerkrankungen während der Pandemie weist ein charakteristisches Muster auf – die Patienten reagieren mit Be- und Entlastung, abhängig von Beschränkungen (Lockdown) und Lockerungen. Dieser Verlauf entspricht, verglichen mit Studien aus der Allgemeinbevölkerung, einer normalen Stressreaktion mit nachfolgender Gewöhnung. Gleichzeitig ist jedoch das Stresserleben bei Menschen mit psychischen Vorerkrankungen hoch.
„Trotz dieser positiven Ergebnisse sollte der Langzeitverlauf der psychischen Belastung weiterhin kontinuierlich beobachtet werden, um eine Verschlechterung rechtzeitig zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern“, sagt Priv.-Doz. Dr. Claudia Bartels, Erstautorin der Studie und Leitende Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG. Im zweiten Lockdown stellte das Team eine Abnahme an Schutzfaktoren bei den Studienteilnehmern fest, die sich nach und nach weiter erschöpfen könnten. „Insbesondere Frauen, Patienten mit mehreren psychischen Erkrankungen sowie Patienten, die initial stark auf Stresssituationen reagieren, zeigen einen ungünstigen Verlauf und haben daher ein besonderes Risiko für einen erhöhten Behandlungsbedarf“, so Bartels.
Für die Erhebung der Daten wurden 213 Patienten zwischen 18 und 95 Jahren mit einem breiten Spektrum an psychischen Erkrankungen im Verlauf der Pandemie telefonisch interviewt. Mit Hilfe einer neu entwickelten Befragungsmethode, dem Göttinger Belastungs- und Symptominventar (Gö-BSI), befragten die Wissenschaftler die Patienten zu psychosozialer Belastung, Symptomveränderungen sowie Risiko- und Schutzfaktoren. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience veröffentlicht.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung der Universitätsmedizin Göttingen.
Bildquelle: Luis Villasmil, unsplash.