Manche sind hochzufrieden, andere herbe enttäuscht – die Reaktionen auf den Koalitionsvertrag fallen unterschiedlich aus. Lest hier, wie Kliniken, Pharmaindustrie und GKV zu den neuen Plänen stehen.
Die Ampel-Fraktionen präsentierten am Mittwoch (24. November 2021) mit stolzer Brust ihren Koalitionsvertrag. Begeistert von den Inhalten sind zwar längst nicht alle Akteure des Gesundheitswesens – viele sehen die Politik mit dem neuen Vertrag aber auf dem richtigen Kurs.
Die Klinikbetreiber zeigten sich zufrieden mit den Plänen: „Aus Sicht der Krankenhäuser ist das Papier eine sehr gute Arbeitsgrundlage für die kommenden vier Jahre“, heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).
Dass das Thema Krankenhausreform einer der größeren Brocken für die neue Koalition werden würde, war schon vorher klar. Die drei Parteien kündigen hierzu einen Bund-Länder-Pakt an. Schon in naher Zukunft soll eine noch einzuberufende Regierungskommission Empfehlungen für Krankenhausplanung und Finanzierung auf Basis von Leistungsgruppen und Versorgungsstufen erarbeiten. Außerdem soll das DRG-System weiterentwickelt werden: Wörtlich heißt es, das bisherige System solle „um ein nach Versorgungsstufen (Primär-, Grund-, Regel- Maximalversorgung, Uniklinika) differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen ergänzt“ werden.
Die DKG kann sich damit mehr als anfreunden: Die Ankündigung der Koalition zu einem Bund-Länder-Pakt bei der Krankenhauspolitik sieht sie als „Aufbruch in eine neue Zeit des Dialogs und der politischen Verantwortung“. Explizit gelobt werden auch die Pläne, das DRG-System weiterzuentwickeln und die Probleme der Sektorentrennung im deutschen Gesundheitssystem anzugehen.
Ein weiterer Punkt hat es den Klinikbetreibern angetan: Die Absicht der künftigen Koalitionäre, das von ver.di, dem Deutschem Pflegerat und der DKG gemeinsam erarbeitete Pflegepersonalbedarfsbemessungsinstrument (PPR 2.0) kurzfristig umzusetzen.
„Dieses Instrument, das von Minister Spahn strikt abgelehnt wurde, ist eines der Mittel, um die Personalprobleme in der Pflege nachhaltig anzugehen“, so der DKG-Vorstandsvorsitzende Dr. Gerald Gaß. Für ihn „eine ganz wichtige Botschaft der neuen Regierung, die die Pflegenden in den Krankenhäusern als Aufbruch verstehen werden“.
Deutlich weniger Jubel kommt von den Pharmaverbänden. Sie kritisieren die Koalitionspläne zu den Arzneimittelpreisen: So sollen den Krankenkassen mehr Möglichkeiten zur Begrenzung der Medikamentenpreise eingeräumt werden. Geplant ist auch, dass der verhandelte Erstattungspreis in Zukunft ab dem siebten Monat nach Markteintritt des Arzneimittels gilt – das Preismoratorium soll beibehalten werden. Für die Pharmaindustrie kein Fortschritt, sondern vielmehr eine innovationsfeindliche Maßnahme.
Bislang sind in Deutschland neue Medikamente sofort verfügbar, da die Kassen sie ab dem ersten Tag der Zulassung erstatten, ohne dass Abzüge nachträglich eingefordert werden. Im Prinzip soll sich das auch nicht ändern, aber: „Jetzt soll die Möglichkeit geschaffen werden, rückwirkende Rabatte einzuführen. Nachträgliche Abzüge sind aber unkalkulierbare Risiken für die Unternehmen“, kritisiert der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).
Hier werde „eine traditionelle Stärke des deutschen Systems – die schnelle Verfügbarkeit von neuen Arzneimitteln – unnötig aufs Spiel gesetzt“. Und das zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt: Die Corona-Krise habe gerade erst gezeigt, wie wichtig ein innovationsoffenes System für die schnelle Verfügbarkeit von Arzneimitteln ist. Die neue Koalition setze hier „falsche Signale“.
Positiver fällt hingegen das Urteil des Bundesverbands Managed Care (BMC) aus. Besonders gelobt wird das Vorhaben künftig eine Opt-out-Lösung für die elektronische Patientenakte einzurichten, um die Verbreitung zu beschleunigen. „Die ePA kann ihr Potenzial erst entfalten, wenn sie wie selbstverständlich ohne großen Aufwand in der Versorgung genutzt wird. Das Opt-out-Verfahren ist für die flächendeckende Verwendung der Schlüssel“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Auch die angekündigten Bürokratieentlastungen und der Ausbau telemedizinischer Leistungen finden Anklang beim BMC.
Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse (TK), sieht Lücken im Koalitionsvertrag im Bereich Finanzierung. „Das Thema Finanzierung ist zwar berücksichtigt, etwa über die Dynamisierung des Steuerzuschusses, allerdings fehlen konkrete und unmittelbar wirksame Maßnahmen, zur Ausgabenkontrolle“, wird Baas in einer Pressemitteilung zitiert. Hinzu komme das Risiko, dass andere Elemente des Koalitionsvertrags teuer für die Versicherten werden.
Allerdings: Die staatlichen Überweisungen an die Krankenkassen für die ALG II-Empfänger sollen künftig üppiger ausfallen. Reichen wird das nicht, um die 14 Milliarden Euro Lücke zu schließen, die ab 2023 auftun wird und die als praktisch unvermeidbar gilt. Wer sich in Berlin umhört, der kann auf die Idee kommen, das hier am Ende auch an Beitragserhöhungen gedacht wird, zumal die Verringerung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel ihren Weg in den Koalitionsvertrag nicht gefunden hat.
Zuspruch von Baas erhalten die Koalitionäre für ihre Pläne in Sachen Digitalisierung: Der Vertrag zeige ein klares Bekenntnis, die Digitalisierung im Gesundheitswesen weiter voranzutreiben und in der Pflege anzuschieben: „Das ist gut und wichtig“. Der Koalitionsvertrag signalisiere auch, dass die gematik immer wichtiger für eine funktionierende Infrastruktur werde. Die kluge Nutzung von Gesundheitsdaten sei eine weitere Digitalisierungsgrundlage – und ein geplantes Gesundheitsdatennutzungsgesetz daher ein Schritt in die richtige Richtung.
Ein Haar in der Suppe findet Baas allerdings noch: Dass die Koalitionspartner die Versorgungsstrukturen vor allem im Bereich Krankenhaus angehen wollen sei zwar eine gute Sache. Beim Thema Krankenhausfinanzierung „fehlen allerdings klare Anreize für Qualität", sagte Baas.
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