Acht Seiten nehmen Pflege und Gesundheit im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien ein. Klingt wenig, ist aber mehr als vorgesehen war. Lest hier, was die Koalitionäre in Angriff nehmen wollen – und welche Folgen das für Ärzte und Pfleger hat.
Mit acht Seiten nehmen Pflege und Gesundheit im 177-seitigen Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition mehr Platz ein, als ursprünglich angekündigt war. Nur bei den traditionellen Schwergewichten Verteidigung und Finanzen sind die Kapitel deutlich länger. Ein vielsprechender Einstieg also und tatsächlich haben die Seiten 80 bis 88 einiges in sich.
Zwar sind die neuen Corona-Maßnahmen, die Bundeskanzler-in-spe Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch verkündete – berufsbezogene Impfpflichten, Impfen in Apotheken – nicht Teil des Koalitionsvertrags. Aber die Corona-Krise hat doch deutliche Spuren in dem Dokument hinterlassen. Am deutlichsten wird das an der Neuaufteilung der Gesundheitskompetenzen auf Bundesebene. Deutschland, so wollen es die Koalitionäre, erhält ein am Bundesministerium für Gesundheit angesiedeltes Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit. Darin geht zum einen die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf. Zum anderen bündelt es wesentliche operative Public-Health-Aktivitäten, die bisher am Robert-Koch-Institut (RKI) angesiedelt waren, inklusive des Dauerbrenners Vernetzung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD).
Das RKI wiederum wird eine (reine?) Forschungseinrichtung, die künftig – Lothar Wieler wird es freuen – weisungsungebunden wissenschaftlich arbeiten darf. Insgesamt soll der ÖGD gestärkt werden, unter anderem wird an die Sozialpartner appelliert, einen eigenen Tarifvertrag zu schaffen. Ein Gesundheitssicherstellungsgesetz soll für eine effizientere, dezentrale Bevorratung von Arzneimitteln und Medizinprodukten sorgen und krisenbezogene Ernstfallübungen organisieren.
Zucker enthält der Koalitionsvertrag auch bei der Digitalisierung. Kommen soll etwas, das vor allem Bündnis 90/Die Grünen jahrelang gefordert haben, aber auch weite Teile der IT-Industrie, nämlich eine regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege. Handfeste Änderungen stehen bei der elektronischen Patientenakte (ePA) ins Haus: Statt des bisherigen Opt-in-Modells soll es nach österreichischem Vorbild ein Opt-out-Modell geben, quasi die Widerspruchslösung für die ePA. Jeder GKV-Versicherte bekommt automatisch eine ePA und wenn er das nicht möchte, dann meldet er sich aktiv ab.
Ebenfalls im Digitalisierungskapitel erscheint, viele entsprechender Forderungen aufgreifend, ein eigenes Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Zu sehen ist dies in Verbindung mit dem Aufbau einer dezentralen Forschungsdateninfrastruktur, ein Projekt im Koalitionsvertrag, das auf diverse Vorarbeiten der noch amtierenden Bundesregierung zurückgeht. Inwieweit die Medizininformatik-Initiative und das beim BfArM angesiedelte, von Jens Spahn initiierte Forschungsdatenzentrum nachjustiert werden, bleibt abzuwarten. Explizit genannt wird im Koalitionsvertrag unter dem Stichwort Digitalisierung auch noch das eRezept. Dessen Einführung soll „beschleunigt“ werden, was auch immer das heißen mag.
Direkt am Kapitelanfang und damit angemessen prominent handelt der Koalitionsvertrag das Thema Pflege ab. Der Bund stellt für Krankenhäuser und Pflegeheime insgesamt eine Milliarde Euro für einen Corona-Pflegebonus zur Verfügung, der bis 3.000 Euro steuerfrei sein soll. Was die Finanzierung von Pflegebedürftigkeit angeht, soll die ab Januar anstehende Zuschussregelung „beobachtet“ werden, mit dem Ziel, Eigenanteile zu begrenzen und planbar zu machen. Quartiernahe Wohnformen und die häusliche Pflege werden gestärkt, das Pflegegeld ab 2022 regelhaft dynamisiert. Mit der „Community Health Nurse“ soll zudem ein neues Berufsbild geschaffen werden, das zumindest die alten Bundesländer so nicht kannten.
Was die Personalsituation in der Pflege angeht, soll für eine verbindliche Personalbemessung eine „Pflegepersonalregelung 2.0“ als Übergangsinstrument kurzfristig eingeführt werden. Insbesondere in der stationären Langzeitpflege sollen auch Löhne und Arbeitsbedingungen verbessert werden mit dem Ziel, die Gehaltslücke zwischen Krankenhaus- und Altenpflege zu schließen. Als kleiner Running Gag taucht im Pflege-Abschnitt des Koalitionsvertrag die Weiterentwicklung des elektronischen Gesundheitsberuferegisters auf, das bekanntlich seit Jahren auf der Stelle tritt. Ein angestrebtes „allgemeines Heilberufegesetz“ könnte den längst nötigen Boost bringen.
In Sachen Gesundheitsversorgung soll die „Ambulantisierung“ der Versorgung gefördert werden. Für geeignete Leistungen soll – Achtung! – eine sektorengleiche Vergütung durch sogenannte Hybrid-DRG kommen. Das ist unter anderem eine langjährige Forderung der ambulanten Onkologen, könnte aber auch für andere Bereiche spannend werden. Gesundheitsregionen sollen für die Beteiligten attraktiver, die Spielräume für Versorgungsverträge zwischen Kassen und Leistungserbringern breiter werden. Ergänzt werden soll das Spektrum medizinischer Dienstleister durch niedrigschwellige Beratungsangebote, wie etwa Gesundheitskioske, in benachteiligten Kommunen.
Was die hausärztliche Versorgung angeht, findet sich ein Bekenntnis zu einer Aufhebung der Honorarbudgetierung im hausärztlichen Bereich. Die integrierten Notfallzentren werden ausgebaut und etwas flexibilisiert, Notfallbotendienste in der ambulanten Notfallversorgung verordnungsfähig. Die Gründung kommunaler MVZs soll durch den Abbau bürokratischer Hürden erleichtert werden. Inklusion, Prävention und paritätische Beteiligung von Frauen in Führungsgremien sind weitere Stichworte. Bei Letzterem explizit erwähnt werden die Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und die Spitzenverbände der Krankenkassen. Ein Schelm, wer Böses denkt. Die psychotherapeutische Bedarfsplanung soll reformiert und die entsprechenden Kapazitäten sollen ausgebaut werden, genauso die psychiatrische Notfall- und Krisenversorgung.
Knapper als erwartet fällt der Absatz zur Krankenhausreform aus. Hier soll eine kurzfristig eingesetzte Regierungskommission Vorschläge erarbeiten. Ziel ist eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung, bei der das nach Versorgungsstufen differenzierte DRG-System ergänzt wird durch erlösunabhängige Vorhaltepauschalen. Losgehen soll es in Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe.
Schließlich wird noch die Unabhängige Patientenberatung (UPD) reformiert, die zu einer „dauerhaften, staatsfernen und unabhängigen Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ werden soll. Auf Ebene des Gemeinsamen Bundesausschusses erhalten Patienten, Pflege und andere Gesundheitsberufe mehr Mitbestimmungsrecht. Der Innovationsfonds wird verstetigt und der Transfer erfolgreicher Projekte in die Regelversorgung erleichtert.
Bleiben die Drogen und das Geld: Die kontrollierte Abgabe von Cannabis kommt. Der Bundeszuschuss zur GKV wird dynamisiert und das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) weiterentwickelt, letzteres in Richtung mehr Macht für die Krankenkassen durch – Überraschung – neue Möglichkeiten zur Begrenzung der Arzneimittelpreise.
Bildquelle: Maryna Yazbeck, unsplash