Besonders ältere Menschen sind häufig von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen. Das liegt unter anderem an der langfristigen Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren. Diese können die Freisetzung und Aufnahme von Vitamin B12 aus Lebensmitteln blockieren.
Patienten mit ausgeprägtem Vitamin-B12-Mangel leiden häufig an unspezifischen Symptone wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit und allgemeiner Erschöpfung. „Bleibt der Mangel unerkannt, zeigten sich neben hämatologischen Auswirkungen langfristig neurologische und psychiatrische Symptome“, sagte der Neurologe Dr. Karlheinz Reiners aus Erkelenz. Es kann zu Neuropathien, also Erkrankungen der peripheren Nerven, kommen. Damit bringen Ärzte Gangunsicherheiten und Stürze in Verbindung, was gerade bei Senioren schnell gefährlich werden kann.
Forscher fanden heraus, dass Mangelerscheinungen im Alter deutlich häufiger auftreten als bislang vermutet. Vor wenigen Wochen hat Romy Conzade vom Helmholtz Zentrum München neue Daten aus der KORA-Age-Studie vorgelegt. Forscher untersuchten das Blut von 1.079 Probanden zwischen 65 und 93 Jahren. Neben Defiziten bei Vitamin D (52 Prozent), Eisen (11 Prozent) und Folsäure (9 Prozent) fielen vor allem Defizite beim Vitamin B12 (27 Prozent) auf. Conzade berichtet weiter, dass sich der Mangel an Vitamin B12 mit zunehmendem Alter verschärfte. Waren es bei Studienteilnehmern bis 65 Jahre noch 23,8 Prozent, stieg der Anteil bei den 75- bis 84-Jährigen auf 28,3 Prozent und weiter auf 37,6 Prozent in der Altersgruppe der 85- bis 93-Jährigen. Männer (28,5 Prozent) weisen häufiger eine unzureichende Versorgung mit Vitamin B12 auf als Frauen. Welchen Einfluss die Ernährung hat, konnten die Forscher aber nicht sagen. „Unsere Studie zeigt auch, dass die regelmäßige Einnahme von Vitaminpräparaten mit einer besseren Versorgung mit den entsprechenden Vitaminen einhergeht“, berichtet Coautorin Barbara Thorand. Gleichzeitig warnt die Expertin: „Die Einnahme von Vitaminpräparaten ist jedoch kein Allheilmittel und gerade ältere Menschen sollten besonders auf eine gesunde und nährstoffreiche Ernährung achten.“
Dass gerade ältere Patienten einen Vitamin-B12-Mangel haben, liegt nicht nur am mangelnden Appetit, sondern auch an Medikamenten, die häufig im fortgeschrittenen Alter eingenommen werden. Besonders kritisch sind Medikamente, die die Sekretion der Magensäure hemmen wie Protonenpumpeninhibitoren (PPI). Nach Angaben des Arzneimittelverordnungs-Reports hat sich die Zahl an Verordnungen in den zurückliegenden zehn Jahren mehr als verdreifacht. Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) kritisiert leichtfertige Verordnungen bei unkomplizierten Verdauungsbeschwerden. Aus der kurzfristigen Gabe wird schnell eine Dauertherapie. Ohne Magensäure kann Vitamin B12 jedoch nicht aus Lebensmitteln freigesetzt werden. Auch die pH-abhängige Resorption über das Protein Intrinsic Factor wird beeinträchtigt. Welche Folgen die Mechanismen für Patienten haben, zeigte Jameson R. Lam vom Krankenversicherer Kaiser Permanente, Oakland, schon vor vier Jahren. Zwischen 1997 und 2011 diagnostizierten Ärzte bei 25.956 Erwachsenen einen Vitamin-B12-Mangel. In dieser Gruppe hatten 12 Prozent PPI und 4,2 Prozent die schwächer wirksamen H2-Blocker über mindestens zwei Jahre eingenommen. Jameson verglich alle Daten mit einer Kontrollgruppe ohne Vitamin B12-Mangel. Darin waren 184.199 Versicherte, von denen 7,2 Prozent PPI und nur 3,2 Prozent H2-Blocker erhalten hatten. Aus beiden Kohorten zog der Erstautor folgendes Fazit:
Mit seiner Kohortenstudie beweist Lam nur Assoziationen, aber keine Kausalitäten. Für seine These, dass es einen Zusammenhang zwischen den Medikamenten und einem Vitamin B12-Mangel gibt, spricht, dass der Effekt dosisabhängig auftrat. Dennoch kann der Forscher statistische Verzerrungen nicht ausschließen. Ärzten rät er, den Vitamin-B12-Spiegel zu testen, falls Patienten längerfristig PPI oder H2-Blocker erhalten. Angesichts steigender PPI-Verordnungen rechnet er mit häufiger auftretenden Mangelerscheinungen. Dazu ein paar Zahlen aus Deutschland: © Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi)
Theodore M. Brasky vom Ohio State University College of Medicine in Columbus fordert, vor einer Vitamin-B-Supplementation entsprechende Tests durchzuführen. „Viele US-Amerikaner schlucken hohe Mengen an Vitamin B6- oder B12-Supplementen, ohne dass dies medizinisch notwendig wäre.“ Anhand der VITamins And Lifestyle (VITAL)-Kohortenstudie, die 77.118 Teilnehmer umfasst, hat er mögliche Folgen untersucht. Alle Teilnehmer im Alter zwischen 50 und 76 Jahren wurden im Bundesstaat Washington zwischen den Jahren 2000 und 2002 rekrutiert. Sie mussten detaillierte Fragebögen ausfüllen. Für die Analyse wählte Brasky einen Zeitraum von zehn Jahre. Innerhalb dieser Zeitspanne erkrankten 808 Personen an Lungenkrebs. Dabei fand er auffällige Unterschiede:
Im Videointerview stellt er die Ergebnisse kurz vor: Brasky kann ebenfalls nicht ausschließen, dass es sich um statistische Verzerrungen handelt. Er empfiehlt, nur bei Bedarf zu supplementieren. Dass B-Vitamine protektiv gegen Darmkrebs wirken, ein Argument vieler Amerikaner, hatte sich schon Jahre zuvor als falsch herausgestellt.
Ähnlich enttäuschend ist die topische Anwendung von Vitamin B12. Vor rund acht Jahren suggerierte der ARD-Beitrag „Heilung unerwünscht“, Pharmakonzerne würden Patienten ein vermeintliches Wundermittel gegen Psoriasis oder Neurodermitis vorenthalten. Öffentliche Apotheken wurden förmlich überrannt. Bis heute ist es dem Hersteller Mavena nicht gelungen, hochwertige Studien vorzulegen. Kürzlich wurden zwei weitere Arbeiten veröffentlicht, die Vitamin-B12-haltigen Topika statistisch signifikante Vorteile bescheinigen.
Beide Studien haben aber ihre Schwächen. Sie sind nur einfach verblindet. Das heißt, der Behandler hat auf eine Körperhälfte das Präparat und auf die andere Seite ein Standardprodukt zur Hautpflege aufgetragen. Als Vergleich verwendeten Nistico und Del Duca nicht die gleiche avocadohaltige Grundlage ohne Wirkstoff. Außerdem wurden nur 22 beziehungsweise 24 Patienten rekrutiert, was die Aussagekraft weiter schwächt. Zweifel, die viele Apotheker schon vor acht Jahren geäußert haben, konnte der Hersteller bislang nicht widerlegen.
Bleibt als Fazit: Vitamin B12-Supplementationen bieten speziellen Patientengruppen, etwa Senioren mit schlechtem Ernährungszustand oder Patienten, die längerfristig PPI einnehmen einen Mehrwert. Dafür sind Präparate aus deutschen Supermärkten aber zu niedrig dosiert. Ärzte sollten vorab den tatsächlichen Wert des Patienten testen und bei stärkerem Mangel Präparate als Injektion verabreichen. So mancher Mangel lässt sich aber beheben, ohne Vitamine zu verabreichen. Die DGVS kritisiert bei PPI eine „recht unkritische Verschreibung und Einnahme“. Präparate sollten nicht langfristig ohne gesicherte Diagnose, die eine PPI-Therapie erforderlich macht, zur Anwendung kommen.