Die Ausbildung von Keimzellen verläuft bei Mäusen und Menschen sehr ähnlich: Keimzell-typische Gene werden je nach Stadium hintereinander ein- und ausgeschaltet. Das Gen PRDM14 spielt jedoch beim Menschen eine bedeutungsärmere Rolle.
Säuger müssen, um sich fortzupflanzen und dadurch die eigene Art zu sichern, Eizellen und Spermien bilden. Doch nicht immer verläuft dies problemlos. Um die Keimzellreifung besser erforschen zu können, müsste der gesamte Keimbahnzyklus – von der befruchteten Eizelle bis hin zu reifen Eizellen und Spermien – in der Kulturschale untersucht werden können. Mit einem In-vitro-System hätten Wissenschaftler ein ideales Modell, um entwicklungs-, zell- und molekularbiologische Fragestellungen untersuchen zu können und zudem auch bestimmte Formen der Unfruchtbarkeit. Bislang fehlte allerdings eine Methode, mit der eine ausreichende Menge an Keimzellen erzielt werden konnte.
Nun haben Forscher um Prof. Dr. Hans Schöler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster erstmals mit menschlichen pluripotenten Stammzellen ein robustes In-vitro-System für die frühe Keimzellentwicklung geschaffen. In ihrer Studie beschreiben sie viele Ähnlichkeiten mit der Keimzellentwicklung bei der Maus, aber auch wichtige Unterschiede. Keimzellen stellen einen besonderen Zelltyp dar: Sie sind unipotent, in ihrem Programm also so festgelegt, dass sie nur Zellen des gleichen Zelltyps bilden können. Kommen aber eine Eizelle und ein Spermium zusammen, kann aus ihnen ein neuer Organismus mit mehr als 200 verschiedenen Zelltypen entstehen. Das schafft kein anderer Zelltyp. Die Keimzellentwicklung ist ein komplexer Vorgang mit vielen Schritten, bei denen sich auch viele Fehler einschleichen können.
Um diesen Vorgang detailliert untersuchen zu können, benötigen Forscher ein In-vitro-System, mit dem viele Keimzellen im Labor hergestellt werden können. Bei der Maus ist es zwar möglich, frühe Keimzellprozesse zu untersuchen, jedoch sind zum Zeitpunkt der Keimzellspezifizierung nur einige Dutzend Zellen pro Embryo vorhanden. Andererseits stehen menschliche Embryonen in dem frühen Stadium für die Forschung schlicht nicht zur Verfügung – ganz abgesehen von ethischen und rechtlichen Aspekten. 2003 haben Forscher um Schöler erstmals Eizell-ähnliche Zellen von embryonalen Stammzellen der Maus abgeleitet. Dies war ein wichtiger Meilenstein der Reproduktionsmedizin und der Stammzellforschung, denn die Wissenschaftler zeigten erstmals, dass embryonale Stammzellen nicht nur Zellen der drei Keimblätter Endo-, Meso- und Ektoderm bilden können, sondern auch Keimzellen selbst. Im damaligen Differenzierungssystem entstanden jedoch nur sehr wenige Eizellen. Zudem handelte es sich um ein spontanes Differenzierungssystem: Es entstand nämlich außer wenigen Keimzellen ein Gemisch aus vielen verschiedenen Zelltypen.
Nun hat ein Team um Schöler mit menschlichen pluripotenten Stammzellen ein gerichtetes In-vitro-Differenzierungssystem entwickelt, das in zwei Schritten eine größere Anzahl von Keimzell-ähnlichen Zellen hervorbringen kann: Im ersten Schritt haben die Max-Planck-Forscher humane embryonale Stammzellen (ES-Zellen) und induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) durch Zugabe von bestimmten Wachstumsfaktoren über zwei Tage in mesodermale Vorläuferzellen differenzieren lassen. Etwa fünf Prozent dieser Zellen zeigte nach zwei Tagen ein Genmuster, das für Urkeimzellen typisch ist: Sie exprimierten die Gene Oct4, Brachyury und Blimp1. Für den zweiten Schritt lösten die Wissenschaftler die gesamte Zellpopulation aus der Kulturschale und bildeten daraus Zellaggregate. Durch die Zugabe eines weiteren Cocktails aus Wachstumsfaktoren entstanden aus den ursprünglich fünf Prozent Vorläuferzellen nach vier Tagen 20 Prozent Keimzell-ähnliche Zellen. Nach einer automatischen Zellsortierung hatten die Forscher eine relativ reine Population von Keimzell-ähnlichen Zellen, die sie molekularbiologisch und biochemisch untersuchen konnten. „In den Keimzell-ähnlichen Zellen wurden die Gene OCT4, NANOG, BLIMP1 und STELLA abgelesen“, sagt Dr. Juyong Yoon, einer der drei Erstautoren der Studie. „Dies stimmt mit dem Genmuster von frühen Maus-Keimzellen überein.“ Keimzellentwicklung in der Kulturschale: Genprodukte der typischen Keimzellmarkergene OCT4 (rot), BLIMP1 (grün) und BRACHYURY (weiß) wurden mit Fluoreszenzmikroskopie analysiert. © MPI Münster/Juyong Yoon
„Wir konnten also zeigen, dass die Ausbildung von Keimzellen bei Mäusen und Menschen im Großen und Ganzen sehr ähnlich verläuft: Keimzell-typische Gene werden, je nach Stadium der Zellen, nacheinander ein- und ausgeschaltet“, so Yoon. Einen großen Unterschied zwischen Keimzellen der Maus und des Menschen fanden die Forscher jedoch im Gen PRDM14: „In Keimzellen von Mäusen wird das Gen stark abgelesen, in den menschlichen Keimzellen dagegen nur ganz schwach“, sagt Yoon. „Dieses Gen spielt bei der Keimzellentwicklung der Maus eine Hauptrolle - dies scheint bei der Entwicklung von Keimzellen beim Menschen jedoch nicht der Fall zu sein.“ Die aktuelle Studie zeigt also, wie wichtig es bei der Erforschung der Keimzellentwicklung ist, neben dem Maussystem auch menschliche Zellen zu untersuchen. „Wir werden unser System nun weiter entwickeln, um in der Kulturschale die gesamte Keimzellentwicklung durchlaufen lassen zu können“, sagt Schöler. „Langfristig möchten wir aber nicht nur die Keimzellentwicklung besser verstehen, sondern unser System auch dazu nutzen, um zu erforschen, was bei der Entwicklung falsch laufen kann. Bislang fehlt ein robustes System, um beispielsweise den Einfluss von Umweltgiften oder von Erbveränderungen auf die Fertilität im Detail untersuchen zu können“, so Schöler. „In der Kulturschale werden solche Untersuchungen möglich sein.“ Originalpublikation: Human primordial germ cell commitment in vitro associates with a unique PRDM14 expression profile Juyong Yoon et al.; The EMBO Journal, doi: 10.15252/embj.201488049; 2015