Weltweit wird mit Hochdruck an der Suche nach Therapeutika für die Behandlung von COVID-19 gearbeitet. In mehreren Testreihen ist Strophanthin als hoch aktiver antiviraler Wirkstoff identifiziert worden. Strophanthin ist über Jahrzehnte hinweg vor allem in Deutschland erfolgreich in der Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt worden. Es liegen umfangreiche klinische Erfahrungen mit diesem Wirkstoff vor. Diese beinhalten auch Erfahrungen mit Infektionskrankheiten. Bereits 1933 hat Fraenkel auf die erfolgreiche Behandlung der Lungenentzündung mit Strophanthin hingewiesen. „Seitdem die großen Dosen (von Strophanthin) sich bei der Pneumonie eingebürgert haben, hat die ihr eigentümliche akute Herzschwäche an Schrecken verloren.“ [1] 1960 hat Walter Neugebauer berichtet: „Bei akuten Kreislaufversagen und Infektionskrankheiten wird man das Strophanthin wohl kaum mehr missen können.“ [2]
Antivirale Wirkung von Strophanthin
Aktuelle Forschungsergebnisse bestätigen diese klinischen Erfahrungen. Strophanthin verfügt über ausgeprägte antivirale Wirkungen. In mehreren Testreihen sind Wirkstoffe aus der Klasse der Herzglykoside als hoch aktive antivirale Verbindungen identifiziert worden. Die aus der Therapie von Herzerkrankungen bekannten Präparate Digoxin, Digitoxin und g-Strophanthin (in der englischsprachigen Literatur als Ouabain bezeichnet) zeigen in experimentellen Studien in-vitro und in-vivo Wirksamkeit gegen ein breites Spektrum von Viren. Auch gegen SARS-CoV-2 Viren haben Digoxin und Strophanthin in nanomolaren Konzentrationen hervorragende Wirkungen [3-7]. Die Virustiter nach Einzeldosis-Behandlung mit Strophanthin und Digoxin zeigten eine >99%ige Hemmung der SARS-CoV-2-Replikation. Bei Verabreichung in der Post-Entry-Phase hemmen Strophanthin und Digoxin signifikant die virale mRNA-Expression und die Proteinexpression. Bei Verabreichung in der Wirtseintrittsphase des Viruszyklus zeigt Digoxin keine wirksame antivirale Aktivität. Hingegen hemmt Strophanthin auch im Eintrittsstadium etwa 50 % der viralen mRNA-Expression und Proteinexpression [6].
Eine US-amerikanische Forschungsgruppe um Harvey Pollard hat in einer aktuellen Arbeit zeigen können, dass die Herzglykoside Ouabain, Digitoxin und Digoxin das Eindringen von SARS-CoV-2 Spike-pseudotypisierten Viren in menschliche Lungenzellen blockieren und damit die Infektiosität von nativem SARS-CoV-2 verhindern [8]. Die Herzglykoside blockieren die Bindungsreaktion zwischen ACE2 und dem viralen Spike-(S)-Protein und verhindern so das Eindringen des Virus in die Zielzellen. Die Autoren schlussfolgern aus ihren Untersuchungen, dass „Ouabain, Digitoxin und Digoxin die Bindung von ACE2 an die SARS-CoV-2-Rezeptorbindungsdomäne (RBD) kompetitiv hemmen und das Eindringen des Virus und seine Infektiosität in menschlichen Lungenzellen blockieren.“ Es ist daher möglich, diese Medikamente für die COVID-19-Therapie zu verwenden.
Strophanthin ist ein senolytisches Mittel mit breiter Wirkung.
Als Teil der natürlichen Alterungsprozesse verlieren Zellen ihre Fähigkeit sich zu teilen. Nach einer bestimmten Zahl von Zellteilungen stellen Zellen ihr Wachstum ein, bleiben aber stoffwechselmäßig aktiv. Derartige Zellen werden als „seneszente“ (alternde) Zellen bezeichnet. Es sind gestörte Zellen, welche sich mit zunehmendem Alter in Geweben und Organen ansammeln, welche von chronischen Krankheiten betroffen sind. Sie sind mit einer Reihe von Pathologien verbunden. Sie sondern entzü̈ndungsfördernde Botenstoffe ab. Dauerhaft produziert fördern diese Entzündungsvermittler altersbedingte Krankheiten wie Diabetes oder Gefäßverkalkung. Die anormale Anhäufung von Seneszenzzellen während des Alterns und bei Krankheitszuständen ist in hohem Maße schädlich. In Mausmodellen konnte gezeigt werden, dass die Entfernung seneszenter Zellen den Gesundheitszustand verbessert, die Lebensdauer verlängert und in einer Reihe von Pathologien wie Atherosklerose, Osteoarthritis und neurodegenerativen Erkrankungen protektiv wirkt.
In neueren Studien ist gezeigt worden, dass die Behandlung mit Strophanthin die Anzahl von seneszenten Zellen in alten Mäusen reduziert [9,10]. Strophanthin zielt nicht nur auf seneszente Zellen ab, sondern hat auch weitergehende Wirkungen, welche zu einer Verbesserung der Stoffwechselparameter und der körperlichen Fitness führen. Darüber hinaus verringert die durch Strophanthin induzierte Verringerung der Seneszenz chronische Entzündungen und kehrt die bei alten Mäusen beobachteten Veränderungen der Immuninfiltration um. Diese Daten belegen, dass sich das Gewebe als Reaktion auf die Eliminierung der Seneszenzzellen durch Strophanthin reaktiviert. Die ausgeprägte senolytische Wirkung von Strophanthin bietet ein breites Spektrum von Indikationen für die eine klinische Entwicklung gerechtfertigt ist.
Virusinduzierte Seneszenz
Wenig beachtet worden ist bisher, dass auch virale Infektionen Seneszenz auslösen können. Ein internationales Forschungsteam hat in einer aktuellen Studie gezeigt, dass dieses auch für SARS-CoV-2 Viren zutrifft [11]. Die virusinduzierte Seneszenz ist von anderen Formen der zellulären Seneszenz nicht zu unterscheiden. Patienten mit COVID-19 weisen in ihren Atemwegsschleimhäuten in situ Marker der Seneszenz aus. Das zelluläre Stressprogramm der Seneszenz löst einen Entzündungssturm aus, welcher eine Vielzahl charakteristischer Merkmale der COVID-19-Lungenentzündungen ausweist. Die Seneszenz trägt offenbar maßgeblich zu einer lawinenartigen Entzündungskaskade bei, welche Lungenschäden bei COVID-19 Patienten verursacht. Virusinduzierte Seneszenz ist also ein pathogener Auslöser von COVID-19-bedingter Zytokin-Eskalation. Die gezielte Senolyse virusinfizierter Zellen ist damit eine potentielle Behandlungsmöglichkeit gegen SARS-CoV-2 und möglicherweise andere Virusinfektionen.
Deshalb untersuchte das Team im Tiermodell den Effekt von vier Wirkstoffen, welche gezielt seneszente Zellen angreifen. Getestet wurden die pflanzlichen Wirkstoffe Fisetin und Quercetin, sowie Navitoclax und Dasatinib, welche experimentelle Wirkstoffe zur Krebstherapie sind. Alle vier Substanzen – allein oder in Kombination – waren bei Hamstern und Mäusen in unterschiedlichem Maße in der Lage, den Entzündungssturm zu normalisieren und die Lungenschädigung abzuschwächen. In kleineren klinischen Studien mit Fisetin und Quercetin ist bereits gezeigt worden, dass diese Naturstoffe positive Wirkungen bei COVID-19 Patienten haben. Es wurde gefunden, dass eine frühe senolytische Intervention während einer SARS-CoV-2-Infektion die COVID-19-ähnliche Lungenerkrankung und die systemische Entzündung deutlich abschwächt.
Die belegte starke senolytische Wirkung von Strophanthin in Kombination mit seiner direkten antiviralen Wirkung zeigt, dass dieser Wirkstoff ein hoffnungsvoller Kandidat für den wirksamen Einsatz in der COVID-19 Therapie ist. Strophanthin ist über Jahrzehnte hinweg vor allem in Deutschland erfolgreich in der Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt worden. Es liegen umfangreiche klinische Erfahrungen mit Strophanthin vor. 70 bis 80 Prozent der COVID-19 Patienten leiden unter Herzkreislauf Erkrankungen. Sie leiden häufig unter einer Störung der Sauerstoffaufnahme/ Sauerstoffverwertung. Es ist ein klinisch gut belegter Befund, dass Strophanthin bei hypoxischen Zuständen Sauerstoffdefizite effektiv behebt. Auch dieser Befund verdeutlicht das enorme therapeutische Potential dieses bisher vernachlässigten Wirkstoffes für die Therapie von COVID-19.
Die klinischen Erfahrungen mit Strophanthin sind außerhalb Deutschlands kaum bekannt. Nahezu die gesamte Literatur zur klinischen Wirkung dieses Wirkstoffes ist auf deutsch verfasst und damit für internationale Forscher so gut wie verborgen. Die klinische Entwicklung von Strophanthin als antivirales Therapeutikum wäre ein essentieller Beitrag Deutschlands zur dringend benötigten Therapie von COVID-19.
Literatur
[1] Fraenkel A, Strophanthin Therapie, Verlag Julius von Springer, Berlin 1933
[2] Neugebauer W, Vergiftung durch Strophoralkonzentrat, Archiv für Toxikologie, 1960, 18, 272 - 274
[3] Luciano Amarelle, Jeremy Katzen , Masahiko Shigemura, Lynn C Welch, Héctor Cajigas, Christin Peteranderl, Diego Celli, Susanne Herold, Emilia Lecuon, Jacob I Sznajder. Cardiac glycosides decrease influenza virus replication by inhibiting cell protein translational machinery. J Physiol Lung Cell Mol Physiol. 2019 Jun 1;316(6):L1094-L1106. doi: 10.1152/ajplung.00173.2018
[4] Yang CW, Chang HY, Lee YZ, Hsu HY, Lee SJ. The cardenolide ouabain suppresses coronaviral replication via augmenting a Na(+)/K(+)-ATPase-dependent PI3K_PDK1 axis signaling. Toxicol Appl Pharmacol. 2018 Oct 1;356:90-97.
[5] Dhanasekhar Reddy, Ranjith Kumavath, Debmalya Barh, Vasco Azevedo, Preetam, GhoshAnticancer and Antiviral Properties of Cardiac Glycosides: A Review to Explore the Mechanism of Actions. Molecules. 2020 Aug 7;25(16):3596. doi: 10.3390/molecules25163596.
[6] Junhyung Cho, Young Jae Lee, Je-Hyoung Kim, Sang il Kim, Sung Soon Kim, Byeong-Sun Choi, Jang-Hoon Choi. Antiviral Activity of Digoxin and Ouabain against SARS-CoV-2 Infection and Its Implication for COVID-19, Sci Rep. 2020 Oct 1;10(1):16200
[7] C-W. Yang, H-Y. Hsu, H-Y. Chang, Y-Z. Lee, S-J. Lee, Natural cardenolides suppress coronaviral replication by downregulating JAK1 via a Na+/K+-ATPase independent proteolysis, Biochemical Pharmacology (2020),
[8] Caohuy, H., Eidelman, O., Chen, T. et al. Common cardiac medications potently inhibit ACE2 binding to the SARS-CoV-2 Spike, and block virus penetration and infectivity in human lung cells. Sci Rep 11, 22195 (2021). https://doi.org/10.1038/s41598-021-01690-9
[9] F. Triana-Martínez, P. Picallos-Rabina, S. Da Silva-Álvarez, et al. Identification and characterization of Cardiac Glycosides as senolytic compounds. Nat Commun. 2019 Oct 21;10(1):4731.
[10] A. Guerrero, N. Herranz, B. Sun, et al. Cardiac Glycosides are broad-spectrum senolytics. Nat Metab. 2019 Nov;1(11):1074-1088.
[11] Lee, S., Yu, Y., Trimpert, J. et al. Virus-induced senescence is a driver and therapeutic target in COVID-19. Nature 599, 283–289 (2021). https://doi.org/10.1038/s41586-021-03995-1