In anderen Ländern ist die Impfpflicht für medizinisches Personal schon beschlossene Sache. Auch in Deutschland dreht sich jetzt der Wind: Immer mehr Experten sprechen sich dafür aus.
Während hierzulande noch eifrig über das Für und Wider einer Corona-Impfpflicht diskutiert wird, ist sie in anderen europäischen Ländern schon längst beschlossen. Seit September etwa muss medizinisches Personal in Frankreich die vollständige Impfung gegen COVID-19 nachweisen – sonst droht die Suspendierung. In Italien gilt die Impfpflicht für Mediziner und Pfleger sogar schon seit Mai; in Griechenland seit August. Aber auch Belgien, Slowenien, Lettland und zuletzt Österreich haben sich inzwischen, in unterschiedlichen Auslegungen, auf eine Corona-Impfpflicht geeinigt. Nun tut sich auch in Deutschland etwas: Lange Zeit war die Impfpflicht hierzulande undenkbar. Doch plötzlich schließt die Politik sie nicht mehr kategorisch aus – dank der lauten Rufe aus Medizin und Wissenschaft?
Noch im September zauderte unsere Bloggerin schwesterfraudoktor mit der Veröffentlichung ihres meinungstarken Blogbeitrags. Sie sprach sich damals schon öffentlich für eine Impfpflicht aus; das wagten zu diesem Zeitpunkt nur wenige. Inzwischen finden sich aber immer mehr Befürworter. Dr. Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, brachte es kürzlich auf den Punkt: „Ich kann doch nicht im Gesundheitswesen arbeiten und möglicherweise als Überträger die mir anvertrauten Patienten der Gefahr einer Ansteckung aussetzen.“ Die Ärzte des Landes fordern die Regierungen auf, die Empfehlung des Ethikrates als Grundlage für eine rechtsverbindliche Impfpflicht für Ärzte und Pflegepersonal zu nutzen.
Crusius bezieht sich dabei auf eine aktuelle Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrates. Darin rufen die Experten des Ethikrats die Bundesregierung zur Prüfung einer Impfpflicht für „Mitarbeitende in besonderer beruflicher Verantwortung“ auf. Als Argument führen sie die Schutzpflicht und Verantwortung der Beschäftigten gegenüber „schwer oder chronisch kranken sowie hochbetagten Menschen“ an, die versorgt und behandelt werden müssen.
Inzwischen stellen sich zahlreiche Vertreter aus Medizin und Pflege hinter die Empfehlung des Ethikrates. In einer gemeinsamen Erklärung von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft, Deutschem Pflegerat und dem Verband medizinischer Fachberufe heißt es: „Wir begrüßen die aktuelle Stellungnahme des Deutschen Ethikrates, in der er die Bundesregierung auffordert, kurzfristig die Einführung einer berufsbezogenen Impfpflicht zum Schutz besonders vulnerabler Menschen in Einrichtungen des Gesundheitswesens zu prüfen.“
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Ein oft genanntes Argument gegen eine Impfpflicht für bestimmte Berufe ist die drohende Kündigungs- und Suspendierungswelle in den sowieso schon überlasteten Kliniken und Pflegeheimen. Auch der Ethikrat warnt in seiner Stellungnahme offen vor „Berufsausstiegen“ oder einer „Verstärkung struktureller Probleme in Einrichtungen“.
Ein Blick in andere Länder zeigt, dass damit wohl nicht zu rechnen ist: In Frankreich etwa haben gerade einmal 0,1 Prozent des dortigen medizinischen Personals ihren Job gekündigt oder wurden nach Einführung der Impfpflicht suspendiert. Im australischen Bundesstaat New South Wales ist die Lage ähnlich. Entgegen der Befürchtungen führte der Widerstand gegen die Impfung nicht zu einem Personalmangel: Weniger als 0,1 Prozent des dortigen Gesundheitspersonals hat wegen der Corona-Impfung gekündigt.
In der Politik zeigen sich nun sogar immer mehr Vertreter offen für eine allgemeine Impfpflicht, darunter der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther und Bayerns Regierungschef Markus Söder. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek erklärt: „Ich war immer eigentlich ein Gegner einer Impfpflicht.“ Er glaube inzwischen aber, „dass wir relativ schnell über dieses Thema sprechen müssen“. Eine Impfpflicht werde nicht heute und morgen helfen, aber sie sei der Weg aus der Pandemie. „Ich persönlich bin inzwischen als Ultima Ratio tatsächlich für diese allgemeine Impfpflicht.“ Es brauche eine bundeseinheitliche Lösung.
Viele Infektionen und Klinikaufenthalte wären derzeit vermeidbar, wenn sich mehr Menschen impfen lassen würden. Niederschwellige Impfangebote und Aufklärungsmaßnahmen scheinen die übrigen 30 Prozent der Deutschen, die sich bisher nicht haben impfen lassen, noch nicht überzeugt zu haben. Um diese Impflücke zu schließen, wäre eine allgemeine Impfpflicht zwar ein geeignetes Mittel. Ob sie aber tatsächlich kommt, ist fraglich. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, äußerte sich skeptisch. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte „wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein“.
Jetzt wollen wir von euch wissen: Wie steht ihr zur Impfpflicht?
Bildquelle: Serg Antonov, Unsplash