Bisher konnte Lepra noch nie bei wildlebenden Affen nachgewiesen werden. Wissenschaftler entdeckten jetzt zwei unabhängige Ausbrüche bei Schimpansen in Afrika. Die Frage ist: Wo haben sie sich infiziert?
Bei der Lepra handelt es sich um die vermutlich älteste bekannte Infektionskrankheit des Menschen, ausgelöst durch den weltweit vorkommenden Erreger Mycobacterium leprae. Nachdem die WHO 1991 das Ziel erklärte, Lepra bis zum Jahr 2000 zu beseitigen, d. h. die Prävalenz in allen Staaten auf unter 1:10.000 zu senken, finden sich in Europa und Nordamerika mittlerweile nur noch vereinzelt importierte Fälle. In Südostasien, Indien, Afrika sowie Mittel- und Südamerika kommt sie jedoch immer noch vor. Durch eine antibiotische Dreifachtherapie mit Dapson, Rifampizin und Clofazimin konnten aber in den letzten Jahren deutliche Erfolge erzielt werden.
Nach Ridley und Jopling kann man die indeterminierte Lepra (mögliches Erststadium) von der tuberkuloiden („Nervenlepra“), der Borderline-Lepra und der lepromatösen Lepra („Knotenlepra“) unterscheiden. Die Unterscheidung zwischen den klinischen Formen ist entscheidend für die Therapie und Prognose. In Indien und Afrika macht die tuberkuloide Form 90 % aller Erkrankungen aus, in Südostasien sind je 50 % tuberkuloid und lepromatös, in Mexiko 90 % der Erkrankungen lepromatös. Symptome entwickeln sich erst nach einer langen Inkubationszeit, die von einigen Monaten bis zu 30 Jahren reichen kann und beim Menschen im Durchschnitt 5 Jahre beträgt. Es wird angenommen, dass die Übertragung vor allem durch engen Kontakt über Aerosole und die Nasen- oder Atemwegsschleimhäute erfolgt, der genaue Mechanismus hierfür ist aber noch unklar. Auch die Rolle anderer Übertragungswege ist bisher noch unbekannt.
Bei M. leprae handelt es sich um einen humanpathogenen Erreger. Er kann in vitro nicht kultiviert werden; Mäuse, Gürteltiere und Affen lassen sich jedoch experimentell infizieren. Der Mensch gilt als Hauptwirt für M. leprae, aber auch Infektionen anderer wildlebender Säugetiere wie Gürteltiere und roter Eichhörnchen sind bekannt. Beide Arten beherbergen denselben bakteriellen Genotyp, 3I genannt, der mit menschlichen Infektionen im mittelalterlichen Europa in Verbindung gebracht wurde. Obwohl die jeweiligen Erstinfektionen höchstwahrscheinlich von Menschen ausgingen, können sekundäre tierische Wirte später eine Infektionsquelle für Menschen darstellen.
Bei Primaten wurden natürlich erworbene Lepraerkrankungen bisher nur bei in Gefangenschaft gehaltenen Tieren beschrieben. Forscher des Robert-Koch-Insituts (RKI) fanden den Erreger nun aber auch bei erkankten wildlebenden Schimpansen und veröffentlichten ihre Ergebnisse im Fachjournal Nature.
In ihrem Paper berichten die Wissenschaftler über Lepra-Infektionen und deren Krankheitsverlauf in zwei Wildpopulationen westlicher Schimpansen im Cantanhez-Nationalpark (CNP), Guinea-Bissau, sowie im Taï-Nationalpark (TNP), Elfenbeinküste. Anhand von Kotproben und postmortalem Gewebe konnten sie M. leprae als Erreger der beobachteten Läsionen identifizieren. Anschließend bestimmten sie die phylogenetische Einordnung der jeweiligen Stämme auf der Grundlage ihrer Genomsequenzen.
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Da die wildlebenden Schimpansen nicht an menschlichen Kontakt gewöhnt waren, setzten die Forscher Kamerafallen für ihre Untersuchungen ein. Von 624.194 zwischen 2015 und 2019 gesammelten Datensätzen (Videos und Fotos), enthielten 31.044 (5,0 %) Schimpansen. Die Zahl der unabhängigen Sichtungen (Bilder im Abstand von mindestens 60 Minuten) belief sich auf insgesamt 4.336 und von diesen enthielten 241 (5,6 %) Schimpansen mit schweren lepraähnlichen Läsionen, darunter vier eindeutig identifizierbare Individuen (zwei erwachsene Weibchen und zwei erwachsene Männchen).
Wie beim Menschen kann es auch bei Schimpansen zur tuberkuloiden Form kommen, diese eher unauffälligen Manifestationen flossen jedoch nicht in die Erhebung ein. Alle symptomatischen Schimpansen zeigten Haarausfall und eine Hypopigmentierung der Gesichtshaut sowie Plaques und Knötchen in verschiedenen Körperbereichen (Gliedmaßen, Rumpf und Genitalien). Auch konnten die Forscher Gesichtsentstellungen sowie ulzerierte und deformierte Hände (Krallenhand) und Füße erfassen, was einer multibazillären Form der Erkrankung entspricht. Längsschnittliche Beobachtungen zeigten ein zeitliches Fortschreiten der Symptome, die denen beim Menschen ähneln (z. B. fortschreitende Verformung der Hände).
Phylogenomische Vergleiche mit anderen Stämmen von Menschen und anderen Tieren zeigten, dass die beiden Schimpansenstämme zu unterschiedlichen und seltenen Genotypen gehören (4N/O und 2F) und die Ausbrüche nicht auf einen gemeinsamen Infektionsursprung hindeuten. Es sei außerdem sehr unwahrscheinlich, dass sie durch den Kontakt mit Menschen entstanden, so die Autoren. „Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es ein nicht identifiziertes Lepra-Reservoir gibt“, erklärt Letztautor und Veterinär Fabian Leendertz, RKI.
Im Moment scheinen die infizierten Schimpansen mit ihrer Krankheit zurechtzukommen. Sie zu behandeln sei laut Leendertz wegen der langen Therapiedauer keine Option. „Bei diesen wilden Tieren ist das einfach nicht möglich.“ Die Krankheit scheine die Gruppen momentan nicht zu gefährden. „Aber sie stellt natürlich eine zusätzliche Bedrohung dar, zusätzlich zu Wilderei, Lebensraumverlust und anderen Krankheiten.“
Evolutionsgenetikerin Anne Stone von der Arizona State University in Tempe vermutet schon seit längerem, dass M. leprae nicht nur beim Menschen vorzufinden ist, sondern sich auch an andere Nischen angepasst hat. Frühere Arbeiten hätten das bereits angedeutet, unter anderem die geringe Größe des Lepra-Genoms. Befasse man sich genauer mit diesem Genom, so scheint es Millionen von Jahren zurückzugehen – in eine Zeit vor dem Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Bakterium einen anderen Wirt hatte, bevor es Menschen gab, sei also groß. „Die Daten weisen zunehmend auf die Möglichkeit hin, dass etwas anderes als der Mensch der Hauptwirt ist“, sagt Stone. Das könne zum Beispiel ein Tier sein, das die Schimpansen jagen, oder das Leprabakterium könnte sogar in der Umwelt leben.
Nagetiere sind laut Stone einer der Hauptanwärter für den geheimnisvollen Wirt, obwohl auch schon Amöben und einige Insekten im Labor mit Lepra infiziert wurden. Leendertz und seine Kollegen planen, all diese Möglichkeiten zu untersuchen.
Ebenfalls auf den Kontakt mit Nagetieren zurückzuführen ist eine eher seltene Erkrankung der Katze. Diese ist nicht auf M. leprae zurückzuführen, sondern auf Infektionen mit atypischen Mykobakterien oder M. lepraemurium. Klinisch ist die feline Lepra nicht vom atypischen bakteriellen Granulom zu unterscheiden. Bei ungestörtem Allgemeinbefinden kommt es auch hier zu knotenförmigen Veränderungen der Haut – damit unterscheidet sie sich klinisch von der Hauttuberkulose, die durch M. bovis ausgelöst wird und zusätzlich mit Allgemeinsymptomen einhergeht.
Atypische Mykobakterien kommen in der Umwelt vor, als Reservoir für M. lapraemurium fungieren Ratten, bei denen es in verschiedenen Teilen der Welt immer wieder zu Endemien mit dem Bakterium kommt. Eine Infektion erfolgt bei der felinen Lepra über Hautwunden. Zur Behandlung kann eine antibiotische Therapie in Kombination mit einer chirurgischen Entfernung der Knoten eingesetzt werden. Gefahr für den Menschen besteht durch die feline Lepra nicht.
Quellen:
Bildquelle: Ryan Al Bishri, unsplash