Patienten mit Vorhofflimmern haben ein hohes Risiko für Schlaganfälle – wissen aber oft nichts von ihrer Erkrankung. Studien zeigen: Niedrigschwellige Screening-Methoden können den Goldstandard Langzeit-EKG schlagen.
Vor dem Hintergrund des hohen Schlaganfallrisikos bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF) empfehlen aktuelle Leitlinien, etwa der European Society of Cardiology (ESC), bei bestimmten Patienten-Gruppen ein Screening auf VHF.
Als Standardmethode der VHF-Identifikation gilt das EKG. Aber auch einfache, niedrigschwellige Screening-Methoden außerhalb von Klinik und Praxis können zum Ziel führen, betonten Experten im Rahmen eines digitalen Pressegesprächs von Bristol Myers Squibb/Pfizer und dem Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET). Und: Patienten, deren VHF früh diagnostiziert wurde, können von einer frühen rhythmuserhaltenden Therapie profitieren.
Vorhofflimmern ist als häufigste anhaltende Herzrhythmusstörung mit einem hohen Risiko für ischämische Schlaganfälle und andere thromboembolische Ereignisse assoziiert. Die Herzrhythmusstörung nimmt mit dem Alter zu und das Risiko für eine Entstehung wird durch Faktoren wie Hypertonie, kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes mellitus weiter gesteigert. Das VHF verläuft oft asymptomatisch und episodenhaft und bleibt daher häufig unentdeckt. Bei einem relevanten Anteil der Schlaganfallpatienten mit VHF erfolgt daher die Diagnose leider erst nach dem Ereignis. Wichtig ist daher die Früherkennung eines VHF, damit betroffene Patienten rechtzeitig einer adäquaten Schlaganfallprophylaxe zugeführt werden können.
Diagnostische Methoden zur VHF-Detektion sind Palpation des Pulses und Ruhe-EKG, wiederholte und längere EKG-Aufzeichnungen können die Diagnoserate erhöhen. Als Goldstandard gilt das Langzeit-EKG, das über 24 Stunden oder länger kontinuierlich ein EKG aufzeichnet. Nach Ansicht der Experten können auch einfache opportunistische Screeningmethoden wie ein Daumen-EKG oder niedrigschwellige apothekenbasierte Untersuchungsprogramme ein VHF verlässlich identifizieren.
In der B-SAFE-Studie wurden zwei Methoden zur Detektion von VHF verglichen: das 24-Stunden-Holter-EKG gegen ein Daumen-EKG, das zwei Mal täglich über zwei Wochen von Patienten selbst ausgelöst und in einer zentralen Datenbank ausgewertet wurde. Die nicht-interventionelle, prospektive, multizentrische Studie schloss 1.500 Patienten im Alter von > 70 Jahren ohne bekanntes VHF mit einem erhöhten Risiko ein, die neben einem Hypertonus mindestens einen weiteren Risikofaktor aufwiesen.
„Im Rahmen des opportunistischen Screenings wurde deutlich, dass das Daumen-EKG den Goldstandard schlägt“, so Dr. med. Ralph Bosch, Cardio Centrum Ludwigsburg und Regionalvorstand des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen e. V. (BNK) in Baden-Württemberg. Mit einer Detektionsrate von 4 % war das Daumen-EKG dem Holter-EKG mit 2,2 % deutlich überlegen (Odds Ratio: 1,85; p = 0,0045). Insgesamt erhielt fast 78 % der so neu diagnostizierten VHF-Patienten eine anschließende orale Antikoagulation (OAK). Generell sei die Akzeptanz des Daumen-EKGs bei den älteren Patienten sehr hoch, die zudem die Handhabung als technisch unkompliziert betrachteten, erklärt Dr. Bosch. Das Daumen-EKG könne somit im Alltag eine einfache und dennoch effektive Screeningmethode darstellen.
„Auch ein apothekenbasiertes Screening mittels EKG-Stab über die Dauer einer Minute kann ein bis dahin unbekanntes Vorhofflimmern einfach und schnell identifizieren und auf ein möglicherweise erhöhtes Risiko für Mortalität oder kardiovaskulär-bedingte Hospitalisierung bei älteren Menschen hinweisen“, erklärte Dr. med. Matthias Zink, Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Uniklinik RWTH Aachen. „Die Bereitschaft der beteiligten Apotheken für diese Art von Screening war sehr hoch und wurde durch die einfache Anwendung von der Bevölkerung sehr positiv angenommen“, ergänzte Dr. Zink.
Zu diesen Ergebnissen kommt die prospektive Aachener Apotheken-Studie, deren Daten im Rahmen der Aktion „Aachen gegen den Schlaganfall“ erhoben wurden. Bei insgesamt 7.107 Probanden im Alter über 65 Jahre wurde mit einem mobilen 1-Kanal-EKG einmalig über 60 Sekunden der Herzrhythmus aufgezeichnet und automatisch ausgewertet. Bei 6,1 % der Teilnehmer wurde ein VHF festgestellt, für 3,6 % der Gesamtgruppe sei es eine Erstdiagnose gewesen, so Dr. Zink.
Über die Follow-up-Dauer von 400 Tagen verstarben 2,3 % der Patienten mit detektiertem VHF verglichen mit 0,8 % in der Gruppe mit normalem EKG (Hazard Ratio [HR]: 2,94; 95 % KI: 1,49–5,78; p = 0,002). Die Hospitalisierungsrate aufgrund kardiovaskulärer Probleme war in der VHF-Gruppe doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe (10,6 % vs. 5,5 %; HR: 2,08; 95 % KI: 1,52–2,84; p < 0,001).
„Die Studie zeigt, dass ein niedrigschwelliges einfaches Screening Vorhofflimmern identifizieren kann und dass bisher nicht identifizierte Personen ein deutlich erhöhtes Mortalitätsrisiko im folgenden Jahr im Vergleich zu Personen ohne Vorhofflimmern aufweisen“, schlussfolgerte Dr. Zink. „Diese Art des VHF Screenings kann die Voraussetzung für eine rechtzeitige Schlaganfallprophylaxe bilden. Die Hoffnung ist, dass ein flächendeckendes Screening die Mortalität senken und Folgekosten im Gesundheitssystem verringern kann. Dies müssten aber weitere Studien zeigen.“
Professor Dr. med. Paulus Kirchhof, Direktor der Klinik für Kardiologie, Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und Vorstandsvorsitzender des Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) verwies darauf, dass VHF-Patienten trotz eines verbesserten Managements der Erkrankung weiterhin ein hohes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen tragen.
Kann dieses Risiko durch eine frühe Rhythmuskontrolle das Auftreten von Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Angina pectoris senken? Diese Frage untersuchte die EAST-AFNET-Studie, die 2.789 Patienten mit frühem VHF (Diagnose innerhalb eines Jahres vor Randomisierung) und kardiovaskulären Problemen einschloss. Beim Vergleich mit der Standardbehandlung VHF-bezogener Symptome („usual care“) erwies sich der frühe Rhythmuserhalt mit Antiarrhythmika oder Katheterablation (innerhalb von 36 Tagen nach Diagnose) in den meisten Studienendpunkten als überlegen.
Nach einem Follow-up von fünf Jahren trat die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Schlaganfall und Hospitalisierung wegen dekompensierter Herzinsuffizienz oder akutem Koronarsyndrom unter früher Rhythmuskontrolle signifikant seltener auf als in der Kontrollgruppe (Inzidenz pro 100 Patientenjahre: 3,9 % vs. 5,0 %; HR: 0,79; 95 % KI: 0,66–0,94; p = 0,005). „Das entspricht einer relativen Risikoreduktion von 21 Prozent“, erklärte Studienleiter Prof. Kirchhof. Auch für die einzelnen Komponenten des primären Endpunkts waren die Unterschiede durchweg signifikant (kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall) bzw. deutlich (Hospitalisierung).
Hinsichtlich des primären Sicherheitsendpunkts (Schlaganfall, Tod jeglicher Ursache, schwere Komplikationen unter rhythmuserhaltender Behandlung) war kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen zu verzeichnen. Der Nutzen der rhythmuserhaltenden Therapie fand sich bei Patienten mit Herzinsuffizienz unabhängig von der linksventrikulären Funktion.
Eine aktuelle Subanalyse der Studie zeigte jetzt, dass auch asymptomatische Patienten (800 Patienten, 30,4 % der Gesamtpopulation) von einem frühem Rhythmuserhalt profitierten: Das relative Risiko für den primären Studienendpunkt konnte um 24 % reduziert werden (HR: 0,76; 95 % KI: 0,57–1,03; p = 0,848). Die Ergebnisse der EAST-AFNET-Studie können dazu beitragen, die Handlungsempfehlungen bei Patienten mit kürzlich diagnostiziertem VHF zu ändern und eine frühe Rhythmuskontrolle als neue Strategie zu wählen, resümierte Prof. Kirchhof.
Dieser Beitrag basiert auf einer Pressemitteilung des Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET). Alle zugehörigen Studien haben wir euch im Text verlinkt.
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