Die vierte Welle rollt. Die Pandemie belastet dabei nicht nur die Psyche, sondern auch die Solidarität – und aus Schock wird Ermüdung. Das zeigt jetzt eine Studie.
Wie sich die COVID-19-Pandemie auf das emotionale Befinden und Verhalten von Berlinern ausgewirkt hat, zeigt eine Untersuchung des CovSocial-Projekts. Der Forschungsverbund hat eine große Anzahl von Berlinern online dazu befragt, wie sie die Corona-Pandemie erlebt haben und wie sich ihr Leben in dieser Zeit verändert hat. Die Ergebnisse zeigen einen Schockeffekt während des ersten und einen Ermüdungseffekt während des zweiten Lockdowns.
Dies führte dazu, dass Personen sich im März 2021 im zweiten Lockdown viel gestresster, ängstlicher und depressiver fühlten als noch ein Jahr vorher, im ersten Lockdown. Auch der soziale Zusammenhalt zwischen den Bürgern sank erheblich durch die Maßnahmen. Jüngere Menschen und Frauen litten am stärksten unter den Einschränkungen. Übersichtlich dargestellt sind die ersten Befunde der Studie in einer online zugänglichen Broschüre.
Die zur Eindämmung der Pandemie verhängten Maßnahmen hatten nicht nur wirtschaftliche Auswirkungen, sondern führten auch zu erheblichen sozialen Einschränkungen. Das Forschungsteam um Studienleiterin Tania Singer, wissenschaftliche Leiterin der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin, hat die Folgen dieser pandemiebedingten Einschränkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen sowie den sozialen Zusammenhalt von Januar 2020 bis April 2021 untersucht.
CovSocial-Forscherin Malvika Godara fasst die ersten Befunde zusammen: „Im ersten Lockdown von Mitte März bis Mitte April 2020 litten die Teilnehmer verstärkt unter Depressionen, Ängsten, Einsamkeit und Stress. Nach den Lockerungen der Maßnahmen verbesserte sich die Gefühlslage der Befragten deutlich. Das Ausgangsniveau wurde aber nur selten wieder erreicht. Während des längeren Lockdowns von Oktober 2020 bis in das Frühjahr 2021 sank die psychische Gesundheit erneut und erreichte am Ende den bisherigen Tiefpunkt im Verlauf der Pandemie.“
Die Einschränkungen während der Pandemie veränderten auch die Anpassungsfähigkeit und den Umgang mit den Herausforderungen des Alltags. „Während der beiden Lockdowns nahmen die Lebenszufriedenheit, der Optimismus und die positiven Gefühle der an der Umfrage teilnehmenden Berliner drastisch ab. Insbesondere während des ersten Lockdowns gaben die Befragten an, als Reaktion auf den Stress weniger ihre Lage als solche verändern zu wollen als vielmehr die Situation zu akzeptierten“, erklärt Singer. Als eine weitere Bewältigungsstrategien verbrachten die Menschen vor allem während des ersten Lockdowns und nach der Lockerung im Juni 2020 mehr Zeit in der Natur und trieben Sport.
Auch der soziale Zusammenhalt zwischen den Menschen litt erheblich durch die Maßnahmen. Sie nahmen sehr viel weniger am sozialen und gesellschaftlichen Leben teil. „Während das Vertrauen in nahestehende Personen und Nachbarn während der gesamten Pandemie stabil blieb, nahm es in Institutionen wie Gesundheitssystem und Regierung am Ende des zweiten Lockdowns deutlich ab. Interessanterweise vertrauten die Menschen Institutionen wie der Polizei, den Medien oder dem Berliner Senat mehr als der übrigen Bevölkerung“, sagt Singer. Um die verringerten persönlichen Interaktionen zu kompensieren, nutzten insbesondere Frauen während der beiden Lockdowns verstärkt soziale Medien.
In der zweiten Phase des Projekts ab Mai 2021 wurden etwa 300 Berliner des CovSocial Projekts eingeladen, an zehnwöchigen mentalen Online-Interventionen teilzunehmen. Das CovSocial-Team will so deren Einfluss auf die Gesundheit, die sozio-emotionale Situation und das Sozialverhalten untersuchen.
„Wiederholte Maßnahmen wie mehrmalige Lockdowns bergen die Gefahr, dass die psychische Gesundheit zunehmend leidet und sich nicht mehr erholt. Außerdem nimmt die Einsamkeit in der Bevölkerung mit jeder Schließung zu. Dies könnte schwerwiegende stressbedingte und psychische Erkrankungen wie Depressionen zur Folge haben. Zukünftige Analysen der Befunde sollen Aufschluss darüber geben, welche Personengruppen am meisten geschützt werden müssen und welche mentalen Interventionen Einsamkeit und mentale Belastung am besten verringern“, sagt Singer.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text.
Bildquelle: Noah Silliman, unsplash