Manchmal müssen wir in der Apotheke das Patientenwohl verteidigen – und das Schwert, was wir dann ziehen, heißt Bedenken. Pharmazeutische Bedenken, um genau zu sein. Lest hier, in welchen vier Fällen sie angebracht sind.
Herr Schmalzkauer steht vor mir, er hat ein Rezept über Diclofenac-Tabletten in der einen und eines über Lorazepam in der anderen Hand. Ich weiß, dass er Tabletten schlecht schlucken kann. In einem Fall kann ich ihm helfen, im anderen nicht. Beim Diclofenac-Rezept hat ihm sein Hausarzt die Dispers-Variante verordnet, die in Wasser gelöst werden kann. Das interessiert meinen Computer allerdings nicht, denn der Rabattvertrag sieht die Abgabe von Kapseln zum Schlucken vor und aut idem wurde nicht auf dem Rezept angekreuzt.
Nun kann ich eines der rettenden Schwerter ziehen, welches ich in meinem Waffenarsenal zur Verteidigung des Patientenwohls habe. Ich gebe die Dispers-Variante ab, bedrucke das Rezept mit der PZN 02567024 und wähle dazu Faktor 8. Es gibt nämlich keine Reimporte und auch keine 4 preisgünstigeren Arzneimittel anderer Firmen, sonst hätte ich Faktor 9 gewählt. Dann vermerke ich noch handschriftlich den Grund für die Nichtabgabe: Schluckbeschwerden. Klingt kompliziert? Ist aber Alltag.
Die Grundlage für diese Austauschmöglichkeit bilden § 14 Abs. 3 Rahmenvertrag und § 17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung. Demnach kann das pharmazeutische Personal im begründeten Einzelfall den Austausch eines ärztlich verordneten Arzneimittels gegen ein Rabattarzneimittel oder ein anderes preisgünstigeres Arzneimittel verhindern, wenn er die Therapie des Patienten durch die Substitution gefährdet sieht. Diese pharmazeutischen Bedenken müssen immer individuell sorgfältig geprüft werden. Werden sie nach der Prüfung angewendet, dann muss eine genaue und korrekte Dokumentation auf dem Rezept darüber erfolgen. Für den Fall, dass mehr als eine Person das betreffende Rezept bearbeitet haben, muss jeder der Beteiligten die vermerkten pharmazeutischen Bedenken einzeln abzeichnen.
Die Pharmazeutische Zeitung (PZ) berichtete kürzlich über eine Auswertung des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI). Darin wurde aufgelistet, bei welchen 20 Wirkstoffen im vergangenen Jahr am häufigsten pharmazeutische Bedenken angemeldet wurden. Grundsätzlich wurden auf die Verordnungen für die Gesetzlichen Krankenkassen die Sonder-PZN in etwa 1 % aller Fälle aufgedruckt – die Zahl deckt sich mit der des Vorjahres.
Zusätzlich zur Sondernummer muss auch noch ein handschriftlicher Vermerk der abgebenden Person über den Grund des Nichtaustausches erfolgen. Betrachtet man sich die oben angeführte Liste, ergeben sich folgende Gründe für pharmazeutische Bedenken.
Hier gibt es zum Glück die Substitutionsausschlussliste, die bereits im Vorfeld den Austausch von beispielsweise Phenprocoumon oder L-Thyroxin verhindert. Hier muss immer genau das Medikament abgegeben werden, das der Arzt auch namentlich verordnet hat. Trotzdem kommt es sehr häufig vor – gerade bei Medikamenten, die gegen Schilddrüsenunterfunktion verordnet werden – dass auf dem Rezept aut idem angekreuzt ist. Warum die Ärzte das machen, fragen wir uns häufiger – vielleicht können uns die Leser hier weiterhelfen. Ist die Liste den Ärzten nicht bekannt, oder ist der Sinn des Kreuzes missverstanden worden, da es früher einmal das Gegenteil bedeutet hat?
Wer die Problematik beim Austausch noch nicht ganz versteht: Das Gleiche ist eben nicht das Selbe. Die Bioverfügbarkeit eines Generikums muss im Vergleich zum Originalpräparat nicht 100 % betragen. Der festgelegte Akzeptanzbereich durch die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) liegt bei 20 % weniger und 25 % mehr, also zwischen 80 und 125 %. Erschwerend hinzu kommt, dass bei der Zulassung von Generika die Bioverfügbarkeit immer nur mit der des Originals verglichen wird. Innerhalb der generischen Gruppe kann es daher also zu Abweichungen von bis zu 45 % kommen. Das merkt der Patient auch, wenn der Arzneistoff keine besonders geringe therapeutische Breite hat. Wer also auf „seinem“ Original, oder „seinem“ Generikum besteht, der ist nicht immer ein Spinner oder Querulant, der nur seinen Willen durchdrücken möchte.
Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Patient multimorbide ist und eine Polymedikation vorliegt. Wenn die Packungen jedes Mal ausgetauscht, andere Namen tragen würden oder eine andere Form/Farbe hätten, wäre die Gefahr gegeben, dass der Patient sie entweder gar nicht mehr einnimmt, weil er verwirrt ist, oder sie verwechselt.
In diesem Fall ist es problemlos möglich, einen Austausch durch die pharmazeutischen Bedenken zu verhindern. Auch chronische Schmerzen oder Krebserkrankungen gehören zu den kritischen Indikationen. Besonders dann, wenn mehrere Medikamente über lange Zeiträume eingenommen werden, die den Patienten teilweise mit schwereren Nebenwirkungen belasten.
Der Klassiker in diesem Bereich findet sich bereits auf Nummer drei der Liste: Ipratropiumbromid als Inhalativum. Der Austausch von vertrauten Inhalationssystemen ist selten sinnvoll. Häufig werden auch die Nachfüllpackungen verordnet, die nicht einfach ausgetauscht werden können, da sie nicht in den Inhalator passen, der bereits zuhause liegt. Manchmal ist auch eine neue Inhalationstechnik erforderlich, die der Patient nicht mal eben so im Vorbeigehen akzeptiert, oder die er aufgrund motorischer Beschwerden nur schlecht auslösen kann.
Auch Methotrexat-Injektionssysteme gehören zu den problematischen Applikationsformen, denn es sind sowohl Pens als auch Fertigspritzen verfügbar. Pens auszutauschen ist nur nach vorheriger Rücksprache und dem Einverständnis des Patienten sinnvoll. Kann er die Hände sowieso nur noch schlecht bewegen, dann belässt man es besser beim Pen, auch wenn dieser ein paar Euro teurer ist.
Und hier haben wir den Fall Schmalzkauer – das Diclofenac dispers wird also nicht ausgetauscht. Doch was ist denn so problematisch an seinem Tavor®-Rezept? Ganz einfach: Verordnet wurde nicht die Expidet-Variante, sondern die normale Tablette. Auch wenn seitens des Praxisteams immer mal behauptet wird, dass wir das in der Apotheke abändern könnten, stimmt das nicht.
Wir wissen um die Schluckbeschwerden, und dürfen daher die beim Diclofenac verordnete Dispers-Variation abgeben, obwohl die Rabattverträge dagegenstehen. Wir dürfen aber nicht die Expidet-Variante abgeben, wenn Tabletten verordnet wurden. Zum einen würde dieses Vorgehen den Preisanker übersteigen und zum anderen würden wir uns über die ärztliche Verordnung hinwegsetzen. Das geht nicht. Ein vergessenes aut-idem-Kreuz ist daher weniger problematisch als eine von vorneherein falsch verordnete Darreichungsform.
Das kommt vor allem dann vor, wenn der Patient grundsätzlich uneinsichtig reagiert und ihm der Austausch nicht vermittelbar ist. Wir versuchen immer unser Bestes, denn wir wissen um den hohen finanziellen Benefit, den das System durch die Rabattverträge, die wir vermitteln, erfährt. Alleine im vergangenen Jahr sparten die gesetzlichen Krankenkassen trotz der vermehrten „Beinfreiheit“ – wie DAV-Vorsitzender Thomas Dittrich es bezeichnete – durch die Corona-Sonderregeln mit Hilfe der Apotheken 5 Milliarden Euro ein.
Alles in allem sind die pharmazeutischen Bedenken eine große Hilfe im Alltag und für die sichere Patientenversorgung unverzichtbar. Wir sollten sie gezielt und überlegt einsetzen, wenn sie nötig sind und sie, wie bei einer echten Waffe, ruhen lassen, wenn sie nicht gebraucht werden. Dieser professionelle Umgang sichert uns ihren weiteren Bestand.
Bildquelle: Elijah Mears, Unsplash