Individuelle Verblisterungen sind hoch im Kurs. Patienten erhalten Präparate im „Schlauch“ über öffentliche Apotheken. Nun sorgen Juristen für Überraschungen: Sie rütteln an der Preisbindung verschreibungspflichtiger Arzneimittel und erweisen der Branche einen Bärendienst.
Mehr Verantwortung für die Arzneimitteltherapie: Um Patienten besser zu versorgen, haben Standesvertreter schon im letzten Jahr ein Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement verabschiedet. Sie verstehen unter „Medikationsanalyse“ eine strukturierte Untersuchung der Gesamtmedikation. Beim Medikationsmanagement kommt eine kontinuierliche Betreuung durch interdisziplinäre Teams mit hinzu. Ein erster Schritt: Ab Oktober 2016 haben Versicherte Anspruch auf einen Medikationsplan – anfangs als Ausdruck, später als Datei. Zusätzliche Honorare für Heilberufler sollen im Rahmen der Selbstverwaltung zwischen dem GKV-Spitzenverband, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und dem Deutschen Apothekerverband (DAV) festgelegt werden. Das gefällt nicht allen Akteuren.
Kritik kommt vom Bundesverband Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV). „Es ist ja verständlich, dass man hier unter dem Deckmantel der Arzneimitteltherapiesicherheit zum Wohle der Leistungserbringer ein zusätzliches Honorar heraushandeln möchte“, sagt BPAV-Chef Hans-Werner Holdermann. In der patientenindividuellen Arzneimittelverblisterung sei es schon lange selbstverständlich, einen Medikationsplan zu erstellen. Auf ihn wirkten Papierausdrucke mit „zweifelhafter Aktualität“ deshalb „eher anachronistisch“. Jedes Dokument sichere „lediglich die Leistungserbringer gegen eigene Fehler durch gegenseitige Kontrolle ab“. Wenig überraschend: Aus BPAV-Sicht wäre nur die flächendeckende, sofortige Einführung patientenindividueller Verblisterungen inklusive elektronischer Möglichkeiten „ein wirklicher Fortschritt in Richtung eHealth“. Schnell wird klar: Es geht nicht nur um die Versorgung, sondern um Honorare.
Kein Wunder – einem überraschenden Gerichtsurteil zufolge fürchten Verblisterer um ihre Vergütung aufgrund zweifelhafter Rabatte von Herstellern. Ratiopharm hatte mit Apotheken teilweise Verträge der besonderen Art abgeschlossen. In den Vereinbarungen war der Passus, Präparate zur patientenindividuellen Verblisterung seien „entsprechend der Arzneimittelpreisverordnung frei verhandelbar“, zu finden. Inhaber erhielten Rabatte in unbekannter Höhe. Unterstützt von mehreren Apothekerkammern schaltete sich die Wettbewerbszentrale ein. Ihre Argumentation: Hier liegen Verstöße gegen Vorschriften zur Preisbindung vor, speziell gegen Paragraph 78 Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) und gegen Paragraph 1 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Das Generikaunternehmen verteidigte sich mit Hinweis auf gesetzlich verankerte Ausnahmen ebenfalls laut AMPreisV, Paragraph 1. An dieser Stelle ist „von aus Fertigarzneimitteln entnommenen Teilmengen, soweit deren Darreichungsform, Zusammensetzung und Stärke unverändert bleibt“, die Rede. Wettbewerbshüter waren skeptisch. Erhalten Patienten über Blister eine gesamte Arzneimittelpackung, wird der Begriff „Teilmenge“ infrage gestellt. Ratiopharm stützte sich auf die Begrifflichkeit der Entnahme, unabhängig von Verordnungen. Auch wäre kein Apotheker ohne den vergünstigten Erwerb beim Hersteller bereit, den Aufwand patientenindividueller Verblisterungen zu tragen, schrieb die Firma. Dieser Argumentation folgten Justitias Vertreter nicht. Bereits am 27. August 2012 entschied das Landgericht Ulm, die Preisbindung gelte auch für neu verblisterte Fertigarzneimittel (Az. 4 O 53/12). Am 5. September 2013 äußerte sich das Oberlandesgericht Stuttgart ähnlich (Az. 2 U 155/12). Wegen der Rechtsgrundsätzlichkeit wurde eine Revision zugelassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) erlaubte vertragliche Klauseln von Ratiopharm jetzt völlig überraschend. Damit unterliegen Medikamente zur Verblisterung nicht der Preisbindung. Die Klage der Wettbewerbszentrale wurde abgewiesen. Jetzt ist guter Rat teuer.
Während Ratiopharm ökonomische Vorteile für verblisternde Apotheken anführt, macht sich in der Branche große Skepsis bemerkbar. Möglicherweise haben Richter Pharmazeuten einen Bärendienst erwiesen. Um welche Beträge es sich bei besagten Verträgen tatsächlich handelt, ist zwar unbekannt. Insider erwarten im hart umkämpften Markt der Generika aber keine nennenswerten Summen. Firmen schließen ohnehin Rabattverträge mit gesetzlichen Krankenkassen ab – da bleibt kaum Spielraum zur Preisgestaltung. Ein weiterer Aspekt: Pharmazeutische Hersteller dürfen verblisternde Apotheken nur mit zugelassenen Packungsgrößen beliefern. Bulkware, wie in US-amerikanischen Apotheken üblich, dürfen sie hier zu Lande nicht abgeben. Verblisternde Kollegen sehen jetzt die Gefahr, dass ihre Honorare stärker den Kräften des Marktes überlassen würden als zuvor. Ihr Wunsch: ein festes Honorar für Dienstleistungen, nach Möglichkeit staatlich reglementiert. Theoretisch könnten Politiker immer noch gesetzlich eingreifen. Zu dieser Ultima Ratio haben Volksvertreter schon einmal gegriffen, und zwar nach dem umstrittenen BGH-Urteil über Rezeptzuweisungen beim Entlassmanagement.