Weltweit erkranken immer mehr Kinder an Diabetes, besonders Jüngere sind betroffen. Auf die Patienten und ihre Familien, aber auch Ärzte und Betreuer kommen mit der Diagnose viele Herausforderungen zu.
Beim Stichwort Zuckerkrankheit denken die meisten Menschen zuerst an ältere Personen. Aus verständlichen Gründen: Der größte Teil der 4,6 Millionen Menschen mit einer Zuckerkrankheit in Deutschland hat einen Diabetes mellitus des Typs 2, der mit steigendem Alter häufiger vorkommt.
Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen ein Diabetes diagnostiziert wird, handelt es sich jedoch in der überwiegenden Mehrzahl um eine Erkrankung an Diabetes des Typs 1. Nach den aktuellen Angaben der Stiftung Kindergesundheit leben zurzeit etwa 30.400 Kinder und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes. Und es werden immer mehr: Jedes Jahr erkranken hierzulande rund 2.300 Kinder neu an Diabetes des Typs 1, manche bereits im Babyalter.
„Damit gehört die Zuckerkrankheit zu den häufigsten Stoffwechselerkrankungen im Kindesalter“, sagt Kinder- und Jugendärztin Prof. Susanne Bechtold-Dalla Pozza, Leiterin des Fachbereichs Pädiatrische Diabetologie und Endokrinologie am Sozialpädiatrischen Zentrum der Universitätskinderklinik München. „Die Zahl der Neuerkrankungen steigt weltweit dramatisch an. Besonders der Anteil jüngerer Kinder wird immer größer.“
Der Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die sich schleichend entwickelt. Bei Menschen mit Typ-1-Diabetes greift das körpereigene Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in den Inselzellen der Bauchspeicheldrüse an und zerstört sie. Die Ursachen liegen in einer komplizierten Kombination aus erblichen Anlagen und einigen Umweltfaktoren.
„Die Krankheit wird oftmals erst erkannt, wenn bereits schwerwiegende Symptome vorliegen“, berichtet Bechtold-Dalla Pozza. „Erst wenn etwa 80 Prozent der Zellen geschädigt sind, treten die ersten Symptome auf: Das kranke Kind hat großen Durst, muss immer wieder Wasser lassen, verliert an Gewicht und ermüdet schnell. Es benötigt das lebensnotwendige Insulin. Das Hormon muss mit einem Insulin-Pen oder einer Insulinspritze unter die Haut gespritzt werden. Mittlerweile werden viele Kinder mit einer Insulinpumpe behandelt. Damit kann das Insulin kontinuierlich über einen feinen Schlauch verabreicht werden.“ Typ-1-Diabetes ist bisher nicht heilbar, aber gut behandelbar, betont die Münchner Diabetologin.
Bechtold-Dalla Pozza erklärt: „Das Kind und seine Familie müssen lernen, wie man Insulin anwendet und den Blutzucker misst. Dies wird in speziellen Schulungsprogrammen erklärt. Außerdem wird vermittelt, wie sich die Behandlung auf die Ernährung und den Lebensstil abstimmen lässt“. Bei zu viel Insulin droht die Gefahr eines Schocks durch Hypoglykämie, der zu tiefer Bewusstlosigkeit führen kann. Bei zu wenig Insulin sind die Blutzuckerwerte erhöht (Hyperglykämie), was schlimmstenfalls ebenfalls zur Bewusstlosigkeit, zum diabetischen Koma (Ketoazidose) führt. Solche Entgleisungen des Stoffwechsels erhöhen das Risiko der an Diabetes erkrankten Kinder, Spätkomplikationen wie Netzhautablösung, neurologische Störungen oder Nierenschäden zu erleiden.
Die Höhe des Blutzuckerspiegels hängt aber auch davon ab, was das Kind isst und trinkt und wie viel Energie es durch körperliche Bewegung verbraucht. Körperliche Anstrengung senkt den Blutzucker, Nahrungsmittel mit Kohlenhydraten wie z. B. Zucker, Süßgetränke, Obstsäfte, aber auch Brot erhöhen den Blutzucker. Ihre Menge muss mit der Insulinmenge abgestimmt werden.
Der Diabetes eines Kindes wird zur Feuerprobe für die ganze Familie. Die Krankheit macht die Eltern zu Kontrollpersonen, die ständig überprüfen, was gegessen wird, ob die nötigen Tests durchgeführt, die Spritzen gesetzt werden. Diskussionen um das Essen kennen fast alle betroffenen Familien. Die Eltern stehen vor dem täglichen Spagat, einerseits liebevolle Erzieher, andererseits konsequente Therapeuten zu sein. Sie müssen ihrem Kind die Freiheit lassen, die es dringend braucht, den kleinen Diabetiker aber auch dauernd überwachen.
Besonders belastend ist dabei die Situation für Mütter und Väter von sehr jungen Kindern, die den Sinn der therapeutischen Maßnahmen noch nicht wirklich verstehen und sich deshalb häufig mit aller Kraft widersetzen. Manchmal gibt es auch Probleme mit Geschwistern ohne Diabetes, die sich im Alltag oft hinter dem kranken Kind einreihen müssen und sich häufig zurückgestellt fühlen. Oftmals muss ein Elternteil, meist die Frau, beruflich zurückstecken, um das an Diabetes erkrankte Kind zu unterstützen, mit erheblichen finanziellen Folgen. Auch manche Partnerschaft hält der zusätzlichen Belastung nicht Stand und die Krankheit wird zum Auslöser für eine Trennung.
Auch in der Kita oder in der Schule sind diabeteskranke Kinder auf die Unterstützung der Betreuer angewiesen. Sie können die komplexe Aufgabe, ihren Insulinbedarf an Sport, Stress und Mahlzeiten anzupassen, oft noch nicht allein meistern. „Sie müssen zwar weder geschont werden, noch sollten sie eine Sonderrolle spielen“, betont Bechtold-Dalla Pozza. „Ihre Spielkameraden und Mitschüler müssen aber informiert und instruiert werden.“ Leider erfahren Kinder mit Diabetes oft Ausgrenzung, ein Individual- oder Schulbegleiter wird zur Bedingung der Teilhabe gemacht. Integration ist etwas anderes.
Was sich deutlich verändert und modernisiert hat, sind die Behandlung und die Ernährungsempfehlungen bei Diabetes mellitus. „Eine diabetesgerechte Ernährung entspricht der allen Kindern empfohlenen Ernährungsweise. Sie umfasst eine ausgewogene vollwertigen Mischkost. Empfohlen werden viele Vollkornprodukte, reichlich Obst und Gemüse und bevorzugt pflanzliche Öle“, so die Diabetologin.
Erzieher und Lehrer sollten auf jeden Fall über das Problem des Kindes informiert sein. Die Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Diabetologie (AGPD) hat dazu Informationsbroschüren aufgelegt, die ein gegenseitiges Verständnis und die Abstimmung mit den Betreuern unterstützen sollen.
Ein wesentlicher Fortschritt in der Behandlung von Kindern mit Typ-1-Diabetes besteht in der stetigen Weiterentwicklung der technischen Möglichkeiten. So werden Insulinpumpen und Glukosesensoren zur Messung des Blutzuckers in allen Altersgruppen von Kindern und Jugendlichen deutlich häufiger angewendet als bei Erwachsenen. Bei Kleinkindern beträgt die Anwendungsrate einer Insulinpumpe in Deutschland bereits über 95 Prozent.
Heute weiß man: Muttermilch hat einen schützenden Effekt. Gestillte Kinder erkranken später seltener an Diabetes, sowohl an Typ 1 als auch an Typ 2, unterstreicht die Stiftung Kindergesundheit. Zurzeit erforschen mehrere wissenschaftliche Institutionen in Deutschland und in vier weiteren europäischen Ländern verschiedene Möglichkeiten einer Prävention, um die Entwicklung eines Typ-1-Diabetes von vornherein zu verhindern. Die Ergebnisse der laufenden Studien werden jedoch erst 2025 bzw. 2027 erwartet.
Ausführliche Informationen zum Thema Kinder und Jugendliche mit Diabetes gibt es im Internet auf folgenden Seiten:
• https://diabetes-kinder.de/ (offizielle Seite der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische Diabetologie)
• https://www.diabetikerbund.de/
• https://www.mein-bdkj.de/
• https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Stiftung Kindergesundheit.
Bildquelle: note thanun, unsplash