Forscher identifizierten einen neuen Naturstoff, der den typischen Nervenschädigungen durch die Alzheimer-Krankheit entgegenwirken könnte. Ein gänzlich neuer Kandidat für ein Medikament?
Collinolacton ist ein aus Bodenbakterien isolierter Naturstoff. Im Laborversuch reduzierte er künstlich verursachten Stress auf Nervenzellen und schützte sie dadurch vor Schäden, wie sie bei neurodegenerativen Erkrankungen auftreten. Dies fand ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Stephanie Grond vom Institut für Organische Chemie der Universität Tübingen in einer Studie heraus, die in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie veröffentlicht wurde.
Das Team wies zudem nach, dass die chemische Struktur des Moleküls Collinolacton identisch mit der des Stoffes Rhizolutin ist. Dieser wurde aus Bakterien an den Wurzeln der asiatischen Heilpflanze Ginseng isoliert. Ein koreanisches Forschungsteam hatte im vergangenen Jahr entdeckt, dass Rhizolutin im Tierversuch die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Proteinzusammenlagerungen um Nervenzellen auflösen kann.
Unter den neurodegenerativen Erkrankungen, bei denen die Nervenzellen des zentralen Nervensystems nach und nach zerstört werden, spielt die Alzheimer-Demenz mit 50 bis 75 Prozent der Krankheitsfälle eine große Rolle. Typisch für die bisher unheilbare Erkrankung sind Ablagerungen außerhalb der Nervenzellen im Gehirn, die aus fehlgefalteten Amyloid-Beta-Proteinen und verknäuelten Tau-Proteinen bestehen.
Die meisten der mehr als hundert Stoffkandidaten, die seit 2003 klinisch auf die Eigenschaft getestet wurden, um die Alzheimer-Plaques aufzulösen, erwiesen sich als unbrauchbar. „In der Forschung müssen wir uns daher neuen chemischen Strukturen zuwenden. Collinolacton ist interessant, da es sich mit seinem ungewöhnlichen Kohlenstoffgerüst aus drei verknüpften Ringen mit seltener 6-10-7-Kombination der Ringe grundlegend von bisher getesteten Stoffen unterscheidet“, sagt Stephanie Grond.
Collinolacton wurde bereits vor mehr als 20 Jahren aus dem Bodenbakterium Streptomyces collinus isoliert. Da es keine antimikrobielle Wirkung gegen andere Bakterien oder Pilze aufwies, wurde es für pharmazeutische Zwecke damals nicht näher untersucht. Als das Forschungsteam das erst kürzlich neu beschriebene Rhizolutin mit Collinolacton verglich, stellte sich heraus, dass beiden Stoffstrukturen das gleiche Kohlenstoffgerüst zugrunde liegt. „Wir haben die früher veröffentlichten Daten zu Rhizolutin neu ausgewertet und dessen chemische Struktur korrigiert. Nun ist klar, dass die korrekte Struktur identisch ist mit dem schon bekannten Collinolacton“, erklärt Julian Schmid, Erstautor der Studie und Doktorand in Gronds Arbeitsgruppe.
Die Forscher der Mikrobiologie analysierten im nächsten Schritt, welche Gencluster in den Streptomyces-Bakterien für die Herstellung des Collinolactons verantwortlich sind, und entwickelten gentechnisch einen Streptomyceten-Stamm, der den Stoff in erheblich gesteigerter Menge produziert und so erst weitergehende Studien ermöglichte.
Von Collinolacton stellten die Forscher chemische Abkömmlinge her und veränderten verschiedene Seitengruppen an der Grundstruktur. All diese Stoffe wurden im Labor auf ihren Einfluss auf künstlich in Stress versetzte Nervenzellen getestet. „Nur der unveränderte Naturstoff Collinolacton hatte die schützende Wirkung auf Nervenzellen“, berichtet Grond. Diese sei ganz unabhängig zu sehen von der zuvor belegten Wirkung des Rhizolutins, welches in Labor- und Tierversuchen die bei der Alzheimer-Krankheit typischen Plaques auflösen konnte. Nach Einschätzung des Forschungsteams lassen sich diese Ergebnisse gleichsetzen für Collinolacton.
„Beide Eigenschaften zusammen machen Collinolacton interessant als Stoffkandidaten für die Entwicklung von Alzheimer-Medikamenten“, sagt die Forscherin. Denn die Tierversuche mit Rhizolutin hätten bereits ergeben, dass der Stoff ins Säugerhirn gelangen und dort seine Wirkung bei den Nervenzellen entfalten kann. Weitere Tests müssten nun zeigen, ob sich Collinolacton als Wirkstoff zu einem Medikament weiterentwickeln lasse.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Eberhard Karls Universität Tübingen. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Nik Shuliahin, unsplash.