In einem frühen Stadium der Schläfenlappenepilepsie werden Astrozyten voneinander entkoppelt, was vermutlich durch Entzündungen vermittelt wird. Dies hat die Anreicherung von Kaliumionen und Botenstoffen zur Folge, wodurch es zur typischen Übererregbarkeit der Neurone kommt.
Etwa zwei Prozent der Bevölkerung leidet unter Epilepsie. „Trotz immenser Anstrengungen in der Forschung sind die Ursachen dieser Erkrankung noch immer weitgehend unklar“, sagt Prof. Dr. Christian Steinhäuser, Direktor des Instituts für Zelluläre Neurowissenschaften der Universität Bonn. Rund ein Drittel der Patienten ist therapieresistent. „Bei einigen häufigen Formen, wie der Schläfenlappenepilepsie, ist dieser Anteil sogar bedeutend höher“, so der Forscher. Deshalb suchen Wissenschaftler nach neuen Wegen bei der Erforschung der Epilepsie, um die Grundlage für neue Therapiekonzepte zu schaffen.
Solch ein neuer Ansatz in der Erforschung der Epilepsie-Ursachen ist nun einem Team um Prof. Steinhäuser gelungen. Zusammen mit Neurochirurgen des Bonner Universitätsklinikums sowie Epileptologen des Universitätsklinikums Freiburg untersuchte das Institut für Zelluläre Neurowissenschaften der Universität Bonn die funktionellen Eigenschaften von Astrozyten. Galten sie ursprünglich lediglich als „Kitt“, der das Gehirn zusammenhält, entpuppten sich die Astrozyten in den vergangenen Jahren zunehmend als wichtige Partner der Neurone. Ein Astrozyt wurde mit einem Marker (rot) gefüllt, der bei intakter Kopplung in benachbarte Astrozyten diffundiert, wodurch ein Netzwerk sichtbar wird. © Foto: Institut für Zelluläre Neurowissenschaften/Uni Bonn
„Die Epilepsie-Forschung ist dominiert von der Annahme, dass veränderte Eigenschaften von Nervenzellen Epilepsien verursachen“, sagt Prof. Steinhäuser. Seine Arbeitsgruppe hat nun nachgewiesen, dass Fehlfunktionen von Gliazellen bei der Entstehung von Epilepsien von entscheidender Bedeutung sind. Im Hirngewebe, das Patienten mit Schläfenlappenepilepsien zur Eindämmung der Anfallsaktivität entfernt wurde, beobachteten die Forscher, dass Astrozyten komplett fehlten. „Damit können auch keine funktionellen Netzwerke durch Kopplung der Astrozyten untereinander über interzelluläre Kanäle mehr ausgebildet werden“, sagt Erstautor Dr. Peter Bedner. Weil astrozytäre Netzwerke fehlen, können sich in diesem Gewebe für die Signalübertragung wichtige Kaliumionen und Botenstoffe, wie zum Beispiel Glutamat, anreichern. Dies führt zur Übererregbarkeit der betroffenen Nervenzellen und schließlich zu epileptischen Anfällen. Ist der Verlust der astrozytären Kopplung Ursache für Epilepsie beim Menschen oder handelt es sich dabei um eine Folge der Übererregbarkeit? Um dieser Frage nachgehen zu können, entwickelten die Wissenschaftler eigens ein Mausmodell, das Merkmale aufweist, wie sie für die Schläfenlappenepilepsie beim Menschen typisch sind. „In diesem Modell konnten wir nun zeigen, dass im Verlauf der Epilepsieentstehung zuerst die Kopplung zwischen den Astrozyten verloren geht und Veränderungen in den Neuronen erst später stattfinden“, berichtet Prof. Steinhäuser. Im Gewebe von Patienten mit Schläfenlappenepilepsie verbleibt das Biozytin in der initial gefüllten Zelle. Eine Ausbreitung in Nachbar-Zellen ist nicht möglich, da die Zellen entkoppelt sind. © Foto: Institut für Zelluläre Neurowissenschaften/Uni Bonn
Die Wissenschaftler vermuten, dass die Entkopplung der Astrozyten durch Entzündungen vermittelt wird. Ursache sind wahrscheinlich sogenannte Zytokine, die im Gehirn durch aktivierte Mikrogliazellen oder Astrozyten ausgeschüttet werden. „Wir konnten zeigen, dass die Entkopplung - zumindest im frühen Stadium der Epilepsie - rückgängig gemacht werden kann“, sagt Prof. Steinhäuser. Die Wissenschaftler hoffen nun, dass ihre Ergebnisse aus der Grundlagenforschung Ansatzpunkte für neue Therapien zur Behandlung der Schläfenlappenepilepsie ermöglichen. Originalpublikation: Astrocyte uncoupling as a cause of human temporal lobe epilepsy Peter Bedner et al.; Brain, doi: 10.1093/brain/awv067; 2015