Eine neue Klassifikation soll die Suche nach Faktoren für unterschiedliche Krankheitsverläufe des Li-Fraumeni-Syndroms erleichtern. Damit könnte eine genauere Einschätzung des individuellen Krebsrisikos möglich werden.
Das Li-Fraumeni-Syndrom (LFS) geht mit einem lebenslangen drastisch erhöhten Risiko für ein breites Spektrum an Krebserkrankungen einher. Es zählt zu den Krebsprädispositionssyndromen und wird durch krankhafte genetische Veränderungen im Gen TP53 verursacht. Eine Definition, die das breite Erkrankungsspektrum widerspiegelt, fehlte bislang; Faktoren, die zu Unterschieden bei der Erkrankung führen, sind weitgehend unbekannt gewesen.
Ein internationales Forschungskonsortium unter Beteiligung von Prof. Peter Christian Kratz, Medizinische Hochschule Hannover (MHH) und weiteren Forschern entwickelte nun unter dem Begriff „Li-Fraumeni-Spektrum“ eine Klassifikation, die die Erkrankungsschwere umfassend widerspiegelt und die Suche nach Faktoren erleichtert, die zu unterschiedlichen Erkrankungsverläufen führen. Die Forschungsergebnisse wurden in der Fachzeitschrift JAMA Oncology veröffentlicht.
Anhand von klinischen und genetischen Kriterien lassen sich Menschen identifizieren, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein LFS zugrunde liegt. Mit zunehmender Erforschung des Gens wurde in den vergangenen Jahren jedoch deutlich, dass auch Menschen, die diese Kriterien nicht erfüllen, von dem LFS betroffen sein können. Die Diagnose ist essenziell, da regelmäßige Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung die Prognose der Betroffenen verbessern.
„Die Neuklassifikation war erforderlich, um das sich entwickelnde Spektrum des LFS zu beschreiben. Es stützt sich auf etablierte klinische Kriterien, die über Jahrzehnte entwickelt wurden und berücksichtigt krebsrisikomodifizierende Faktoren, ohne dass diese spezifiziert werden müssen. Zugleich kann es die Suche nach Faktoren, die den Schweregrad der Erkrankung bei Betroffenen mit LFS beeinflussen, erleichtern“, sagt Kratz.
Das Forschungsteam analysierte anhand der Klassifizierung Daten von 3.034 Patienten aus 1.282 Familien mit einer erblichen TP53-Variante aus der Datenbank International Agency for Research on Cancer von November 2020 bis März 2021. Dabei identifizierten sie Unterschiede zwischen den TP53-Varianten bei Patienten mit schwerer Erkrankung im Vergleich zu Betroffenen mit milderen Verläufen.
Von den 3.034 Personen erfüllten 2.139 (70,5 Prozent) die LFS-Gentestkriterien oder entwickelten Krebs vor dem 18. Lebensjahr. 149 Personen (4,9 Prozent) waren nicht betroffene Träger und Blutsverwandte dieser Patienten. 678 Personen (22,3 Prozent) erfüllten die LFS-Gentestkriterien nicht und entwickelten vor dem 18. Lebensjahr keinen Krebs. 33 Personen (1,1 Prozent) waren krebsfreie Träger und Verwandte dieser Patienten.
Während das Lebenszeitrisiko bei den Personen, die die genetischen Krebskriterien des LFS erfüllten oder nicht erfüllten, etwa gleich hoch war, zeigten sich Unterschiede bei den Tumormerkmalen. „Bei Patienten, die die genetischen Testkriterien für LFS erfüllten, traten häufiger frühe Nebennieren-, Gehirn-, Bindegewebs- und Knochentumore auf, während bei TP53-Varianten-Trägern, die die genetischen Testkriterien nicht erfüllten, ein höherer Anteil an Brust- und anderen Krebserkrankungen zu verzeichnen war, von denen 45 Prozent nach dem 45. Lebensjahr auftraten“, betont Prof. Pierre Hainaut, Institute for Advanced Biosciences, Grenoble.
Die neue LFS-Klassifikation ist ein Schritt zum besseren Verständnis der Faktoren, die zu unterschiedlichen Erscheinungsformen des Syndroms führen. „Die Ergebnisse dieser Studie liefern eine rationale Grundlage, um Patienten mit TP53-Varianten hinsichtlich ihres eigenen Krebsrisikos und des Krebsrisikos ihrer Familienangehörigen genauer zu beraten sowie Strategien zur Tumorfrüherkennung gezielter einzusetzen“, sagt Prof. David Malkin, Hospital for Sick Children, Toronto. „Der von uns gewählte Ansatz könnte für die Neuklassifizierung anderer Krebsprädispositionssyndrome Modellcharakter haben.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Lindsay Henwood, unsplash.