Medikamente für seltene Krankheiten sind teuer – und es werden immer mehr. Wie lassen sich die Kosten gleichmäßig zwischen Solidargemeinschaft und Pharma-Firmen aufteilen? Eine österreichische Studie hat dafür ein Modell entwickelt.
Es gilt als das teuerste Medikament der Welt: Rund zwei Millionen US-Dollar (1,69 Mio. Euro) kostet eine Spritze, sein Name ist Zolgensma® (wir berichteten). Es soll Kindern helfen, die von spinaler Muskelatrophie (SMA) betroffen sind – ein seltener Gendefekt, bei dem nach und nach jene Nervenzellen im Rückenmark absterben, die die Muskulatur steuern. In Österreich beispielsweise kommen jedes Jahr etwa neun Kinder auf die Welt, die an SMA erkranken.
Wird Zolgensma® rechtzeitig verabreicht, kann der Muskelschwund gestoppt und – so die Hoffnung – ein weitgehend normales Leben ermöglicht werden. Im Gegensatz zu anderen Therapien ist nur eine Injektion notwendig. So muss etwa das Alternativprodukt Spinraza® den Patienten im ersten Jahr alle zwei bis vier Monate gespritzt werden, eine Zehnjahrestherapie kostet etwa 2,6 Millionen Euro. Auch werden bereits Kombinationstherapien aus Zolgensma® und Spinraza® eingesetzt.
„In den vergangenen Jahren zeigte sich, dass sich der Markteintritt hochpreisiger Medikamente verstärkt hat; jährlich werden zwischen zwei und vier weitere Therapien zugelassen. Dieser Trend bedroht die Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems“, sagt Claudia Wild, Leiterin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (AIHTA). Meist handelt es sich um Gen- oder Zelltherapien und andere Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen, Orphan Drugs.
Ob die Therapien die erhoffte Wirkung haben, können Krankenanstalten und Sozialversicherungsträger allerdings nur schwer abschätzen, denn „zum Zeitpunkt der Zulassung liegen meist nur wenige Daten über den tatsächlichen mittel- bis langfristigen Nutzen dieser Medikamente vor. Es handelt sich primär um kleine, meist einarmige Studien, in denen es nur eine Beobachtungs- und keine Kontrollgruppe gibt“, erklärt Wild. Das heißt auch, dass die Kostenträger ihre Erstattungsentscheidungen unter großen Unsicherheiten und unter öffentlichem Druck der betroffenen Patienten, die natürlich große Hoffnung in die neuen Therapien setzen, treffen müssen.
Eine Möglichkeit, um das Risiko gleichmäßig unter öffentlicher Hand und Herstellerfirmen aufzuteilen, liegt in sogenannten „Outcome-Based Managed-Entry Agreements“ (OBMEAs). Durch solche Vereinbarungen werden Therapien unter klar definierten Bedingungen von der öffentlichen Hand finanziert.
Das AIHTA hat sich in einer Studie angesehen, welche internationalen Erfahrungen mit OBMEAs es bereits gibt. Über eine systematische Literaturrecherche und Interviews mit Experten aus verschiedenen Ländern wurde ein Good-Practice-Modell generiert, das als Vorbild für die Implementierung von OBMEAs in Österreich dienen soll.
Der erste Schritt liegt in der Initiierung eines OBMEA. Hier wird geklärt, für welche Therapien klar definierte Vereinbarungen getroffen werden sollen. Auch der konkrete Zweck wird in dieser Phase festgelegt. „Es gilt festzustellen, welche Unsicherheiten es gibt und welche Daten gebraucht werden, um diese Unsicherheiten zu beseitigen“, erklärt Wild. Es muss von Anfang an klar sein, welche klinischen Ergebnisse erzielt werden müssen, damit es zur Kostenübernahme durch die Sozialversicherungsträger kommt.
Der zweite Schritt umfasst das Studiendesign: Welche Patienten werden in die Studie inkludiert, welche relevanten Endpunkte sollen erhoben werden? Es ist zu klären, welchen Nutzen man von der Therapie erwartet. Das heißt auch, dass festgelegt werden muss, ab wann die Therapie abgebrochen wird. Gesammelt werden die Daten in Registern, die im besten Fall international angelegt sind. „Die öffentliche Hand sollte die Finanzierung übernehmen und die Datenhoheit über diese Register haben“, betont Wild.
Die dritte Phase des OBEMA ist die Evidenzgenerierung. Die vereinbarten Daten werden nach einem vorher festgelegten Zeitplan erfasst und die Datenqualität und -validität regelmäßig geprüft. Eine Erstattung der Kosten erfolgt nur dann, wenn die Datendokumentation vollständig ist.
Schließlich kommt es zu Re-Evaluierung des OBMEAs, bei der Kliniker und Patient in die Interpretation der Ergebnisse eingebunden werden. Zudem wird entschieden, ob die Kostenerstattung unter den bestehenden Vereinbarungen aufrecht bleibt oder zu geänderten Bedingungen fortgesetzt wird.
Am Beispiel Spinraza® und Zolgensma® lässt sich auch gut veranschaulichen, wie wichtig OBMEAs in Zukunft sein werden. Die Therapien sind in Europa seit Mai 2017 (Spinraza®) und Mai 2020 (Zolgensma®) auf dem Markt; es werden demnach seit einigen Jahren Daten zur Wirksamkeit der Therapien erhoben. Eine noch unveröffentliche systematische Übersichtsarbeit aus 22 Studien – vornehmlich zu Spinraza® – zeigte, dass nicht alle Kinder gleichermaßen auf die Therapie ansprechen und ins Sitzen kommen oder den Kopf halten können. Bei jenen Kindern, die eine invasive oder nicht invasive Beatmung benötigen oder Unterstützung bei der Ernährung durch eine Sonde brauchen, hatte die Therapie keine Wirkung auf diese beiden lebenswichtigen Funktionen.
Die österreichischen Zahlerinstitutionen, Krankenanstalten und Sozialversicherungsträger haben bereits vorsichtig reagiert: Sie zahlen nur, wenn Kinder einen festgelegten Meilenstein erreichen. „Allerdings werden diese Verträge nicht öffentlich gemacht. Wir wissen nicht, was die definierten Meilensteine sind und wie viele Kinder diese Meilensteine erreichen“, kritisiert Wild.
Was es der Expertin zufolge braucht, sind transparente Vereinbarungen, die auch an Patienten und Angehörige kommuniziert werden. „Nicht zuletzt ist die Preisbildung der Pharmaindustrie für diese teuren Therapien infrage zu stellen, zumal die Grundlagenforschung der Therapieansätze bereits durch die öffentlichen Forschungsfördergeber bezahlt wurde“, sagt Wild.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung des Austrian Institute for Health Technology Assessment GmbH. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Elena Mozhvilo, unsplash