Am Anfang sieht meist alles gut aus. Oft täuschen anfänglich positive Ergebnisse bei der Zulassungsstudie für einen neuen Wirkstoff jedoch Erfolge vor, die am Ende die Sterblichkeit nicht verringern. In welchen Fällen sind Surrogatendpunkte überhaupt sinnvoll?
Hier geht's in erster Linie ums Überleben. In keinem anderen Fach der Medizin ist bei Studien die Anzahl der Patienten, die ihre Krankheit überlebt haben, so wichtig wie in der Onkologie. Im Idealfall leben möglichst viele Krebspatienten nicht nur während und nach der neuartigen Therapie, sondern erreichen dabei auch noch eine gute Lebensqualität. Besonders bei sehr aggressiven Tumorformen mit geringer Lebenserwartung reichen schon kleine Fortschritte im „Gesamtüberleben“ (Overall Survival) für eine Zulassung als neues Medikament. Bei anderen Krebserkrankungen mit bereits etablierten, erfolgreichen Therapieformen spielt das reine Überleben keine ganz so große Rolle. Endpunkte und wichtig für die Anerkennung sind hier oft andere Studienziele, wie etwa ein verbessertes „progressionsfreies Überleben“ (PFS) oder patientenbezogene Endpunkte (Patient reported outcome).
Im Januar dieses Jahres erschien in „Lancet Oncology“ ein zweiteiliger Review zum Thema „Outcome und Endpunkte von Krebsstudien“, verfasst von Amit Oza vom Princess Margaret Cancer Center in Toronto und seinen Kollegen. In den letzten 20 Jahren hat sich die klinische Phase der Arzneientwicklung nur wenig verändert, ist aber aufgrund gestiegener Anforderungen immer teurer geworden. Ein Studie, die sehr lange läuft, um auch geringe Unterschiede bei der Mortalität zu erfassen, wird zwangsläufig zu einem ziemlich großen Kostenfaktor für die Produktentwickler. Immer häufiger stellen die Organisatoren solcher Studien nicht mehr die Frage, wie viele der Teilnehmer insgesamt von neuartigen Arzneien profitieren, sondern wem sie nutzt und wieso. Eine Untersuchung der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zeigte, dass Endpunkte einer Studie, die sich auf eine Zeit bis zu einem bestimmten Krankheitsverlauf, wie etwa „Time to Progression“ (Zeit bis zum Fortschreiten der Krankheit) oder „Progress free Survival“ (Überleben ohne Fortschreiten) immer häufiger genutzt werden. Basierten in den neunziger Jahren noch 13 Prozent aller Zulassungen auf diesen Daten, waren es 2006 bis 2011 schon 43 Prozent.
Ein wichtiger Punkt beim Design von Therapiestudien ist das Verständnis für das Studienziel. Nicht immer ist ein solches für Ärzte, aber auch Patienten verständlich. Besonders bei Surrogatendpunkten ist der Nutzen nicht immer klar ersichtlich. Eine spürbare Krankheitsbesserung bei neuartigen, noch nicht zugelassenen Therapien soll auch für die Teilnehmer nicht erst nach Jahren erkennbar sein, sondern so bald wie möglich. Die Auswahl eines geeigneten Surrogatmarkers ist deswegen auch für die „Compliance“ der Patienten außerordentlich wichtig. Manchmal ist es aber auch gefährlich, aus diesen „Zwischenergebnissen“ einer großen Tumorstudie mit zu viel Vertrauen auf das Endergebnis zu schließen. In einer Untersuchung mit rund 2.500 Frauen zeigte der Angiogenese-Inhibitor Bevacizumab bei HER-2 negativem metastasiertem Brustkrebs zusammen mit Chemotherapie eine deutliche Verbesserung, was das progressionsfreie Überleben angeht und wurde daraufhin von der amerikanischen Gesundheitsbehörde zugelassen. Die Abschlussergebnisse der Studie deuteten jedoch nicht auf einen Fortschritt bei der Gesamtüberlebensrate hin. Zusammen mit Bedenken bei der Sicherheit des Medikaments entschloss sich daraufhin die amerikanische FDA im Jahr 2011, die Zulassung für diese Indikation zurückzuziehen. Ein Fortschritt zum Wohl des Patienten, also entweder ein verlängertes Leben oder eine bessere Lebensqualität, schien der neue Antikörper diesen Frauen nicht zu bringen.
Das progressionsfreie Überleben ist der bekannteste und gebräuchlichste Surrogatmarker in klinisch onkologischen Studien. Ob sich von PFS auf das Gesamtüberleben schließen lässt, hängt in vielen Fällen von weiteren Behandlungen und der Pflege des Patienten ab. Nachfolgende, andere Therapien können den anfänglichen Nutzen bei der Überlebenszeit vermindern. In weit fortgeschrittenen Krankheitsstadien kann die Tumortherapie zwar den Tumor wirkungsvoll bekämpfen, möglicherweise aber zu spät, um den Tod wirkungsvoll hinauszuzögern. Schließlich könnte der gezielte Schuss auf eine empfindliche Stelle der Krebszelle zu Resistenzen oder neuen Tumorzellen mit unterschiedlichem Phänotyp führen. Der anfängliche Vorteil der neuen Behandlung wäre dahin. Untersuchungen zeigen, dass PFS als wirkungsvoller Ersatz für das Gesamtüberleben gut zu gebrauchen ist, wenn die Überlebenszeit nach dem Fortschreiten der Krankheit unter einem Jahr liegt. Eine solche gute Korrelation zwischen den beiden Endpunkten zeigen zum Beispiel das fortgeschrittene Kolonkarzinom oder der kleinzellige Lungenkrebs. Bei Brustkrebs mit Metastasen und rekurrentem Ovarialkarzinom mit vielen Behandlungsoptionen nach dem Fortschreiten und langer Überlebenszeit stimmen PFS und Gesamtüberleben sehr oft nicht überein. Je nach Einsatz der neuen Therapieoption kommen auch andere Endpunkte in Frage: Viele onkologische Studien messen zum Beispiel „Time to Progression“ (Zeit bis zum Krankheitsfortschritt), oder „Objective Response Rate“ (ORR). Besonders bei komplett neuen Wirkstoffprinzipien oder beim Bestreben nach schneller Zulassung akzeptieren etwa FDA und EMA immer häufiger diesen Parameter. Gerade biologische Agentien führen häufig zu einer recht schnellen Antwort des Tumors, wenn der geeignete Biomarker zur Messung des Therapieeffekts eingesetzt wird. So bekam etwa Crizotinib beim ALK-positiven nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom ein schnelles „JA“ von der FDA, die sich von Antwortraten von über 50 Prozent in den Zulassungsstudien überzeugen ließ. Statistiken zeigen, dass eine gute ORR in Phase II-Studien meist auch einen Erfolg bei späteren Studien voraussagt.
Immer häufiger taucht bei klinischen Studien ein relativ neuer Begriff für den Erfolg einer neuen Therapieoption auf: PRO steht für „Patient reported outcome“. Das Ergebnis einer Behandlung wird mit den Antworten auf standardisierte Fragebögen bestimmt, auf denen der Patient selber eine Beurteilung über Erfolg oder Wirkungslosigkeit abgibt. Eng mit dieser subjektiven Beurteilung ist das Studienziel einer besseren Lebensqualität (Quality of Life, QoL) verbunden, das neben der verlängerten Lebenszeit ein entscheidendes Argument für die Zulassung in der Klinik ist. Wenn etwa die toxischen Eigenschaften des Wirkstoffs den Zugewinn an Lebenszeit in seinem Wert einschränken, stellt das insgesamt die Neuentwicklung in Frage. Andererseits kann die bessere Verträglichkeit gerade bei sehr schweren Krankheiten mit kurzer Rest-Überlebenszeit ein starkes Argument für die Zulassung sein. Ein Grund für denn immer noch zögerlichen Einsatz von Daten aus der Patientenbefragung ist die eingeschränkte Möglichkeit zum Vergleich der individuellen Angaben der Patienten. Subjektive Erfahrungen zur Lebensqualität hängen oft auch von der Qualität der Pflege, der Umgebung auf der Station und dem aktuellen Krankheitsstadium zum exakten Zeitpunkt der Befragung ab. Dementsprechend gibt es auch wenige Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen progressionsfreiem Überleben und Patient-Reported-Outcome.
Welches Studienziel passt nun für welche Studie? Die Aufschlüsselung von Tumorgenomen hat in den letzten Jahren bewirkt, dass „der Krebs“ immer weiter eine große Sammlung seltener Krankheiten zerfällt, für die es individualisierte Behandlungsmethoden gibt. Eine gezielte Patientenrekrutierung mit einer ausreichend großen Zahl an Teilnehmern wird dabei jedoch immer schwieriger. Ähnlich sieht es bei älteren Patienten, solchen mit Komorbiditäten oder ethnischen Minderheiten aus, die in Studien häufig gar nicht oder nur in geringem Ausmaß vorkommen. Nach einer schnellen Zulassung sollte sich daher an die Phase III eine Beobachtungsstudie anschließen, die Langzeiteffekte oder Nebenwirkungen bei unterrepräsentierten Patientengruppen registriert. Neue Behandlungsmethoden haben die Gesamtüberlebenszeit bei vielen Tumoren sehr stark verlängert. In den 80er Jahren betrug etwa die Überlebenszeit beim Ovarialkarzinom noch 15-24 Monate, heute liegt sie bei 36-40 Monaten. Die Hürden für neue Wirkstoffe werden durch diese Entwicklung immer höher. Für eine Zulassung werden damit Alternativen zum Gesamtüberleben immer wichtiger. Dazu zählt auch die Lebensqualität, während und nach der Behandlung. Andererseits liegt die Überlebenszeit etwa bei einem Gallenblasenkarzinom unter einem Jahr. Schon eine geringe Verlängerung dieser Zeitspanne ist damit klinisch relevant und ein starkes Argument für den Einsatz in der Routine. Noch immer gibt es nicht allzu viele Leitlinien mit Hinweisen, welche Endpunkte sich für klinische Studien in der Onkologie eignen und inwieweit Surrogatendpunkte den Schluss Gesamtüberleben erlauben. Solche Leitlinien, so plädieren die Autoren des Lancet-Reviews, sollten das Ergebnis eines Dialogs sein, an dem Ärzte, Patientenvertreter, Studiensponsoren, Statistiker und nicht zuletzt Vertreter der Zulassungsbehörden teilnehmen. Viele Irrwege beim Einsatz neuartiger Anti-Tumor-Wirkstoffe könnten damit wohl umgangen werden.